Begleiten Sie uns auf einem kleinen Rundgang durch den Bibliotheksbau an der Potsdamer Straße, einem der beiden Standorte der Staatsbibliothek zu Berlin. Lernen Sie dabei, dass sich die liebevolle Bezeichnung ‚Bücherschiff‘ nicht nur auf die an einen Ozeanriesen erinnernde Außenansicht bezieht und kommen Sie mit auf einen Landausflug am Heimathafen, dem Kulturforum. Treffen Sie die Konstrukteure, Hans

Scharoun und Edgar Wisniewski und erfahren Sie Wissenswertes über die beeindruckende Fracht des Tankers und die darin enthaltenen Schätze!

Kurz – gesellen Sie sich für eine Weile zu den Passagieren, unseren Leserinnen und Lesern, erfahren Sie Wissenswertes über das denkmalgeschützte Gebäude, seine Funktion und seine Umgebung. Leinen los und ahoi!

Architektur

Form follows function

Die Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße ist ein vielgliedriger Gebäudekomplex mit verschiedenen linearen Formen und Terrassen, die sich zum Kulturforum hin öffnen. Von außen wirkt sie auf viele Betrachter wie ein großer Tanker, vor allem auch durch die Gestaltung des erhöhten goldenen Gebäudeteils im Zentrum. Deshalb wird sie auch als „Bücherschiff“ oder „Ozeanriese“ bezeichnet. Der Dampfer war als Zeichen des Aufbruchs eine Leitmetapher der Moderne.

Für den Architekten Hans Scharoun bildete der Mensch den Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Architektur. Deshalb sind die Räume seiner Häuser selten streng rechteckig, sondern entfalten sich wie eine Landschaft. Die Bibliothek zählt deshalb zu den Bauten der so genannten „organischen Architektur“, die versucht, Gebäude und Natur in Einklang zu bringen. Einer der frühesten Vertreter der organischen Architektur, Louis Sullivan, brachte dieses Konzept mit der Leitthese „form follows function“ auf den Punkt. Die Form von Gebäuden und Räumen sollte sich aus den für die vorgesehenen Funktionen heraus entwickeln.

So verzichtete der Architekt auch bewusst auf repräsentative Elemente des klassischen Bibliotheksbaus. Ursprünglich war nicht einmal eine deutlich sichtbare Beschriftung am Eingang vorgesehen.

Motive aus dem Schiffsbau

Die einzigen Schmuckformen, die Hans Scharouns Architektur auszeichnet, sind Motive aus dem Schiffsbau. So finden sich auch im Inneren der Staatsbibliothek mehrfach runde Fenster im Stile der Bullaugen von Schiffen. Die Galerien wirken wie Promenadendecks mit Reling, die Bänder zur Trennung von Publikums- und Mitarbeiterbereichen sehen aus wie Schiffstaue, die Deckenverkleidung im Foyer erinnert an typische Holzplanken und das Hochmagazin wurde schon als Riesenschornstein gedeutet.

Auf Expedition

Der Innenraum erschließt sich dem Besucher wie eine unbekannte Landschaft, die es zu entdecken gilt. Die Gestaltung lässt sich nicht erahnen. Erst nach und nach eröffnen sich Blicke auf die terrassenartigen Emporen und in die versteckteren Winkel der „Leselandschaft“, die über Freitreppen miteinander verbunden sind und sich beinahe über die gesamte Länge und Breite des Komplexes ausdehnen. Immer wieder entstehen neue Raumeindrücke. Die niedrigen Bücherregale an der Fensterfront verstärken den Eindruck einer weiten, offenen Landschaft.

Es werde Licht!

Einmalig ist auch die komplexe Lichtarchitektur des Gebäudes: Durch eine breite säbelzahnartige Sheddach-Konstruktion fällt das Licht von Norden auf eine Zwischendecke, in die 200 so genannte Lichtkalotten eingesetzt sind. Diese streuen das Licht so, dass nur ein indirektes Tageslicht in den Lesesaal fällt. Dadurch wirkt das Licht wärmer und blendet nicht. Vier Lichtpyramiden durchbrechen die regelmäßige Kalottenanordnung und bilden Lichthöfe. Zudem sorgen die hohen und breiten Fensterfronten zum Kulturforum hin für viel Tageslicht.

