7. Dezember

Direkt neben der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße liegt das Ibero-Amerikanische Institut (IAI), in dessen Archiven Bücher, Landkarten, Fotografien und Nachlässe mit Bezug zu Lateinamerika, der Karibik, Spanien und Portugal aufbewahrt werden. Mit dem Nachlass des Freiburger Anthropologen Ulrich Köhler kommt im Sommer 2018 eine Kladde ins IAI, deren handschriftliche Einträge in zwei Spalten Rätsel aufgeben: Was ist das für eine Sprache? Woher stammt der ursprüngliche Text? Und was bedeuten die offensichtlich später hinzugefügten Notizen, die auf Kaiser Maximilian von Mexiko verweisen? Umfangreiche Recherchen in Antiquariatskatalogen, Verzeichnissen alter Bücher und Fußnoten wissenschaftlicher Abhandlungen decken eine spannende Geschichte auf:

Im 16. Jahrhundert werden in Mexiko die ersten Wörterbücher indigener Sprachen gedruckt. Diese seltenen Exemplare erhalten durch ihre Nutzer*innen oft handschriftliche Anmerkungen, sogenannte Randglossen. Dem Wörterbuch von Antonio de Molina in Spanisch und Nahuatl (1571) werden so Übersetzungen in die Sprache Otomí, einer indigenen Ton-Sprache in Mexiko, hinzugefügt. Solch ein Exemplar lässt Kaiser Maximilian von Mexiko durch seinen Hofbibliothekar Leo Reinisch (später als Ägyptologe berühmt) erwerben. Nach der Hinrichtung des Kaisers 1867 entkommt Reinisch nach Europa und verkauft dort einige der wertvollen Bücher an Antiquariate. Auf diesem Weg gelangt das Wörterbuch in den Besitz von Gustav Brühl, der aus dem Rheinland in die USA auswandert, dort zu Reichtum kommt und sich forthin der Altertumskunde und Archäologie widmet. Über Brühls Bekanntschaft mit dem Berliner Altamerikanisten Eduard Seler kommt das Wörterbuch an die Spree, wie der Eintrag auf der Titelseite von Selers Hand berichtet:

Das Exemplar ist von Dr. Gustav Brühl, Cincinnati, Ohio, erworben worden. Bei ihm sah ich es im Jahre 1887. – Nach dem Amerikanistenkongreß in New York vom Jahre 1902, erlangte ich es, daß das Buch mir nach Berlin gesandt wurde. Im Sommer 1904 habe ich die handschriftlichen Otomi-Legenden durch einen Schreiber kopieren lassen.

Seler lässt 1904 davon eine handschriftliche Kopie anfertigen – und dies ist die hellgrüne Halbleinenkladde, die nun im IAI liegt. Das originale annotierte Wörterbuch ist spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen und so stellt die Kopie ein einzigartiges Zeugnis des Otomí aus dem 16. Jahrhundert dar. Für alle Forscher*innen stellt das IAI sie in den Digitalen Sammlungen hier zur Verfügung.

Dieser Beitrag ist entstanden in Kooperation mit unserer Nachbarbibliothek zu Lateinamerika im Haus Potsdamer Straße, dem Ibero-Amerikanischen Institut.

Ibero-Amerikanisches Institut

Sie interessieren sich für weitere gemeinsamen Projekte? Dann schauen Sie sich doch den Blogbeitrag über einen internationalen Workshop zum Projekt Manuscripta Americana an.

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