„Jeder Vogel gibt unzählige Rätsel auf.“
Im Anflug
Diese Ausstellung erzählt die unglaubliche Geschichte von Oskar, Magdalena und Katharina Heinroth, die Anfang des 20. Jahrhunderts in ihrer Mietwohnung in Berlin-Halensee, Joachim-Friedrichs-Straße 12, 2. Etage, die Küken von 250 verschiedenen Vogelarten aufgezogen und wissenschaftlich erforschten – vom winzigen Zaunkönig bis zum riesigen Seeadler. Oskar Heinroth war Direktor des damals weltgrößten Aquariums, Katharina Heinroth die erste weibliche Direktorin des Berliner Zoologischen Gartens. Ihre »Vogel-WG« war Besuchsmagnet für Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Mit ihren Studien an rund 1.000 Vogelindividuen begründeten sie die Verhaltensforschung. Der Nobelpreisträger Konrad Lorenz war ihr berühmtester Schüler. Die Schau vermittelt Einblicke in das Zusammenleben der Heinroths mit den unterschiedlichsten Vögeln und präsentiert ihre wissenschaftliche Arbeit anhand von Tagebüchern, Zeichnungen und Fotoserien, die als Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt werden.
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Das Vogelzimmer und die Seele der Aufzuchten
Was war die Motivation für Magdalena und Oskar Heinroth, so viele Vögel aufzuziehen? Als leidenschaftliche Ornithologen wollten sie ihr Wissen über einheimische Vogelarten erweitern. Am Ende waren es rund 1000 Individuen von über 250 Arten, die sie vom Ei oder Jungtier bis zum erwachsenen Vogel pflegten und kennenlernten. In der Wohnung der Heinroths gab es das sogenannte Vogelzimmer mit Käfigen, die für die darin gehaltenen Arten entsprechend eingerichtet waren. Jedes Tier mit eigenem Geruch und Lautäußerungen, mit Bewegung und Flügelschlag, Fressen und Kotabsondern. Jeder Vogel für sich ein zartes Geschöpf, aber in der Summe eine wahre Kakophonie. Vogelaufzucht erfordert genaue Beobachtung und Einfühlung, denn wie sonst kann man wissen, wie es dem Tier geht oder was es gerade mit seiner Körperhaltung oder Lautäußerungen sagen will? Fragen nach dem artspezifischen Verhalten oder der Art und Weise der Kommunikation der Tiere waren in der Biologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch unbekannt, ganz anders als heute. So betraten die Heinroths Neuland, indem sie sich bei jeder Art behutsam an die Bedürfnisse des Jungtiers annäherten. Hier war insbesondere Magdalena Heinroth „die Seele der Aufzuchten“, da sie in klassischer Rollenverteilung die hauptsächliche Pflegearbeit leistete. Ohne ihren Fleiß, ihre Selbstlosigkeit, ihre Hingabe und ihr liebevolles Interesse für die zahllosen Vogel-Persönlichkeiten wäre das Projekt undenkbar.
Aufgezogene und gehaltene Vogelarten: Übersicht
Die Vogel-WG | Ehe mit Wiedehopf und Uhu
Eine Wohngemeinschaft (WG) bezeichnet das Zusammenleben von Personen, die nicht familiär verbunden sind, in einem gemeinsam genutzten Wohnquartier. In ihrer Berliner Mietwohnung lebten Magdalena und Oskar Heinroth von 1904 bis 1932 nicht mit Menschen, sondern mit Vogelindividuen der unterschiedlichsten Arten zusammen, die sie vom Schlupf an bis ins Erwachsenenalter aufgezogen und beobachteten. Viele der Vögel bewegten sich frei durch die Wohnung. Da gab es jeden Tag Slapstick-Einlagen: Mauersegler kreisten durchs Wohnzimmer, pausenlos ließ der Wachtelkönig nachts sein markerschütterndes schnarrendes Rufen erschallen, ein Kleinspecht hackte Löcher in den Schrank, der Birkhahn balzte auf dem Balkon und ein Baumläufer kletterte am Hosenbein von Oskar Heinroth hinauf.
