7. Dezember
Ein Hinweis zur alljährlichen Geschenkefrage: Kunst verschenken ist heikel – für alle Beteiligten! Die Chance ist hoch, dass das sorgfältig ausgewählte Plakat oder die hochwertige Zeichnung nicht auf Gegenliebe stößt, sondern nach einem verkrampften Dank am Ende nur irgendwo verstaubt. Es kann aber auch ganz anders kommen, wie unser heutiges Kalendertürchen zeigt!
Der Blick in die Widmung erzählt uns nämlich, dass ein Herr namens Tilo zu Weihnachten 1947 eine Mappe mit 16 Farbdrucken zu Texten E.T.A. Hoffmanns erhalten hat. In den folgenden Jahren ist diese Mappe dann durch mehrere Hände gewandert, bis sie am 21.10.1984 bei dem Zeichner selbst ankam. Dieser Zeichner, Eberhardt Brucks, hatte die Federzeichnungen zum 125. Todestag Hoffmanns im April 1947 unter dem Titel „Brucks sieht Hoffmann“ publiziert und wurde dadurch als Künstler bekannt. Die Publikation war sogar so erfolgreich, dass bereits im August 1947 eine neue Ausgabe mit einer Einführung von Brucks und drei weiteren Illustrationen erschien.
Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass der 1917 in Berlin-Lichtenrade geborene Eberhardt Brucks ausgerechnet mit Zeichnungen zu Werken E.T.A. Hoffmanns Aufmerksamkeit fand, denn Hoffmann war für Brucks zeitlebens besonders wichtig: Er setzte sich immer wieder mit ihm auseinander und beschreibt seinen Bezug zu Hoffmann in der Einführung zur zweiten Auflage der Kunstmappe selbst: „Ja, das war sie, meine erträumte und zugleich gefürchtete Wunschwelt, die sich von der grauen Wirklichkeit so sehr unterschied.“
Die Wirklichkeit war für Brucks als junger homosexueller Mann nicht zuletzt während der NS-Zeit besonders bedrohlich. Sein Nachlass im Schwulen Museum vermittelt einen Eindruck von der individuellen Lebensgeschichte eines homosexuellen Mannes im 20. Jahrhundert. In einer Ausstellung gewährte das Museum 2008 deshalb Einblick in Brucks‘ Materialsammlung, die künstlerische Arbeiten ebenso umfasst wie seine Briefe aus der Kriegszeit, Fotografien und hunderte Programm- & Werbezettel, Eintrittskarten und persönliche Dokumente.
In der SBB hält die Kinder- und Jugendbuchabteilung eine Mappe mit Originalgrafiken bereit, und in unserem E.T.A. Hoffmann Portal können Sie beide Versionen der hier gezeigten Kunstmappe online ansehen: die Grafiken lassen sich in einer zoombaren Vollansicht im Detail studieren, in verschiedenen Formaten downloaden und über einen gesonderten Viewer beispielsweise mit Illustrationen anderer Künstler*innen vergleichen. Und überhaupt: Im Hoffmann-Portal können Sie hervorragend stöbern und sich mit dem weltweit am häufigsten illustrierten Schriftsteller der Romantik bekanntmachen. Und für besonders Interessierte bietet die SBB sogar Workshops an. Vielleicht also besser Links verschicken als Kunst zu Weihnachten verschenken?