5. Dezember

Die Tagebücher des Komponisten Paul Höffer

Text: Jean Christophe Gero (Musikabteilung), Abbildungen: Hagen Immel (Abteilung für Bestandserhaltung und Digitalisierung)

Blättert man einmal in den Tagebüchern des Berliner Komponisten Paul Höffer (1895–1949), die mit seinem Nachlass in der Musikabteilung verwahrt werden, ist man gefesselt und kann nicht aufhören darin zu lesen. Es ist eine Zeitreise in das Berlin der Weimarer Republik, der Nazidiktatur und des hoffnungsvollen Wiederaufbaus, ein berührendes Dokument aus schwieriger Zeit. Einzigartig in seiner authentischen Ehrlichkeit. Höffer hatte bereits 1918 einen Tagebuchversuch gestartet, schrieb von 1920–1924 regelmäßig, um dann im Februar 1933 bis drei Tage vor seinem plötzlichen Tod Ende August 1949 sich fast täglich dem Tagebuch anzuvertrauen.

Im Herbst 1920 schildert er das Berlin der 20er Jahre, wie er als Student aus der rheinischen Provinz – er war zusammen mit Hermann Göring in Rheydt zur Schule gegangen – in der aufstrebenden Metropole klarkommt. Wir erfahren viel über Liebeskummer und studentische Geldsorgen. Bewunderung, aber auch viel Verächtliches liest man über den Kompositionsunterricht bei Franz Schreker. Trotz geringer Finanzmittel versucht Höffer am Kulturleben der Stadt teilzunehmen, eine günstige möblierte Wohnung zusammen mit seiner späteren Frau Lotte zu finden.  Erhalten haben sich plastische Konzerterlebnisse, etwa von Klavierabenden mit der Pianistin Elly Ney. Schon 1933 geht es Höffer so gut, dass er mit seiner zweiten Frau und kleinen Tochter Marianne ein Reihenmittelhaus in der von Bruno Taut geplanten Siedlung am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte unweit der Krummen Lanke beziehen kann. Das Haus am Hegewinkel steht noch heute. 1936, anlässlich der Olympischen Spiele, erhält er die Goldmedaille für seine Komposition des „Olympischen Schwurs“. Berlin präsentiert der Welt den schönen Schein des Dritten Reichs.

Auch wenn Höffer, der ein durchaus erfolgreicher und geachteter Komponist im Freundeskreis von Paul Hindemith wird, anfangs noch einige wenige bewundernde Worte für Hitlers Tatendrang übrig hat, überwiegt von Jahr zu Jahr die Skepsis und entwickelt sich im Laufe des grauenvollen Krieges zu offener Ablehnung. Am 7. Januar 1940 schreibt er unverhohlen:

Voller Entsetzen und Angst schildert er die bangen Stunden der zahlreichen nächtlichen Fliegerangriffe auf Berlin, das bange Verharren im häuslichen Keller und die Erleichterung am nächsten Morgen, dass das eigene Haus noch unversehrt geblieben ist.

Für Paul Höffer waren seine Tagebücher ein Mittel, sich in einem geschützten Raum freimütig zu äußern. Sie scheinen wie eine trostspendende Zuflucht beinahe überlebenswichtig für ihn gewesen zu sein. Hier verurteilte er den aufkommenden Antisemitismus und die zahlreichen Entlassungen und Bespitzelungen an der Hochschule ebenso vehement wie die zunehmende Militarisierung und Uniformierung im Alltag. Oftmals kann er die Situation kaum ertragen, flüchtet sich in den Alkohol. Über den plötzlichen Selbstmord des bekannten Komponisten Hugo Distler schreibt er am 3. November 1942, er sei einer von denen gewesen, der die Zeit nicht ertragen konnte: „Es gibt deren viele, tägliche Selbstmorde sprechen Bände. Ein tragischer Fall, weil die angefangene Lebensarbeit eines hochbegabten auf Grund von Dingen abgebrochen wird, die er selbst nicht verschuldete. – Wie er sich wohl gequält hat, der arme Kerl, der noch außerdem hohe Verantwortung fühlte und ein gläubiger Christ war. – Aber er fand unsere Zeit zu schrecklich, zu traurig, eine Hölle, deren letzter Glut er sich nicht gewachsen fühlte. Der arme Kerl.“

Selbst die NS-Feierkultur betrachtete er mit einer Mischung aus Spott und Befremden, erkannte Musik als Mittel der Propaganda: „Was sie Kultur nennen, sind jetzt nur Verzauberungsmittel“ (7.1.1940). Gedankenwelt und Außenwirkung des Komponisten bzw. seine Tätigkeit als Tonsetzer gerade für die offiziellen staatlichen Veranstaltungen fallen völlig auseinander. Aus den Tagebüchern wird deutlich, dass er die Ausführung mancher Auftragswerke als durchaus belastend empfand und mit vorgeschobenen Ausreden auch ablehnte, wie die Komposition eines Hörspiels „Horst Wessel“ 1933, einer „Heldischen Feier“ zum Heldengedenktag 1935 oder noch 1943 die Vertonung von Durchhalteparolen zu einer Feierstunde im Berliner Sportpalast. Für die Nazigrößen Göring, Hitler und Goebbels fand Höffer im Tagebuch breiten Raum für Häme und Hohn. Die Tagebücher gewähren einen seltenen Blick auf das wahre, menschlich oftmals berührende Innenleben eines Komponisten während der Diktatur.

Die Tagebucheinträge wurden von Jean Christophe Gero eingesprochen.