Die Entwicklung ihrer Mitbewohner beschrieb das Forscherpaar in Text und Bild. Was als Hobby begann, wurde zum berühmten Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse sie in zahlreichen Diavorträgen vorstellten und schließlich in ihrem vierbändigen Werk „Die Vögel Mitteleuropas“ publizierten. Mit dieser Leistung wurden sie zu Pionieren der Verhaltensforschung und prägten die frühe Entwicklung des neuen Teilgebiets der Biologie signifikant. Der bekannteste Verhaltensforscher, Konrad Lorenz war ihr Schüler. Die Details des hautnahen Zusammenlebens mit hunderten heranwachsender Vögel dokumentierten sie in Tagebüchern, Stapeln von Fotos, Tabellen und Manuskripten. All dieses Originalmaterial befindet sich im Nachlass Oskar Heinroth, der in der Staatsbibliothek aufbewahrt wird.
Das tägliches Arbeitspensum…
Das Vogelaufzucht-Projekt war enorm kräftezehrend und verlangte den beiden Heinroths alles ab. Über eine Zeitspanne von 28 Jahren (1904 –1932) zogen sie mehr als 1000 Vogelindividuen in ihrer Berliner Mietwohnung auf. Das Projekt blieb ihr privates „Hobby“. Als Direktor des größten Aquariums der Welt war Oskar Heinroth beruflich voll ausgelastet; seine Vogelstudien kamen „obendrauf“. Seine Frau Magdalena war nonstop mit den Vögeln beschäftigt. Sie nannte die jährlich wiederkehrenden Vogelaufzuchten ihr „sommerliches Trabrennen“: Nester mussten gesucht und pro Jahr 35 bis 40 oft winzige Nestlinge aufgezogen werden.
Das bedeutete ständiges Warmhalten und Füttern, weshalb jeder Tag sehr früh begann und spät endete. Allein das Fotografieren der jungen Vögel dauerte oft Stunden. Während Oskar fotografierte, hielt Magdalena die nicht selten hyperaktiven Kleinen „in Schach“. Am Abend wurden die Tagebücher geschrieben. Alles musste penibel sauber bleiben, um Krankheiten der empfindlichen Pfleglinge zu vermeiden. Auf dem Boden knieend scheuerte Magdalena täglich den Boden. Aus den Tagebuch-Einträgen erfährt man, dass jeder der beiden mehrfach kollabierte und wiederholt krank wurde. Magdalena überstand mehrere große Operationen.
Die Versorgung der Nachtschwalben: Das Vogel-Tagebuch
… und der ganz normale Alltag in der Vogel-WG
Ein Auszug aus einem der täglichen Briefe an die Familie vermittelt einen Eindruck der Arbeitsfülle. Am 25. Juli 1927 schreibt Oskar Heinroth: „Liebe Mama! Zum Geburtstage nimm unsere besten Glückwünsche; sei gesund und übersteh all die Veränderungen der letzten Zeit gut… Wir haben hier in der Vogelwirtschaft fast des Guten zu viel. Gegenwärtig: 2 Rohrdommeln, 1 Trappe, 1 Seeadler, 3 Purpurreiher, 5 Lachseeschwalben, 1 Seeregenpfeifer, 4 Säbelschnäbler, 2 Kampfläufer, 2 Fischadler, 2 Grauspechte, 2 Wachteln, 1 Sperbergrasmücke, 4 Löffler. Das reicht! Z. Teil sind es noch Nestjunge. Für meine Frau ist es sehr viel Arbeit, all die vielen Fischfresser machen mit der Sauberkeit viel Mühe… Das Aquarium ist gut besetzt; auch die Zahl der Besucher befriedigend… Heraus kommen wir gar nicht, früh von 6-7′ mit Kranichen oder Trappe in den Z.G., das ist alles…. Lass Dir, soweit als möglich, gut gehen und sei herzlich gegrüßt von deinem Oskar“ Magdalena hatte noch hinzugefügt: „Fische müssen zu jeder Mahlzeit, 3mal täglich, auf fünferlei Arten hergerichtet werden.“
Übrigens: Nestersuche und Eientnahme oder die Haltung von Wildvögeln in Käfigen im Wohnzimmer wären heute undenkbar und sind zu Recht streng verboten. Zur Zeit der Heinroths war das aber gängige Praxis in der Naturforschung.
