GW’s Most Wanted: Einblattdruck-Besitzer gesucht

Heute eröffnen wir eine lockere Folge von Beiträgen unter dem Leitthema GW’s Most Wanted, mittels derer nach verschollenen Inkunabeln oder – wie hier – nach nicht identifizierten Eigentümern von einzelnen Druckexemplaren gefahndet werden soll. In nunmehr fast 111 Jahren der Arbeit am Gesamtkatalog der Wiegendrucke ist – trotz eines sorgfältig geführten Archivs – bedauerlicherweise hier und da auch etwas durcheinander geraten, es wurden Dokumente verlegt, vergessen oder nicht richtig beschriftet. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter der GW-Redaktion kennt beispielsweise das Phänomen der sogenannten „Restemappen“, bei deren Auflösung bisweilen wundersame Dinge zum Vorschein kommen, die eine Reihe von Fragen aufwerfen: Was mag das sein? Wo gehört das hin? Oder auch: Wo kommt das her?

So auch bei unserem heutigen Fall: In einer dieser ominösen Restemappen fanden sich Fotokopien von zwei fragmentarischen Exemplaren eines bislang unbekannten Inkunabel-Einblattdrucks, der in diesem Beitrag erstmals vorgestellt wird.

Aloysius de Capris, Notariatsinstrument (Einblattdruck), 1494. Besitzer unbekannt

Aloysius de Capris, Notariatsinstrument (Einblattdruck), 1494. Besitzer unbekannt

Es handelt sich um ein amtliches Ausschreiben in lateinischer Sprache, das von Johann Petri in Passau gedruckt wurde. Diese Zuweisung ergibt sich aus dem verwendeten Typenmaterial und aus der dekorativen Initiale, die Petri bereits 1490 in der „Agenda Pataviensis“ (GW 472) benutzt hat; hier ein Vergleichsbeispiel aus dem reichhaltigen Digi-Angebot der BSB München. Der Aussteller Aloysius de Capris, Bischof von Pesaro (Amtszeit 1461-1498), bringt hiermit ein an ihn und andere Empfänger gerichtetes Mandat Papst Alexanders VI. aus dem Jahr 1494 zur Kenntnis, dessen Gegenstand die Entfremdung bischöflicher Tafelgüter ist.

Dieses Rundschreiben erreichte auch das Bistum Passau, wo es vielleicht auf Betreiben der im Text genannten Domherren oder des Bischofs Christoph von Schachner (Amtszeit 1490-1500) gedruckt wurde. Das Blatt ist typographisch interessant, weil es Johann Petris Auszeichnungstype 5:160G aufweist, die im Typenrepertorium bislang nur für das Jahr 1491 nachgewiesen war, der Druck nach dem Ausstellungsdatum der inserierten Papsturkunde aber nicht vor dem 18. März 1494, vermutlich sogar erst einige Zeit danach, erschienen sein kann. Eine handschriftliche Ausfertigung des (vollständigen) Textes im Münchener Hauptstaatsarchiv kann man in der Online-Datenbank monasterium.net betrachten. Dies ist ein sogenanntes Notariatsinstrument, ein aus Gutenbergs Lebensgeschichte bekannter Urkundentyp (Stichwort Helmaspergersches Notariatsinstrument) , der vereinzelt auch in Form von Inkunabel-Einblattdrucken vorkommt (z.B. GW 1859, hier: Digitalisat der UB Basel). Aufgrund der Übereinstimmungen in Text und Layout ist anzunehmen, dass es sich bei dem fragmentarischen Druck ebenfalls um ein solches Notariatsinstrument handelt, beiden Exemplaren fehlt aber der untere Teil mit der notariellen Beglaubigung.

Aloysius de Capris, Notariatsinstrument (Einblattdruck), 1494. Besitzer unbekannt

Aloysius de Capris, Notariatsinstrument (Einblattdruck), 1494. Besitzer unbekannt

Soweit wäre alles gut. Leider enthalten die Kopien aus der Restemappe aber keinen Hinweis darauf, welcher Quelle wir denn eigentlich diese Abbildungen verdanken; auch Recherchen in der älteren GW-Korrespondenz blieben erfolglos. Wir fragen uns also, wo die beiden Original-Bruchstücke dieses Inkunabel-Einblattdrucks aufbewahrt werden und wer dem GW vor etlichen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die Kopien übersandt hat. Damit in dem demnächst zu erstellenden GW-Nachtragsartikel „Aloysius (de Capris), Bischof von Pesaro“ die besitzende Institution ordnungsgemäß angegeben werden kann, sind wir auf Hinweise aus der Community und auf größtmögliche Verbreitung der hier dargebotenen Informationen angewiesen. Um Mithilfe gebeten sind vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der archivalischen Zunft, denn Schriftstücke dieser Art finden sich vorrangig in Archiven, doch ist selbstverständlich eine andere Herkunft der beiden Einblattdruck-Fragmente nicht auszuschließen.

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