Für die passgenaue Regulierung von Sonnenschutzlamellen und künstlichem Licht war ursprünglich ein Lichtpult vorgesehen, das mit seinen ausgefeilten Steuerelementen selbst Captain Kirk mit seinem Raumschiff Enterprise neidisch gemacht hätte. In Betrieb war das personalintensive Lichtpult allerdings kaum…

Kunst am Bau

Schon frühzeitig beteiligte Hans Scharoun bildende Künstler an der Ausgestaltung der Staatsbibliothek. Seine Idee war es, die Kunst direkt im Gebäude zu integrieren. Das heißt, dass die Kunstwerke nicht dem bereits fertigen Bau hinzugefügt wurden, sondern dass zentrale Architekturbestandteile in engem Zusammenwirken mit dem Architekten künstlerisch ausgestaltet wurden. Sie sind nicht losgelöst als eigenständige Kunstwerke denkbar. Entsprechend der gesetzlichen Vorschrift wurden zwei Prozent der Bausumme für Kunst am Bau ausgegeben. Einige der Kunstwerke werden im Folgenden vorgestellt:

Eine Kathedrale des Wissens

Der deutsche Maler und Tänzer Alexander Camaro (1901–1992) schuf für die Staatsbibliothek zwölf unterschiedliche Glasbausteinfenster. Dazu wählte er mal quadratische und mal runde Einzelformen, die sich zu individuellen Farbflächen zusammenfügen. Bei Tageslicht leuchten die Fenster in der Eingangshalle und im Lesesaal, ähnlich mittelalterlichen Glasmalereien, in intensiven Farben nach innen und vermitteln auf diese Weise eine beinahe transzendente Wirkung. Anders die Flächen mit Glasbausteinen am Hochmagazin. Bei künstlichem Innenlicht machen sie ihre starke Farbwirkung nach außen sichtbar und muten wie Kristalle auf der golden verkleideten Magazinhaut an. Camaro gehörte zu den Künstlern, die bereits bei anderen Projekten für Scharoun gearbeitet hatten. Er war sowohl bei der Philharmonie als auch beim Musikinstrumentenmuseum beteiligt.

Abstrakte Landschaft

Hans Scharoun wünschte sich für die Gestaltung des Ostfoyers ein großformatiges Wandbild. Der beauftragte Künstler Erich Hauser (1930–2004) fertigte eine gegenstandslose Zeichnung aus schwarzen Linien auf weißer Fläche, die in unterschiedlicher Stärke von links unten nach rechts oben verlaufen, sich verdicken, vereinigen, trennen und mit kleinen Querstreben verbunden und „abgestützt“ sind. Die Zeichnung zeigt in ihrer Scharfkantigkeit deutlich ihre Herkunft von den plastischen Gestaltungen des Künstlers, die ausschließlich in Stahl ausgeführt werden. Diese „Flächenwand“ (Acryl, 635 x 1320 cm) ist ganz leicht gebogen, das dass sie je nach Standort fast dreidimensional wirkt. In abstrakter Form greift sie die Idee der Landschaft auf: die Flächen, die sich durch die Linienführung ergeben, spiegeln dabei die Ebenen und Emporen des Lesesaals wider.

Über die sieben Weltmeere

Der Fußboden der Eingangshalle ist ein Kunstwerk des Bildhauers Erich Fritz Reuter (1911–1997). Er besteht aus Natursteinen – aus Quarziten der Polarregion sowie aus Schiefer, die ein farblich differenziertes Bild entstehen lassen. Durch ein Liniennetz aus weißem Carrara-Marmor wird eine Fläche von 6.800 qm gegliedert und gleichzeitig optisch zusammengefasst. In der maritimen Metaphorik, die für Scharouns Gebäude gerne herangezogen wird, kann der Boden als die sieben Weltmeere gedeutet werden, die von Schifffahrtslinien durchzogen sind.

Erich Fritz Reuter gehört zu jenen Künstlern, mit denen Scharoun bereits beim Bau der Philharmonie zusammengearbeitet hat. Auch dort gestaltete Reuter den Fußboden des Foyers.

