23. Dezember

Sebastian Brant und die närrische Typographie

Dr. Oliver Duntze (Handschriftenabteilung)

Das „Narrenschiff“ des Sebastian Brant, von dessen 1494 in Basel erschienener Erstausgabe (→ GW 5041) ein Exemplar in der Inkunabelsammlung der Staatsbibliothek verwahrt wird, gehört mit Sicherheit zu den bekanntesten Büchern des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine der wirkungsmächtigsten Moralsatiren der deutschen Literatur, die in 112 Kapiteln typische Laster oder Fehlverhalten vorstellt, die aus der närrischen Unvernunft der Menschen erwachsen: Völlerei, Habsucht, Untreue und vieles mehr. Dass jedes Kapitel durch einen großformatigen Holzschnitt illustriert wird, der das beschriebene Laster bildlich verdeutlicht, wird nicht wenig zum Erfolg von Brants Werk beigetragen haben.

Auch heute noch gehört die Lektüre der günstigen Reclam-Ausgabe zum Pflichtprogramm im Germanistikstudium, frühe Ausgaben des Textes sind unter Sammlern begehrt und erzielen Spitzenpreise im Antiquariatsbuchhandel. Der zu Beginn des Textes abgebildete Büchernarr ist als Identifikationsfigur buchaffiner Bildungsbürger unzählige Male reproduziert worden und hat Sie auch heute auf der 23. Kachel des Adventskalenders begrüßt.

Doch trotz des hohen Bekanntheitsgrades enthält gerade die Erstausgabe des Textes einige „närrische“ Feinheiten, die leicht zu übersehen sind bzw. bei der Lektüre neuerer Ausgaben schlichtweg verloren gehen. Eines dieser Details ist die Typographie des Narrenschiffs, deren Reiz sich erst mit etwas Hintergrundwissen zu den Konventionen der Schriftverwendung im 15. Jahrhundert und einem Blick für typographische Feinheiten und im Ganzen erschließt.

Auf den ersten Blick scheint das Narrenschiff in einer im 15. Jahrhundert ganz üblichen Drucktype gesetzt zu sein, der sogenannten „Oberrheinischen Bastarda“. Die Bastardaschriften, die sich in zahlreiche stilistisch zu unterscheidende Untergruppen gliedern, erscheinen ab dem 14. Jahrhundert und waren vor allem in Handschriften des 15. Jahrhunderts als kursive (d.h. in fortlaufendem Zug geschriebene) Buchschriften weit verbreitet. Ab den 1480er Jahren wurden sie auch als Druckschriften nachgeahmt, wobei sie in Deutschland fast ausschließlich für den Druck volkssprachlicher Texte reserviert waren. Für lateinische Texte wurden hingegen entweder die typographischen Adaptionen der stärker formalisierten nicht kursiven Buchschriften des Mittelalters verwendet (Textura oder Rotunda), oder die uns heute als ‚lateinische Druckschrift‘ geläufige Antiqua.

Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Basel: Johann Bergmann von Olpe, 11.II.1494, Titelblatt (Vorder- und Rückseite), GW 5041. Zum Digitalisat des Exemplars der Staatsbibliothek gelangen Sie hier.