Tiere haben Zeit
Ohne die Fotografie wäre das Projekt, die Jugendentwicklung aller europäischen Vogelarten zu dokumentieren, undenkbar. Tausende Fotos zeigen die Vögel in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. In bislang nie dagewesenem Umfang ermöglichten modernste Kameratechnik und technische Versiertheit Oskars die wissenschaftliche Dokumentation unter Studio-Bedingungen. Dafür nutzte er ab 1913 das Atelier unter dem Dach des Aquariumsgebäudes. Um die Größenverhältnisse der unterschiedlichen Arten richtig wieder zu geben, brachte er auf seiner Balgenkamera Markierungen an. Das Fotografieren gehörte in der Aufzuchtzeit zur täglichen Routine und dauerte oft Stunden. Während Oskar den Fotoapparat bediente, hielt Magdalena die ungeduldigen Jungvögel bei Laune. Die Tiere mussten still sitzen und die Ordnung des Gefieders sollte makellos sein.
Oskar Heinroth mit der Plattenkamera bei der Fotodokumentation um 1910
Foto: Aquarium Berlin
Die Vogelfotografie der Heinroths
Daher durften sie nicht einfach mit der Hand festgehalten werden. Das Klick-Geräusch der Auslösung erschreckte viele Vögel. Zur Eingewöhnung waren erst einmal Trainingsphasen mit 50 und mehr Leeraufnahmen nötig. Für jedes belichtete Foto war eine neue Glasplatte erforderlich, die in die Plattenkamera geschoben wurde. Ob die Aufnahme gelungen war, verriet erst die Arbeit im Fotolabor, wo die Platteentwickelt wurde. Absolute Bildschärfe war die Bedingung. Eine kleine Tannenmeise, die nie den Kopf still hielt, bescherte Heinroth serienweise verwackelte Aufnahmen. Mit der Waldohreule Lilly arbeitete er über drei Wochen täglich zwei Stunden, bis er endlich genug Bilder beisammenhatte: „Tiere haben Zeit“ Magdalena und Oskar schafften mit stoischer Geduld das scheinbar Unmögliche: Auf einem gelungenen Foto machten die Vögel einen entspannten Eindruck.
Eintausend und ein Vogel
Eisvögel
Die Eisvögel, halb so groß wie eine Amsel, leben an Bächen und sind schnelle Stoßtaucher, die kleine Fische erbeuten. Obwohl blau schillernd und bunt, sind sie nicht leicht zu beobachten. Sie nisten versteckt in selbstgegrabenen Erdhöhlen. Deshalb hatte niemand zuvor die Aufzucht der Jungen beobachtet. Die den Heinroths gebrachten Jungen wuchsen in einer „Kunsthöhle“ heran und entwickelten sich prächtig unter den Augen von Magdalena. Schon bald nach dem Ausfliegen holten sie sich ihre Fische aus der Badewanne.
Wachtelkönig
Wachtelkönige sind in nassen Wiesen versteckt lebende Rallenvögel, die meist nur durch ihr rätschendes nächtliches Rufen auffallen. Aus einem Gelege schlüpften neun muntere Küken, deren jüngstes den Namen „Wachtelprinz Liliput“ erhielt. Als Heranwachsender entwickelte er eine tiefe Zuneigung zu Magdalena und warb auf seine Weise um ihre Gunst, indem er mit dem Schnabel kleine Futterbrocken zwischen ihre Finger steckte. Dieses Balz-Verhalten konnten die Heinroths während einer Ornithologen-Tagung den staunenden Kollegen vorführen.
Trappe Ludwig
Es ist schon ziemlich skurril, Großtrappen, die bis 17 kg schwer werden, in einer Mietwohnung aufzuziehen. Für Magdalena Heinroth kein Problem. Als sie größer wurden, lernten sie, die 50 Treppenstufen zur Wohnung auf und ab zu laufen und mit den Pflegeeltern draußen im Zoo Spaziergänge zu machen. Dabei sind sie mehrmals auf das Dach eines anderen Gebäudes geflogen und mussten über eine Leiter zurückgeholt werden. Ludwig, der Trapphahn flog sogar weit weg und wurde erst über eine Zeitungs-Annonce wiedergefunden.
Kuno und Nora, die beiden Nachtschwalben
Nachtschwalben, früher Ziegenmelker genannt, sind nachtaktive Jäger von Fluginsekten. Sie sind mit Seglern und Kolibris verwandt und eigentlich für die Vogelhaltung ungeeignet. Aus Mitleid kaufte Magdalena Heinroth 1907 auf einem Vogelmarkt zwei verwahrloste Junge und pflegte sie gesund. Sie erhielten die Namen Kuno und Nora und lebten im Wohnzimmer. Nora legte im nächsten Frühjahr zum Erstaunen der Heinroths zwei Eier auf ein als Teppich dienendes Schweinefell und brütete sie aus. Kaum waren ihre Jungen flügge, unternahmen sie die zweite Brut.