Alles fließt…

Im Foyer der Staatsbibliothek ist das Kunstwerk „Panta rhei“ des Bildhauers Bernhard Heiliger (1915–1995) zu sehen. Das Relief wurde 1963 für die Deutsche Botschaft in Paris in Bronze gegossen. Ein Jahr später wurde das Gipsoriginal (375 x 648 cm) auf der documenta III gezeigt und ist seitdem als Leihgabe der Neuen Nationalgalerie im Foyer der Staatsbibliothek aufgestellt. Dem Titel „Panta rhei“, einem berühmten Ausspruch Heraklits mit der Bedeutung „Alles fließt, alles ist in Bewegung“ entspricht das eruptive Aufbrechen der Oberfläche und das drängende Wachstum der Formen. Eisenstäbe, die im kurvigen Schwung aufsteigen, erhöhen den raumgreifenden Charakter des Reliefs, indem sie wie Antennen aus der plastischen Masse herausragen.

Die Philharmonieleuchte

Ein unvergleichliches Licht geben die berühmten Leuchten Günter Ssymmanks (1919–2009). Im Auftrag von Hans Scharoun hatte der Künstler die Lampen für das Foyer der Philharmonie entworfen. Sie bestehen aus jeweils 72 Pilz- und Trägerelementen sowie aus 180 Stegelementen in unterschiedlichen Größen, gefertigt aus Polyamid und miteinander verklebt. Durch ihre Anordnung in verschiedenen Ebenen entsteht aus dem Überlappungseffekt ein verteiltes und blendfreies Licht. Mit dieser „Philharmonieleuchte“ stattet er auch die Treppenaufgänge der Staatsbibliothek aus. Durch inzwischen entwickelte Verfahren können die Lampen heute aus Plexiglas hergestellt und verschraubt werden. Die ebenfalls von ihm designte Stehleuchte „Ssymmank“ wurde 1981 für die Sammlung zeitgenössischer Objekte des Museum of Modern Art (MoMA) in New York ausgewählt.

Im Foyer der Staatsbibliothek informiert eine kleine Ausstellung über die Leuchte und ihren Schöpfer.

Die Architekten

Hans Scharoun

Hans Scharoun  wird am 20.09.1893 als Sohn eines Kaufmanns in Bremen geboren. Seine Kindheit und Jugend verbringt er in Bremerhaven, wo ihn die Nähe zum Meer und die Betrachtung der großen Transport- und Kreuzfahrtschiffe stark prägt. In seine späteren Architekturentwürfe nimmt er häufig markante Gestaltungselemente aus dem maritimen Umfeld auf.

Scharoun absolviert seine Architekturstudien an der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin. Als er 1964 den Wettbewerb für die Staatsbibliothek gewinnt, ist er bereits einer der berühmtesten Architekten Deutschlands. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte seine Karriere begonnen. Ende der 1920er Jahre gründet er zusammen mit seinem Kollegen Adolf Rading ein eigenes Büro in Berlin und wird schnell durch seine aufsehenerregenden Wohn- und Siedlungsbauten berühmt.

Während der Zeit des Nationalsozialismus bleibt er in Deutschland und baut bis zum Krieg fast ausschließlich Wohnbauten in Berlin und Bremerhaven. 1943 werden seine Büros bei einem Luftangriff zerstört. Bis zum Bezug neuer Räumlichkeiten im folgenden Jahr ist Scharoun in der Fliegerschadenbeseitigung in Steglitz-Lichterfeld tätig. Nach Kriegsende wird er zum Stadtbaurat des neuen Magistrats von Berlin ernannt. In dieser Funktion schreibt er unter anderem auch eine Anweisung zur Wiederherstellung der beschädigten Staatsbibliothek Unter den Linden.

1947 übernimmt Scharoun den Lehrstuhl für Städtebau an der Technischen Universität und beteiligt sich an der Gründung des Instituts für Bauwesen an der Akademie der Wissenschaften, das allerdings nur drei Jahre Bestand hat. Mit seinem Entwurf für die Philharmonie gewinnt er im Jahr 1956 den Wettbewerb. Mit der Gestaltung setzt er Maßstäbe für den Bau der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße, für den er 1964 ebenfalls den Zuschlag erhält. Den Abschluss der Bauarbeiten an der Staatsbibliothek erlebt er leider nicht mehr. Er stirbt am 25. November 1972 und wird auf dem Waldfriedhof Zehlendorf beerdigt. Die künstlerische Betreuung der weiteren Bauarbeiten an der Staatsbibliothek übernimmt sein Partner, Edgar Wisniewski.

