5. Dezember
Die Winter- und Weihnachtszeit ist leider auch die Zeit der triefenden Nasen, der größeren und kleineren Kinderkrankheiten. Sie ist aber auch die Zeit, in der übernatürliche und magische Wesen Konjunktur haben: Nikoläuse, fliegende Rentiere, Weihnachtsmänner, -wichtel und -trolle …
Unser heutiges Objekt bringt beide Themenbereiche zusammen: Kinderkrankheiten und magische Wesen. Neugierig geworden? Dann folgen Sie uns auf den Spuren dieses schönen Leporellos aus dem 19. Jahrhundert, das uns Einblicke in traditionelle Glaubensvorstellungen und Heilpraktiken der Khmer gewährt.
Wenn ein kleines Kind unaufhörlich weint, Nahrung verweigert und besonders Anzeichen von Krämpfen zeigt, steckt in der traditionellen Vorstellung vieler Kambodschaner die Mutter aus einem früheren Leben (mday daoem) dahinter, die ihr Kind, das jetzt von einer anderen Frau geboren wurde, zurückholen will. Mday daoem irren als Geister in Menschen- oder anderer Gestalt wie z. B. als Tiger, Affe oder dämonisches Wesen umher. Die von ihnen verursachte Krankheit wird skán mday daoem genannt. Nach dem Verständnis der modernen Medizin kann es sich bei skán um verschiedene Krankheiten handeln. Häufig sind es Wundstarrkrampf, Epilepsie oder Diphterie. Durch Zeremonien soll man herausbekommen können, welche Geisterform (chap) von mday daoem das Kind ergriffen hat, ob es z. B. Neang Sovacchum (Krokodil-Geist) oder Neang Sah (Tiger-Geist) ist. Auf den Bildern erkennt man die erkrankten Kinder an der verkrampften Handstellung. Bis heute glauben noch viele Menschen auf dem Lande besonders im Norden Kambodschas an mday daoem. Sie bringen das erkrankte Kind zwar zum Arzt, führen jedoch zusätzlich verschiedene Zeremonien durch, um das Kind aus dem Griff der mday daoem zu befreien. Dabei wird letztlich ein „Kindertausch“ erwirkt, bei dem die frühere Mutter symbolisch ein aus einer Bananenstaude geschnitztes Kind bekommt und die jetzige Mutter ihr Kind behalten kann. So vielfältig wie die Zeremonien sind auch die traditionellen Behandlungsformen bei skán-Krankheiten.
Auf dem Bild hier sehen Sie die mday daoem namens Neang Sah („Frau Weiß“) in Form eines Tiger-Geistes (preay preah khla). Sie hält das Kind fest an der Hand. Im Text steht, dass sie das Kind an der Magengrube „ergreift“, also dort Schmerzen verursacht. Zur Rettung des Kindes wird folgendes Mittel empfohlen: eine Blattknospe der Heilpflanze sambaoem kbal khlar („mächtiger Tigerkopf“), eine Pflanze kantrong khit mual phloeung, sieben Scheiben Ingwer und ein Krümel grobes Salz im Mund zerkauen und mit einem Schluck Schnaps auf den Patienten spucken. Bei einer Opferzeremonie soll mit Blättern des Baumes day khla („Tiger-Arm“) über eine Figur hinweggefegt werden. Diese Figur soll aus einem Erdklumpen geformt werden, der aus einem Gewässer stammt. Ihr Kopf wird schwarz, die Arme weiß und der Körper gelb bemalt.
Die ganze Handschrift sowie zahlreiche andere digitalisierte Handschriften und Bücher in westlichen Sprachen mit Südostasien-Bezug finden Sie unter Ressourcen – Digitalisierte Sammlungen – Südostasiatica auf der Webseite von CrossAsia.
Falls Sie weitere historische Darstellungen von magischen Vorstellungen suchen, dann lassen Sie sich doch von unserem Katalog zum historischen Altbestand zur Kategorie „Aberglaube, Magie“ inspirieren. Dass das Thema derzeit in Berlin virulent ist, zeigt eine aktuelle Publikation und zum Beispiel dieser Podcast-Beitrag.
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