Nachtschwalben (Ziegenmelker) in „Die Vögel Mitteleuropas“, Band 1, lesen
Nachtschwalben (Ziegenmelker) in „Die Vögel Mitteleuropas“, Tafel 94 ansehen
Die Heinroths | Pioniere der Verhaltensforschung
Magdalena Heinroth, geb. Wiebe (1883-1932)
1883 geboren in Berlin. Tochter des Geheimen Oberbaurats Adolf Wiebe
1904 Heirat mit Oskar Heinroth
1904 – 1932 Aufzucht von ca. 1000 Jungvögel von etwa 250 Arten
ab 1908 mehrere Fachpublikationen
1910 Vortrag über ihre Forschung auf dem Internationalen Ornithologen-Kongress
1924 – 1932 zusammen mit ihrem Mann Oskar Herausgabe des Werkes „Vögel Mitteleuropas“
1932 Tod während einer Reise ins Donaudelta.
Magdalena Heinroth im Gespräch mit einem Uhu 1924
Oskar Heinroth im Gespräch mit einem 12 Wochen alten Seeadler 1925
Oskar Heinroth (1871-1945)
1871 geboren in Mainz
1895 Promotion in Kiel
1900 – 1901 Südsee-Expedition
1904 Direktional-Assistent am Berliner Zoo und Heirat mit Magdalena Wiebe
1904 – 1932 Projekt Vogelaufzuchten
1910 Vortrag über die Ethologie der Entenvögel auf dem internationalen Ornithologen-Kongress in Berlin
1913 – 1945 erster Direktor des Aquariums im Zoologischen Garten
1924 – 1933 „Vögel Mitteleuropas“, gemeinsam mit Magdalena – zahlreiche weitere Publikationen
1926 – 1945 Präsident der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
1945 stirbt Oskar Heinroth im Keller des Aquariums
Katharina Heinroth, geb. Berger (1897-1989)
1897 geboren in Breslau
Studium der Zoologie, Botanik, Geographie und Geologie an der Universität Breslau
1923 promotio mit summa cum laude über das Hörvermögen von Reptilien und Promotion bei Otto Koehler
Ab 1928 Bibliothekarin der Leopoldina in Halle
1933 Heirat mit Oskar Heinroth, gemeinsame wissenschaftliche Arbeiten zur Ethologie und Orientierung der Tauben
1945 – 1956 Direktorin des Zoologischen Gartens Berlin
1989 Tod in Berlin.
Ein Gelbhaubenkakadu, offensichtlich im Gespräch mit Katharina Heinroth.
Die Anfänge der Verhaltensforschung
Bereits seine Mitschüler gaben Oskar Heinroth den Spitznamen „Entenheinrich“, weil er mit Begeisterung Wasservögel beobachtete. Die prachtvoll gefärbte Brautente hatte er als Abiturient in Dresden bestaunt. In Berlin wollte er sie dann ab 1908 auf den Parkgewässern aussiedeln und gewann für dieses Vorhaben sogar das Wohlwollen der Kronprinzessin. Die Ansiedlungsversuche waren kurzfristig erfolgreich, langfristig hat sich in Berlin die Brautente jedoch nicht freilebend etabliert. Seine Überlegungen, Studien und Experimente hat Heinroth in seinem ersten 1910 erschienenem Buch zusammengetragen. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm 1910 mit einer Arbeit über „Ethologie und Psychologie der Anatiden“ (Entenvögel). Revolutionär für die Zoologie war hier, auch das Verhalten der Arten unter stammesgeschichtlichen Aspekten zu betrachten. Durch genaue Beobachtungen des Tierverhaltens entwickelte er innovative wissenschaftliche Ideen, die später unter anderem durch Konrad Lorenz aufgegriffen und in Theorien der Verhaltensbiologie eingebettet wurden.
Forschung und Vorträge
Nur wer fragt…
Oskar und Magdalena Heinroth waren feinfühlige Tierbeobachter. Ihr Arbeitsmotto „Nur wer fragt, bekommt Antworten“ erstreckte sich aber nicht nur auf das Projekt ihrer Vogelaufzuchten. Auch im Freiland oder im Zoo waren die Tiere stets im Fokus und wurden die Beobachtungen in Notizbüchern festgehalten. In den ersten Jahren beschäftigte Oskar sich vor allem mit den Verhaltensweisen der Entenarten. Er erkannte schon 1906, dass diese artspezifisch verschieden sind und genauso als Artkennzeichen dienen können wie beispielsweise Gefiedermerkmale. Er postulierte, dass man auf der Basis solcher Vergleiche die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Gruppe der Enten aufschlüsseln könne und gab den vergleichenden Verhaltensstudien den Namen Ethologie. Heinroth entdeckte u.a. das Phänomen der Prägung, das später sein Schüler Konrad Lorenz an Graugänsen studierte.