Edgar Wisniewski

Die Liebe zur Architektur lernte Edgar Wisniewski durch seinen Vater kennen: Am 4. September 1930 wird er als zweites Kind des Architekten Bruno Wisniewski und der Pianistin Edith Berndt in Stolp geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht die Familie nach Berlin, wo Edgar 1950 sein Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin aufnimmt. Er wird nicht nur Hans Scharouns Schüler, sondern bald auch sein Mitarbeiter und später sein Partner. Schon beim Bau der Philharmonie wirkte Wisniewski als künstlerischer Leiter, die Arbeiten an der Staatsbibliothek führte er nach dem Tod Scharouns 1972 in dessen Sinn auch als leitender Architekt fort.

Auch für die Folgebauten am Kulturforum, das Staatliche Institut für Musikforschung (SIM) mit dem Musikinstrumentenmuseum (MIM) und den Kammermusiksaal der Philharmonie, griff Wisniewski auf Pläne und Ideen von Hans Scharoun zurück. Ein besonderes Verständnis für Musik war ihm schon durch seine Mutter vermittelt worden. In seinen architektonischen Konzepten nutzte er dieses Wissen, platzierte die Musik bewusst im Mittelpunkt und gruppierte darum verschiedene Emporen, um beste Voraussetzungen für den Raumklang zu schaffen. Dabei ließ er sich von Komponisten wie Luigi Nono beraten.

Wisniewski engagierte sich stark für eine Umsetzung des Gesamtkonzepts des Kulturforums nach den Ideen Scharouns, konnte sich aber nicht durchsetzen. Neben seinen Arbeiten am Kulturforum schuf er Wohnungsbauten in Berlin und im brandenburgischen Umland. Er starb am 25. April 2007.

Baugeschichte

Die Geschichte des Hauses an der Potsdamer Straße beginnt mit der kriegsbedingten Auslagerung der Bestände aus dem Stammhaus Unter den Linden ab 1942. Da die Kulturgüter nach dem Krieg in den jeweiligen Besatzungszonen verblieben, ist die Geschichte der Teilung Deutschlands auch diejenige der Bücher und Schätze der Staatsbibliothek.

1957, zehn Jahre nach der offiziellen Auflösung des Staates Preußen, wird die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gegründet. Die Rückführung der Sammlungen nach Berlin wird beschlossen, für die Büchersammlungen (der größere Teil der Sammlung der Preußischen Staatsbibliothek) wird ein Neubau in Berlin (West) geplant. 1963 wird ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, Hans Scharoun geht als Sieger daraus hervor.

Zwei Monate nach dem Beginn der Bauarbeiten findet die feierliche Grundsteinlegung am 10. Oktober 1967 statt. Zunächst ist der Bau für eine Kapazität von 4 Mio. Bänden mit der Option um die Erweiterung von weiteren 4 Mio. Bänden im Endausbau geplant. Noch während der Bauarbeiten beginnt die Rückkehr der Sammlungen nach Berlin. Aufgrund der Anmeldung von Besitzansprüchen durch die DDR erfolgt der Transport auf dem Luftweg. Im nahe gelegenen Bendlerblock wird provisorisch der Berliner Dienstsitz der Bibliothek eingerichtet.

1971 wird als erster Bereich der Nordteil mit den Räumen der Verwaltung der Nutzung übergeben. Unweit des Bauplatzes (ungefähr auf dem Gebiet der heutigen Potsdamer Platz Arkaden) wird eine Traglufthalle als provisorisches Zwischenlager von aus Marburg zurückkehrenden Teilbeständen eingerichtet. 1972 ist der zweite Bauabschnitt mit den Foyers, Lesesälen, Großraumbüros und Magazinen fertiggestellt. Die Traglufthalle wird am 13. November 1972 durch einen Orkan zerstört. Die Bücher müssen durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen noch in der Nacht gerettet werden. Als neues Zwischenlager dienen Räume im Reichstagsgebäude. Am 25. November stirbt Hans Scharoun im Alter von 79 Jahren. Die Weiterführung des Baus erfolgt durch die Bundesbaudirektion unter künstlerischer Beratung von Edgar Wisniewski.

