13. Dezember

Ein neuer Müteferrika? Sicher wird diese Frage bei den wenigsten Lesern spontane Bekundungen des Erstaunens hervorrufen, aber die erläuternde Geschichte dahinter liest sich teilweise wie ein Krimi:

Im Rahmen der Vorbereitung der Ausstellung Reisende Erzählungen: Tausendundeine Nacht zwischen Orient und Europa (20. November 2019–18. Januar 2020 im Dietrich-Bonhoeffer-Saal) mussten wie gewöhnlich von den vielen auszustellenden Objekten auch kurze Beschreibungen für die Besucher*innen zusammengestellt werden.

Zu einer handkolorierten Karte (Diez A fol. 58, Bl. 10r) aus einem gebundenen Kartenkonvolut aus dem Nachlass des berühmten Orientalisten und Sammlers Heinrich Friedrich von Diez (1751–1817) waren die historischen Beschreibungsdaten allerdings zunächst mehr als dürftig.

Es musste also kostbare Zeit „geopfert“ werden, um das auf den ersten Blick doch recht schlichte und auch schon relativ altersschwache Objekt so zu beschreiben, dass es das Interesse der zukünftigen Ausstellungsbesucher*innen wecken würde.

Eine kurze Beschreibung der Karte in einer aktuellen Veröffentlichung erwies sich als irreführend: Wohl der schlechte Erhaltungszustand hatte den Experten zu einer falschen Entzifferung der arabischen Schrift in osmanisch-türkischer Sprache verleitet. Misstrauisch geworden, wurde die Karte weiter „unter die Lupe“ genommen, und mit Amtshilfe der Experten aus der Kartenabteilung der Staatsbibliothek auch – direkt über dem Äquator ganz im Westen, etwa vor dem heutigen Sierra Leone gelegen – eine Kartusche (Abbildung links) mit einer schwer leserlichen Signatur des Kartenstechers entdeckt.

Nach kurzer Rückfrage bei einer türkischen Kollegin aus der İstanbul Medeniyet Üniversitesi (per WhatsApp: „Sorry, steuere gerade mein Auto durch Istanbul und kann leider erst in 2 Minuten antworten…“) kam die erstaunlich zeitnahe Bestätigung: Es handelte sich tatsächlich um den Armenier Mıgırdıç Galatavı (nachgewiesen aktiv: 1732–1738/1739), der wohl nur Eingeweihten als einer der Kupferstecher von Ibrahim Müteferrika (zwischen 1670 und 1674–1747) geläufig ist. Letzterer wiederum weist schon einen bedeutend größeren Bekanntheitsstatus auf, war er doch der Begründer des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in arabischer Schrift in der islamisch geprägten Welt – im offiziellen Auftrag des Sultans. Müteferrika wurde intensivst erforscht und in unzähligen Büchern und Artikeln behandelt. Die in seiner Offizin gedruckten Werke sind kanonartig aufgelistet: 17 Werke in 23 Bänden. So auch seine separaten Karten: vier, in anderen Quellen auch fünf – aber nicht dabei die Karte im Besitz der Staatsbibliothek.

Nach weiteren Recherchen konnten tatsächlich noch mindestens elf weitere Exemplare der Karte verstreut auf der ganzen Welt lokalisiert werden. Wieso nur waren diese bisher der Fachwelt entgangen und der Bezug zu Müteferrika nicht hergestellt worden? Die Antwort ist eigentlich simpel: nur auf dem Exemplar der Stabi und auf einem Exemplar in Haifa ist die Kartusche des Kartenstechers ausgefüllt; bei allen anderen bisher zugänglichen Karten ist die Kartusche leer bzw. hat sich nur der Erfinder dieses Mekka-Finders – und nicht anderes ist die Karte – verewigt.

Somit führt ein kleines Detail aus einer abgenutzten Karte wohl zu einer schönen Weihnachtsüberraschung für die Fachcommunity, wenn denn der sich gerade in Arbeit befindliche „Enthüllungsartikel“ noch rechtzeitig fertiggestellt und auch veröffentlicht werden kann.

Vorher sind Sie natürlich alle herzlich eingeladen, dieses relativ unscheinbare, aber eventuell bald einige „Wellen schlagende“ Objekt in der Tausendundeine-Nacht-Ausstellung zu bewundern.

Falls Sie mehr über die Objekte der Ausstellung Reisende Erzählungen: Tausendundeine Nacht zwischen Orient und Europa wissen möchten, dann nehmen Sie doch an unserem Rahmenprogramm teil: Heute zeigen wir den Dokumentarfilm al-Halqa von Thomas Ladenburger (Berlin).

Ort: Staatsbibliothek zu Berlin, Simón-Bolívar-Saal,

Zeit: 13.12.19, 18.00 Uhr.

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