20. Dezember

Die Predigt über die Buße von Johannes Chrysostomos

Dr. Vladimir Neumann (Osteuropaabteilung)

20. Dezember

Am gleichen Tag wurde Johannes Chrysostomos zum Patriarchen von Konstantinopel ernannt und sogleich begann er über die Buße zu predigen.

Der Feiertag kommt, oh Brüder, die Geburt Christi, und der erhabenste und am meisten Ehrfurcht gebietende aller Feiertage. Um der Gnade willen beginne ich jetzt mit meiner Lehre, damit ihr von der Sünde gereinigt werdet und so zu den Heiligen Mysterien gelangt. Damit niemand sage, er sei voll der Schmach und sein Gewissen sei mit Sünde erfüllt. Binnen fünf Tagen kann jedoch Läuterung erreicht werden, wenn wir aufrichtig bereuen, fasten und nicht schlafen, so werden wir viele Sünden ablegen; denken wir also nicht an die Kürze der Zeit, sondern an die Liebe des Herrn zu den Menschen.

Denn die Menschen von Ninive kehrten nach drei Tagen zur Buße zurück, und die seelische Reue vermochte den Zorn zu stillen. Auch die Sünderin kam einmal zu Christus, so dass alle Sünden einer langen Zeit reingewaschen worden sind. Als die Juden empört waren, dass Er es zuließ, verschloss er ihnen den Mund, befreite die Frau von allem Übel, machte ihr Mut und ließ sie gehen. Warum ist das so? Weil sie mit warmem Gemüt, glühendem Glauben und bußfertiger Seele kam und die allerheiligsten Füße berührte. Ihr Haar öffnend, aus ihren Augen Tränenströme vergießend und Salböl verteilend erfuhr sie nun durch das, womit sie die Männer verführt hatte, dank Buße Heilung.

Über das Haar, mit dem sie die Augen der Männer einfing, vergoss sie ihre Tränen. Mit dem Haar, mit dem sie viele zur Sünde verführte, trocknete sie die Füße Christi. Und auch ihr, die ihr Gott erzürnt habt, betet um sein Erbarmen. Habt ihr Ihn verärgert, indem ihr gestohlen habt? So besänftigt Ihn, indem ihr das Gestohlene den Beleidigten zurückgebt, und fügt dem noch hinzu, und sagt wie Zachäus: „Ich werde das Vierfache denen zurückgeben, die ich beleidigt habe“. Habt ihr mit der Zunge gesündigt, dann sprecht reinigende Gebete und segnet diejenigen, die euch verleumden und gegen euch Übles reden. Wenn ihr dieses Verhalten euch unter Tränen angewöhnt, wird es nicht lange Zeit dauern, bis euch vergeben wird, nicht nach vielen Jahren, sondern nach einem einzigen Tag. Betet, dass ihr von der Falschheit ablasst und die Tugend annehmt, wendet euch von der Bosheit ab und versprecht es nicht wieder zu tun und so wird diese eure Bitte angenommen.

Ich bezeuge und versichere euch, dass, wenn ihr von der Sünde ablasst und vor Übel flieht, wenn ihr wahrlich Buße tut, wird sich Gott, der barmherzig ist, euer erbarmen und annehmen. Sucht nichts anderes als nur die Abkehr von eigenen bösen Taten zu vollbringen und tut sie nicht wieder. Denn Er ist barmherzig und vergibt die Sünde und erinnert sich nicht der üblen Taten, wenn wir aufrichtig Buße tun. Wie eine Frau, die in den Wehen liegt, ihre Last überwinden möchte, so möchte Gott euch seiner Gnade teilhaftig werden lassen. Lasst uns also alle Unwahrheit ablegen und so die Feier von Christi Geburt beginnen. Legen wir die Verleumdung und das Verurteilen der anderen ab und überwinden wir den Zorn, den Neid und alle Sorgen des Alltags. Und so nachdem wir in diesen fünf Tagen Buße getan haben und rein von Bosheit sind, treten wir vor Gott, der rein und nicht nachtragend ist, und sagen jeder: „Ich möchte meine Seele retten, hilf mir Herr, dass ich erlöst werde.“ Denn welchen Nutzen hat der Mensch, wenn er die ganze Welt gewinnt, seine eigene Seele aber verliert? Dies sage ich nicht zu eurer Verurteilung, sondern zu eurer Rettung, so dass ihr von der ewigen Qual durch Jesus Christus unseren Herrn erlöst werdet.

Die erste gedruckte Ausgabe des kirchenslawischen Synaxarions (russ. Prolog) erschien in Moskau im Jahre 1641 und umfasste die Monate September bis Februar. Die Ausgabe hatte großen historischen, kulturellen und erzieherischen Wert und gilt als das erste Buch in Russland, das primär zu Lese- und Bildungszwecken gedacht war. Der historische Druck, der mehrere Ausgaben erlebte, wurde unter dem Patriarchen Joseph (†1652) herausgegeben, der im Gegensatz zu seinem reformfreudigen Nachfolger Patriarch Nikon (†1681) das konservativ-traditionelle Element der Orthodoxie im Moskauer Staat beizubehalten trachtete. Aus diesem Grund war diese sogenannte josephianische Prolog-Ausgabe bei den Altorthodoxen (russ. Raskolniki) – einem Teil der russischen Christen, die sich 1666 von der offiziellen russisch-orthodoxen Kirche abgespalten hatte – hochangesehen und beliebt. Die heute sehr seltene Ausgabe von 1641 war durch einen Kreis russisch-religiöser „Eiferer“ (darunter die Theologen und Polemiker wie Iwan Nasedka und Michael Rogow) aus der älteren kirchenslawisch-handschriftlichen Überlieferung zusammengestellt worden.

Die Predigt über die Buße von Johannes Chrysostomos stellt ein Glanzstück der byzantinischen Homiletik dar. Sie ist meisterhaft ins Russisch-Kirchenslawische übersetzt. Der ostslawische Text glänzt durch viele Archaismen sowie strenge Grammatik. Das Stück ist sprachlich sehr melodisch und lässt sich auch nach rund 380 Jahren wunderbar in vorweihnachtlichen Lesungen verwenden.

Das Synaxarion oder der Prolog enthält Kurzviten der orthodoxen Heiligen, Predigten der Kirchenväter, moralisch-theologische Traktate in Kurzform, die auch im orthodoxen Gottesdienst zur Lesung verwendet werden konnten. Die Einteilung des Stoffes erfolgt nach Tagen des byzantinisch-orthodoxen Kirchenjahres. Die hier aus dem Kirchenslawischen ins Deutsche übersetzte Predigt von Johannes Chrysostomos (†407) über die Buße wird unter dem 20. Dezember geführt. Sie stammt ursprünglich aus den „Zwölf Predigten gegen die Anomäer“ (Anhänger des Arianismus), die bisher in keiner deutschen Ausgabe der Werke von Chrysostomos vorliegen. Der Abschnitt richtete sich an die christliche Gemeinde in Konstantinopel gegen Ende des 4. Jahrhunderts und hob auf die Reue und Bitte um Vergebung im Zeichen der Geburtsfeier Christi ab.

Die Prolog-Ausgabe von 1641 (auch auch die erweiterte Ausgabe von 1642) befindet sich im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin – PK, wurde im Rahmen des Projektes „Kirchenslavica digital“ von den Spezialisten der Osteuropa-Abteilung erschlossen, digitalisiert und kann hier eingesehen werden.