Am 15. Dezember 1978 wird nach 20-jähriger Planungsphase und 11 Jahren Bauzeit der Neubau der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße durch Bundespräsident Walter Scheel der Öffentlichkeit übergeben.

Nach über 20 Jahren Nutzung des Bibliotheksgebäudes müssen bauliche Anpassungen an moderne Bibliotheksfunktionen vorgenommen werden. Bei eingeschränktem Weiterbetrieb werden im Jahr 2001 mehr als 17 Kilometer Kabel in 16 Wochen Bauzeit verlegt und ermöglichen das Angebot von Internet- und Katalogarbeitsplätzen.

Seit dem Jahr 2006 wurden sämtliche Klimaanlagen saniert, parallel dazu sind bis zum Sommer 2016 asbesthaltige Stoffe entfernt worden. Ebenfalls 2016 abgeschlossen wurde eine Sanierung der Bauwerksabdichtung.

Zurzeit wird die Natursteinfassade des Hauses saniert (2018 – 2023).

Im Zuge der bevorstehenden Grundinstandsetzung soll das Gebäude der Staatsbibliothek zu Berlin an der Potsdamer Straße denkmalgerecht umgestaltet werden, damit es den zeitgemäßen technischen und funktionalen Anforderungen besser entspricht und Teilbereiche neu organisiert werden können. Der Entwurf der Berliner gmp Generalplanungsgesellschaft mbH ist mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden. Ausgelobt und durchgeführt wurde der Wettbewerb vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).

Die Staatsbibliothek

355 Jahre in zehn Punkten – die Geschichte der Bibliothek
  • Die Privatbibliothek des Großen Kurfürsten im Apothekerflügel des Berliner Stadtschlosses wird 1661 als ‚Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree’ für eine ausgesuchte Öffentlichkeit freigegeben.
  • Mit der Krönung Kurfürst Friedrich III. zum König in Preußen wird die Bibliothek 1701 ‚Königliche Bibliothek’.
  • 1784 Einzug in das neu errichtete Gebäude am Opernplatz (heutiger Bebelplatz). Der Volksmund tauft das Gebäude ‚Kommode’.
  • 1914 erneuter Umzug in das neu errichtete, gegenüberliegende Gebäude (heute Unter den Linden 8), Architekt: Ernst von Ihne.
  • 1941 – 1945 erfolgt aus Sicherheitsgründen die Verlagerung der Bestände an 30 Orte im gesamten Deutschen Reich. Das Bibliotheksgebäude wird stark beschädigt. Nach Kriegsende sind die Bestände über alle Besatzungszonen und polnisches Gebiet verteilt.
Copyright: bpk
  • Die Bestände auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone werden in das Haus Unter den Linden zurückgeführt. Ab 1956 heißt die nun größte wissenschaftliche Bibliothek der DDR ‚Deutsche Staatsbibliothek‘.
  • Die Bestände auf dem Gebiet der Westalliierten werden in Marburg und Tübingen gelagert.
  • 1958 wird die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gegründet und die Rückführung der Bücher und Kunstgegenstände nach Berlin beschlossen. Für die Staatsbibliothek wird ein Neubau in Berlin geplant.
  • 1979 erfolgt die Eröffnung des Hauses Potsdamer Straße.
  • 1990 werden die beiden Staatsbibliotheken wieder zu einer Bibliothek vereinigt: Art. 35 des Einigungsvertrages: ‚Die durch die Nachkriegsereignisse getrennten Teile der ehemals staatlichen preußischen Sammlungen (unter anderem …, Staatsbibliotheken…) sind in Berlin wieder zusammenzuführen.‘
Die Bibliothek heute

