9. Dezember
‚Reisende Erzählungen‘ ist der Titel der derzeit in der Staatsbibliothek laufenden Ausstellung zu den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, die noch bis zum 18. Januar zu sehen ist. Die Erzählungen, die über verschiedenste Wege aus Indien und dem Iran ihren Weg bis nach Europa und Deutschland gefunden haben, sind aber nicht nur zu uns gereist, sie bieten auch die Möglichkeit, mit ihnen in die Gegend ihrer Entstehung zu reisen.
Und so entführen wir Sie heute nach Bagdad, der Stadt, in der der Seiler Hassan Alhabbal lebt und arbeitet. Herausgegeben und für Kinder bearbeitet wurde diese Geschichte zusammen mit weiteren Erzählungen im Jahr 1834 von Albert Ludwig Grimm, der mit seinen berühmten Namensvettern Jacob und Wilhelm allerdings nicht verwandt war. Im Gegenteil – der Weinheimer Grimm lieferte sich mit den Hanauer Grimms einen erbitterten Streit über die Art, wie man Märchen aufschreiben und erzählen soll. Albert Ludwig Grimm war im Gegensatz zur genau-dokumentarischen Art der Märchensammlung der Brüder Grimm der Meinung, die Märchen sollten zur Bildung und moralischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen aufbereitet werden.
Das wird auch schon am Titel des Buchs deutlich: Bunte Bilder aus der Feen- und Mährchenwelt der Tausend und Einen Nacht: zur angenehmen Unterhaltung und Erweckung des Geistes / für fleißige Kinder. Grimm trug mit derartigen und vielen weiteren Textausgaben zu Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht entscheidend zur Verbreitung der Geschichten bei und erhöhte die Attraktivität für Kinder und Jugendliche auch, indem er ihnen hübsche Kupferstiche beigab.
Die Geschichte, die wir Ihnen heute vorstellen, erzählt von der Frage, wie ein armer Mensch zu Reichtum gelangen kann und gibt nebenbei auch Hinweise zu Fragen des Schenkens und Beschenkt-Werdens – vielleicht keine ganz schlechte Geschichte so kurz vor Weihnachten?
In der großen Stadt Bagdad lebten die beiden Freunde Saad und Mehram, die einst abends durch die Straßen von Bagdad spazierten und sich darüber unterhielten, auf welche Weisen man zu Reichtum gelangen könne. Saad vertrat die Meinung, es brauche nur das geeignete Startkapital, mit dem sich ein armer Mensch durch „Fleiß und Thätigkeit“ Reichtum und Wohlstand erarbeiten könne. Mehram widersprach: es brauche vor allem Glück und Zufall, damit ein armer Mensch reich werde. Vertieft in das Gespräch trafen die beiden auf den tüchtigen und bettelarmen Seiler Hassan Alhabbal, den sie, nachdem sie einige Erkundungen über ihn eingeholt hatten, als Versuchsobjekt auswählten. Saad schenkte ihm 200 Zechinen (Goldmünzen) und die beiden Freunde nahmen sich vor, nach einer gewissen Zeit zu überprüfen, ob der Seiler Hassan mit diesem Startkapitel zu Reichtum gelangen konnte.
Nachdem er das kostbare Geldgeschenk erhalten hatte, beendete Hassan seine Arbeit früher als sonst und überlegte, was er nun mit dem Geld anfangen solle. Auch um es dem Zugriff seiner Frau zu entziehen (er glaubte, sie würde verschwenderisch mit dem Geld umgehen), nähte er es schließlich in die Falten seines Turbans ein. Das Glück war dem Seiler allerdings nicht hold: Auf dem Heimweg vom Markt attackierte ihn ein Geier, raubte Hassan seinen Turban und flog davon (Szene links im Bild).
Ein Jahr später waren Saad und Mehram erneut in den Straßen Bagdads unterwegs und trafen auf den Seiler Hassan, der immer noch verarmt am gleichen Platz Seile herstellt. Hassan berichtete ihnen vom Verlust des Geldes und Saad schenkte ihm – obwohl sein Freund Saad der Meinung war, Hassan lüge und habe das Geld verprasst – erneut 200 Goldmünzen. Es kam wie es kommen musste: auch das zweite Geldgeschenk ging durch unglückliche Verwicklungen verloren.
Als Saad und Mehram Hassan wiedersahen, waren sie enttäuscht und glaubten dem Seiler nicht mehr, dass er das Geld zweimal durch Unglück verloren habe. Mehram schenkte dem Seiler Hassan zum Abschied ein kleines, zufällig herumliegendes Stück Blei: „Wenn euch aber das Glück günstig ist, so kann euch das unbedeutende Stückchen Blei eben so gut zum Wohlstande verhelfen, als die großen Geschenke meines Freundes.“
Sie können es sich vermutlich nun schon denken: durch glückliche Umstände – diese beinhalten einen Fisch und einen Edelstein – gelangt Hassan Alhabbal mit dem Stückchen Blei zu Reichtum. Der Seiler wird zum wohlhabenden Kogia Hassan Alhabbal und ein bedeutender Seilhändler. Bei einem Wiedertreffen zwischen Hassan, Saad und Mehram finden sich auf wundersame Weise die Belege für den zweimaligen Geldverlust. Der Verdacht, dass Hassan das Geld unehrlich verprasst hatte, löst sich in Luft auf und alle drei werden gute Freunde. Am Schluss steht die Entscheidung der eingangs gestellten Frage, wie man zu Reichtum gelangen kann: … Da sprach Saad zu Mehram: „Ich muß dir den Sieg zugestehen; das Geld ist nicht immer ein Mittel, zu Reichthümern zu gelangen. Das Glück vermag es eher, ein unbedeutendes Ding in die unermeßlichsten Schätze zu verwandeln.“
Leider können wir Ihnen nicht alle fünf Geschichten, die Albert Ludwig Grimm zusammengestellt hat, vorstellen. Sie finden die Erzählungen aber nicht nur im hier vorgestellten Grimm’schen Buch, sondern auch in anderen Ausgaben oder Zusammenstellungen frei verfügbar im Netz (z.B. als fünf Bände der Mährchen-Bibliothek für Kinder: 1,2,3,4,5).
Veranstaltungshinweis: heute Vortrag
Wenn Sie neugierig geworden sind auf die Erzählungen von Tausendundeiner Nacht, kommen Sie doch heute Abend zum Vortrag von Mareile Oetken (Oldenburg ) zum Thema Bilderbücher als Assoziationsgewebe vom Orient oder schauen Sie ins Rahmenprogramm der Ausstellung, ob Sie eine andere Veranstaltung interessiert.
Ort: Staatsbibliothek zu Berlin, Simón-Bolívar-Saal,
Zeit: 09.12.19, 18.00 Uhr.
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