… bekommt Antworten
Zu Heinroths weiteren Forschungsthemen gehörten Mauser, Vogelzug, Brutdauer und Paläontologie. Ihre Mission sahen die Heinroths in der Vermittlung naturkundlichen Wissens. Oskar Heinroth hat viele hundert Vorträge gehalten, vermittelt durch eine Eventagentur im Ruhrgebiet. Er sprach vor Schülern und Studenten, vor Haus- und Landfrauen, Naturschützern, Naturfreunden, ja sogar vor den Gefangenen der Strafanstalt Tegel. Seine Artikel zu biologischen Themen in Zeitungen und Magazinen sind kaum zu zählen. Am wichtigsten waren ihm die Vorträge vor seiner Fachgesellschaft, der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft (DOG). Zeitweise trug er bei deren Berliner Treffen alle zwei Wochen vor, oft kombiniert mit der hautnahen Präsentation von handaufgezogenen Vögeln; für viele Fachkollegen ein unvergessliches Erlebnis.
Oskar Heinroth mit dem berühmten Ornithologen Erwin Stresemann 1934
Oskar Heinroth über „Das neue Aquarium im Zoologischen Garten in Berlin“ 1917
Netzwerk und Prominenz
Mit ihrer großen Medienpräsenz wurden die Heinroths auch in der Berliner Bevölkerung zu Prominenten. Ihre Vorträge in der Urania – stets mit einer Prise Witz vorgetragen – waren legendär. Oskar führte nicht nur zahlreihe Schulklassen durch das Aquarium, sondern auch Kaiser Wilhelm II., seine Gattin Auguste Viktoria, den Reichspräsidenten oder die Schauspielerin Josephine Baker. Das Netzwerk der Kollegen und Freunde war groß: Nur wenige seien erwähnt: Erwin Stresemann als international einflussreichster Ornithologe, Konrad Lorenz als Begründer der modernen Verhaltensforschung, der zusammen mit Niko Tinbergen und Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis für seine Forschungen erhielt.
Oskar Heinroth war ein international anerkannter Ornithologe und Mitglied zahlreicher Wissenschaftsakademien wie der Leopoldina, der Preußischen Akademie der Wissenschaften oder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München. Als Präsident der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, die bereits 1850 gegründet worden ist, war er 18 Jahre aktiv und damit ihr längster Vorsitzender.
Gefiederte Meistersänger
Vogelstimmen hören
1935 erschienen im Verlag von Hugo Bermühler in Berlin-Licherfelde insgesamt drei Schallplatten mit dem Titel „Gefiederte Meistersänger“, die die Singstimmen von Vögeln dokumentieren. Hergestellt wurde sie von der Kultur-Abteilung der Carl Lindström Aktiengesellschaft, damals der größte europäische Schallplattenproduzent. Die drei Grammophonplatten waren Teil eines der ersten Hörbücher, die von dem Tierstimmenforscher und Musikwissenschaftler Ludwig Koch (1881-1974) als „das… tönende Lehr- und Hilfsbuch zur Beobachtung und Bestimmung der heimischen Vogelwelt“ initiiert wurden. Das Werk besteht aus Taschenbuch und drei Schallplatten in einem eigens dazu hergestellten Aufbewahrungskasten. Koch war Abteilungsleiter bei der Carl Lindström AG, bevor er 1936 nach England emigrieren musste. Aufgrund des großen Erfolges, erschien bereits ein Jahr später eine neue Folge der Gefiederten Meistersänger.