Mit ungefähr 11 Millionen Büchern ist die Bibliothek heute die größte wissenschaftliche Universalbibliothek im deutschsprachigen Raum. Sie besitzt zwei denkmalgeschützte Gebäude in der Mitte Berlins, das Haus Unter den Linden 8, hier werden hauptsächlich die historischen Bestände aufbewahrt und das Haus an der Potsdamer Straße 33, in dessen Magazinen sich vornehmlich moderne Forschungsliteratur befindet. Die Bibliothek gehört wie die Staatlichen Museen zur Bund-Länder-finanzierten Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Der Allgemeiner Lesesaal des Hauses Potsdamer Straße bietet 675 Arbeitsplätze, er ist von Montag bis Sonnabend geöffnet. Daneben gibt es hier Sonderlesesäle mit insgesamt 137 Plätzen (Handschriften-Lesesaal, Osteuropa-Lesesaal, Orient- und Ostasien-Lesesaal). Ab einem Mindestalter von 16 Jahren kann jeder einen Bibliotheksausweis erhalten. Diese Ausweise gelten für alle Standorte der Bibliothek.

Die Schätze

Die Staatsbibliothek hat umfangreiche Sondersammlungen. Darunter vier Stücke des Weltdokumentenerbes:

  • die Originalhandschrift der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven
  • die Handschrift der h-Moll Messe von Johann Sebastian Bach
  • die hebräische Bibel, anhand derer Luther seine Übersetzung angefertigt hat
  • und einen Erstdruck der 95 Thesen Luthers.

Ein besonderer Schatz sind auch die 66.700 Musikautographe (eigenhändige Niederschriften der Verfasser). So befindet sich zum Beispiel die größte Mozart-Sammlung weltweit nicht in Wien, sondern in Berlin, darunter das Originalmanuskript der Zauberflöte! Neben der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven besitzt die Staatsbibliothek auch die 4., 5. und 8.

Weitere, besondere Schätze der Staatsbibliothek:

  • ein besonders schönes Exemplar der Gutenberg-Bibel von 1454/55
  • 170 orientalische Handschriften, darunter die größte hebräische Pergamentbibel sowie die größte Tora-Rolle
  • 500 abendländische Handschriften
  • 321.400 Autographe (u. a. von Lessing, Goethe, Kleist)
  • über 1.600 Nachlässe (u. a. von Herder, Eichendorff, Hauptmann, Bonhoeffer, Gründgens, Furtwängler)
  • das Archiv der Familie Mendelssohn
  • etwa 4.600 Inkunabeln/Wiegendrucke, darunter eines der ersten mit beweglichen Lettern gedruckten Bücher
  • Europas größte Sammlung in asiatischen Sprachen
  • über 200.000 seltene Drucke (u. a. Blockdrucke der frühen Ming-Zeit; das älteste Druckwerk der Welt, buddhistische Zaubersprüche aus Japan 764/770)
  • eine exquisite Sammlung historischer Bucheinbände
  • 1,1 Mio. Karten, Pläne, Globen, darunter der größte gebundene Atlas, zu dessen Handhabung mehrere Personen notwendig sind und
  • über 400.000 digitalisierte Werke in der Digitalisierten Sammlung.

Das Kulturforum

Das ‚Kulturforum‘ genannte Gebiet, auf dem auch das Haus der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße steht, hat eine bewegte Vergangenheit. Politik und Geschichte insbesondere des 20. Jahrhunderts spiegeln sich an diesem Ort in stadtplanerischen Gestaltungsversuchen. Die wachsende Stadt im 19. Jahrhundert, Hitlers Pläne für ‚Germania‘, Kriegszerstörung und völliger Neubau danach, die Berliner Mauer – all diese Ereignisse prägen das Areal in der Mitte der Stadt bis heute. Und dabei begann alles recht beschaulich…

Ländliche Vergangenheit

Im 18. Jahrhundert befand sich auf dem Gebiet des heutigen Kulturforums ein Ensemble aus Äckern, einem Friedhof und wenigen Gartengrundstücken. Man befand sich hier vor den Toren der alten Berliner Stadtmauer und traf die Berliner Bevölkerung nur in der Sommerfrische an.

