11. Dezember
Dzehkabtún, Mexiko: Ein Dachkamm, silberne Glocken und ein Nachlass in Berlin
Dr. Iken Paap (Referat Altamerikanistik des Ibero-Amerikanischen Instituts)
„Man sagt: Silah hat die silbernen Glocken der Kirche nach Berlin mitgenommen.“
Diesen Kommentar eines Arbeiters aus dem Dorf Santa Rita Becanchén während der Grabungen am Maya-Fundort Dzehkabtún (Campeche, Mexiko), wo das Ibero-Amerikanische Institut (IAI) mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2012 bis 2018 geforscht hat, habe ich zunächst halb überhört, nicht zuordnen können, vergessen – und erst viel später (vielleicht ein wenig) verstanden:
Kirchen – iglesias – nennen die Leute vor Ort die Gebäude mit erhaltenen Dachkämmen (mauerförmige Zier-Aufsätze auf den flachen Dächern) in den Ruinenorten der zentralen Halbinsel Yucatán. Und tatsächlich: die Fassaden der kolonialzeitlichen katholischen Kirchen in den Ortschaften der Umgebung enden oben häufig in einem hohen durchbrochenen Ziergiebel, der weit über das dahinter liegende Dach hinausragt. Oft hängen Glocken in den größeren ‚Fenstern‘. Die Assoziation mit den präkolonialen Dachkämmen (span. cresterías) liegt nahe.
Cresterías schmückten Gebäude, die als Tempel oder Tempel-Paläste interpretiert werden, sie waren mit Stuck verputzt, teilweise auch mit reichem Figurenschmuck versehen. Die Öffnungen sollten vermutlich den Windwiderstand und das Gewicht dieser Konstruktionen etwas verringern – Glocken haben sie aber sicher nicht getragen.
Von Schätzen in Form goldener und silberner Glocken erzählt man in den Dörfern häufig, auch in Santa Rita Becanchén. Zum Beispiel: wer um Mitternacht eine Glocke auf dem Feld hört und ein Licht sieht, soll bei Tag an der Stelle graben und wird einen Schatz (eine goldene Glocke) finden – nur darf er mit niemandem vorher darüber sprechen.
Aber: Silah? Berlin?
Vielleicht: Seler?