Platte 1: Amsel, Singdrossel, Star, Buchfink, Gelbspötter, Mönchsgrasmücke | Platte 2: Kohlmeise, Girlitz, Gartenrotschwanz, Dompfaff, Pirol, Rauchschwalbe, Feldlerche, Heidelerche, Sperbergrasmücke | Platte 3: Drosselrohrsänger, Stieglitz, Zeisig, Fichtenkreuzschnabel, Gartengrasmücke, Kuckuck, Nachtigall
Das große Buchprojekt | Die Vögel Mitteleuropas
Ein riskantes Unternehmen…
Die Heinroths begannen ihre Vogelaufzuchten zunächst aus reiner Neugier. Mit der Zeit entstand durch den Zuspruch von Kollegen und Freunden die Idee, ihre außergewöhnlichen Erfahrungen in einem Buch zusammenzufassen. Als die „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen“ die Finanzierung übernahm, konnte das Vorhaben realisiert werden. Der für seine Naturbücher bekannte Berliner Verleger Hugo Bermühler erklärte sich bereit, das durch die zahlreichen Fotos aufwändige Werk zu publizieren. Ein riskantes Unternehmen, zumal die Auflagenhöhe 5.000 Exemplare betragen sollte. Zunächst waren drei Bände vorgesehen, die ab März 1924 alle drei Wochen in insgesamt 60 Einzellieferungen erschienen. Damit wurden die teuren Bücher für viele Leser erschwinglich. 1931 erschien noch ein vierter Band, um alle gewünschten Vogelarten unterzubringen. Nach knapp 10 Jahren war das Opus Magnum der Heinroths fertig – ein gewaltiger Kraftakt und eine Pionierleistung.
Die Vögel Mitteleuropas – Band 1 ansehen
Die Vögel Mitteleuropas – Band 2 ansehen
… und eine Pionierleistung
In den vier großformatigen Bänden erhielt jede der 286 behandelten Arten einen eigenen, gelegentlich eigenwilligen biografischen Text und meist mehrere Fototafeln. Das Werk wurde sowohl in der Fachwelt als auch in der Laienpresse begeistert aufgenommen. Eine so vollständige Darstellung der Jugendentwicklung aller europäischen Vogelarten in Wort und Bild war vollkommen neu. Mit dem Schwerpunkt auf Beschreibung und Vergleich des Verhaltens heranwachsender Vögel markiert es den Beginn der Verhaltensforschung in Deutschland. Die unruhige Vorkriegszeit und der Zweite Weltkrieg verhinderten eine weite Verbreitung. Insgesamt sind ca. 2.600 Exemplare gedruckt worden, die meisten davon jedoch kriegsbedingt verloren gegangen. Die wenigen erhaltenen Erstausgaben gelten heute als Kostbarkeit.
Die Vögel Mitteleuropas – Band 3 ansehen
Die Vögel Mitteleuropas – Band 4 ansehen
Weiterfliegen!
Die Botschaft der Heinroths
Der Artenreichtum und die Vielfalt der Natur, wie die Heinroths sie alltäglich erlebten, ist heute kaum noch vorstellbar. Die Landschaften waren von einer großen Fülle an Insekten, Vögeln, Säugetieren und Pflanzen geprägt. Viele Vogelarten, die damals als häufig galten, etwa Feldlerche, Kiebitz, ja auch Seggenrohrsänger, sind heute stark zurückgegangen oder bereits verschwunden. Sie stehen auf den Roten Listen bedrohter Arten und gelten als kritisch gefährdet. Das Verschwinden dieser Vögel ist ein sichtbares Zeichen für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt und für den schlechten Zustand der natürlichen Lebensräume. Doch nur, was bekannt ist, kann geschätzt und geschützt werden.
Tut etwas und es wird besser!
Ein Umdenken ist dringend erforderlich. Die Bücher und Fotografien der Heinroths dokumentieren eindrucksvoll ihre enge Beziehung zur Natur sowie ihr frühes Engagement für den Schutz der Umwelt. Ihr Vermächtnis mahnt dazu, sich intensiv mit der Natur auseinanderzusetzen, Verantwortung zu übernehmen und Maßnahmen zum Erhalt und zur Wiederherstellung gesunder Ökosysteme zu ergreifen. Der Schutz der natürlichen Umwelt ist eng mit der Zukunft der Menschheit verbunden. Veränderungen in der Natur bleiben oft unbemerkt, da grundlegendes Wissen über Tier- und Pflanzenarten sowie ihre Lebensräume zunehmend fehlt.
Die Vogel-WG – Eine Ausstellung im Stabi Kulturwerk – 13.06.-14.09.2025
Kuratorinnen: Dr. Gabriele Kaiser – Dr. Katrin Böhme – Öffentlichkeitsarbeit: Vincent Schmidt – Online-Präsentation: Eva Rothkirch
Nachlass Heinroth