Das Diplomatenviertel

Mit der Eröffnung des Gartenlokals ‚Kempers Hof‘ (daher rührt der Name ‚Kemper Platz‘ hinter der Philharmonie) im Jahre 1812 begann sich die Gegend zu beleben. Mit der St. Matthäus-Kirche wird 1846 der älteste heute noch vorhandene prominente Bau durch Friedrich August Stüler errichtet. Sie stand inmitten der wenige Jahre zuvor angelegten Friedrichvorstadt, die sich schnell zu einer eleganten Villenkolonie am südlichen Rand des Tiergartens entwickelte. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts siedelten sich verschiedene Botschaften in der Umgebung an. Nach dem ersten Weltkrieg sprach man vom ‚Diplomatenviertel‘.

Haus des Fremdenverkehrs - Foto: Willy Pragher - Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“
Germania

Die Pläne zur Neugestaltung der Reichshauptstadt durch die nationalsozialistische Regierung unterbrachen die bisherige Entwicklung jäh. 1938 begann man mit dem Abriss von Wohnhäusern für die geplante Nord-Süd-Achse für Albert Speers ‚Germania‘. Genau auf dem heutigen Gelände der Staatsbibliothek sollte der  riesige, zentrale ‚Runde Platz‘ mit einem Durchmesser von 210 Metern angelegt werden. Nur ein einziges Gebäude dieser Planungen wurde dann tatsächlich realisiert. Im Innenhof der Staatsbibliothek erinnert bis heute ein verbliebener Mauerrest an das 1963 gesprengte Haus des Fremdenverkehrs.

Kriegszerstörungen

In der Mitte Berlins gelegen, war das heutige Kulturforum von den Zerstörungen des Krieges besonders betroffen. Nur ganz wenige Bauten waren in einem erhaltenswerten Zustand. Die stark beschädigte St. Matthäus-Kirche wurde in den Jahren 1956-60 wieder aufgebaut. Die Villa Parey und das Palais Gontard sind heute in die Museumsbauten der Europäischen Kunst eingebunden.

Hans Scharouns Stadtplanung

Hans Scharoun hatte bereits 1946 als erster Stadtrat und Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen einen strukturellen Wiederaufbauplan für Gesamt-Berlin erstellt. Seine Idee eines ‚geistigen Bandes der Kultur‘ von der Museumsinsel sich in Richtung Westen ziehend, konnte durch den Bau der Mauer 1961 nicht realisiert werden. Durch die Nähe zur Berliner Mauer bekam allerdings das wachsende Kulturforum trotz seiner Randlage im Westteil der Stadt noch einmal eine ganz besondere Bedeutung. Auch die Idee der autogerechten Stadt und der damit einhergehenden Planungen für einen Stadtautobahnabschnitt ‚ Westtangente‘ (er sollte östlich der Staatsbibliothek verlaufen) hatten Einfluss auf die Bebauung des Areals.

Solitärbauten

Heute präsentiert sich das Gebiet als eine Zusammenstellung mehr oder weniger berühmter Solitäre. Bereits 1963 war Hans Scharouns Philharmonie eröffnet worden, 1968 die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe und 1978 die Staatsbibliothek. Es folgten 1984 das Institut für Musikforschung mit dem Musikinstrumenten-Museum, 1985 das Kunstgewerbemuseum (Architekt Rolf Gutbrod), der von Scharouns Partner, Edgar Wisniewski, realisiert Kammermusiksaal der Philharmonie 1987 und schließlich der Abschluss der Arbeiten an der Gemäldegalerie im Jahr 1998.

Die städtebauliche Diskussion über das Kulturforum hält bis auf den heutigen Tag an. Ob, und wenn ja, wie es gelingen kann, die Solitärbauten zu einem gelungenen Ganzen zusammenzufügen, wird die Zukunft zeigen. Das gegenüber der Staatsbibliothek geplante Museum der Moderne (Wettbewerbssiegerentwurf: Büro Herzog/de Meuron) wird einen weiteren Beitrag zur Diskussion liefern.

Die virtuelle Ausstellung ‚Das Bücherschiff am Kulturforum‘ wurde erarbeitet von Christina Schmitz und Gudrun Nelson-Busch zum Jubiläum der Grundsteinlegung des Hauses am 10. Oktober 2017 [aktualisiert im Januar 2020].