Eine Reise durch zehn Himmelssphären
Dante Alighieri in der Staatsbibliothek zu Berlin
Spurensuche und Recherchewege
Vor 700 Jahren überschritt der bedeutendste Dichter Italiens die Grenze vom Diesseits zum Jenseits: am 14. September 1321 starb Dante Alighieri, der zu den meistgelesenen und -rezipierten Autoren des europäischen Mittelalters zählt. Seine literarische Reise in die Jenseitsbereiche ,Hölle‘, ,Fegefeuer‘ und ,Paradies‘ in seiner Göttlichen Komödie hat ihn in den Kanon der Weltliteratur befördert.
Die Staatsbibliothek zu Berlin verfügt über bedeutende Dante-Bestände und möchte einen Teil davon in dieser virtuellen Ausstellung präsentieren.
Die Ausstellung mit mehreren Videos, Bildstrecken und Screencasts richtet sich an ein breites Publikum und bietet gleichzeitig Hinweise zu Recherchemöglichkeiten in den Sammlungen der Berliner Staatsbibliothek.
Auf unserer Reise in das Berliner „Paradies“ der Schätze und der Recherchemöglichkeiten beschreiten wir gemeinsam gleichsam zehn Himmelssphären: von Porträts, Handschriften, Inkunabeln und Rara bis hin zu Musikhandschriften und Kinder-/Jugendbüchern sind viele Sonderabteilungen vertreten. Erfahren Sie außerdem am Beispiel Dantes, wie Sie effektiv in den verschiedenen Datenbanken, Systematiken, Portalen und digitalisierten Sammlungen recherchieren können.
Dantes Leben in Zahlen
Dantes Werke
Dante Alighieri war in Vielem „der Erste“, er wirkte durch seine Werke, die er sowohl auf Latein als auch in Italienisch verfasste, als Mittler zwischen Antike und Mittelalter. Er holte, was die volkssprachliche Dichtung angeht, einen Rückschritt gegenüber Deutschland, Frankreich und England auf, der in Italien aufgrund der Nähe zum Lateinischen bestanden hatte. Dante war wegweisend als Vater der italienischen Literatursprache und stilbildend für die italienische Lyrik. Er führte das nicht des Lateinischen mächtige Laienpublikum der aufstrebenden Städte an muttersprachliche Literatur und philosophisches Gedankengut heran. Zudem beschrieb als gleichsam erster romanistischer Sprachwissenschaftler strukturelle Unterscheidungen verschiedener Sprachen, die sich aus dem Lateinischen herausgebildet hatten.
Seine in der Zeit des Exils entstandene Göttliche Komödie war wegweisend für die gesamte italienische und europäische Literatur-, Kunst- und Buchgeschichte. Sie beschreibt eine Reise durch Gegenden, die drei Jenseitsreiche, die noch kein Lebender gesehen hat. Der Inhalt wie auch die zugrundeliegende theologisch-philosophische Weltsicht waren brillant und weitsichtig und zeugten vom Wissen und Verständnis ihres Autors. Wir lernen etwa 600 Personen kennen, darunter so unverwechselbare Schicksale wie das Liebespaar Paolo und Francesca, den Grafen Ugolino und Dantes platonische Liebe Beatrice, der das gesamte Gedicht gewidmet ist. Die von Dante imaginierten Bilder (gerade der Höllenkreise) in ihrer Kraft und Brutalität waren unerhört und spektakulär, seine Sprache war kreativ und mitunter vulgär, die Intention letztlich versöhnlich und nach Frieden strebend. Dante war schließlich auch ein zutiefst politischer Mensch mit einer klaren Meinung zum Verhältnis von Kirche, Staat und Bürgertum.
Rime (Gedichte)
Dante selbst hat diese Gedichtsammlung nicht zusammengestellt und zur Verbreitung vorgesehen. Erst später wurden seine Gedichte, die er ab 1283 verfasst hatte, unter dem Titel „Rime“ zusammengefasst. Dabei variiert ihre Anzahl zwischen gut 50 und über 80, je nachdem, ob die Bearbeiter die Gedichte Dantes integriert haben, die der Dichter selbst in seine Werke „Vita Nova“ und „Il Convivio“ aufgenommen hatte.
Dante orientierte sich bei seinen Gedichten an den provenzalischen Troubadours und an der Sizilianischen Dichterschule und schuf gemeinsam mit anderen Dichtern eine neue Stilrichtung, den „Dolce Stil Nuovo“.
Während Frankreich, England und Deutschland schon vor dem 13. Jahrhundert bedeutende Dichtungen in den Volkssprachen besaßen, war in Italien das Lateinische viel länger selbstverständlich. In Italien hat die volkssprachliche Dichtung daher eine Verspätung gegenüber den anderen Kulturen. Der große Gelehrte Ernst Robert Curtius sieht Dante als entscheidenden Wegbereiter für die Lyrik Francesco Petrarcas und die Erzählkunst Giovanni Boccaccios: Dante bildet mit diesen beiden Schriftstellern zusammen das Dreigestirn der Tre Corone, der drei gekrönten Dichter des 14. Jahrhunderts, deren Einfluss auf die gesamte europäische Literatur unvergleichlich ist. Curtius geht in „Europäische Literatur in lateinisches Mittelalter“ (1948) noch weiter und sieht Dante als denjenigen Dichter, der den lateinischen Mutterboden für die europäische Nationalliteraturen bereitet hat und somit als Vater der europäischen Identität anzusehen ist.
Vita Nova (Neues Leben)
In seinem Jugendwerk „Vita Nova“ (auch „Vita Nuova“, Neues Leben) erzählt Dante in der Tradition der mittelalterlichen Minnedichtung die Geschichte seiner großen Liebe Beatrice und besingt in einer Reihe von Sonetten und Kanzonen die erneuernde Kraft der Liebe. In den begleitendem Kommentar wird u.a. die bewusste Verwendung der Volkssprache erläutert als Hinwendung zu einer – auch von Frauen leicht zu verstehenden – Sprache der Liebe. Die angebetete Frau erscheint dabei als ein gottgesandtes, engelsgleiches Wesen. Damit ist das Jugendwerk ein Vorbote der Göttlichen Komödie, in der Dante Beatrice im Paradies wiedersehen wird.
Il Convivio (Das Gastmahl)
Dantes im „Volgare“ abgefasste Werk „Il Convivio“ (Das Gastmahl) ist die erste philosophische Abhandlung in der italienischen Volkssprache. Die unvollendet gebliebene Schrift richtet sich an Laien und erläutert anhand von Dantes eigenen Kanzonen in einer Art volkssprachlichen Enzyklopädie das Wissen seiner Zeit. Neben Philosophie werden auch Aspekte aus Politik, Sprachwissenschaft, Naturwissenschaften, Astronomie und Geschichte berücksichtigt.
De vulgari eloquentia (Über das Dichten in der Volkssprache)
Dante gilt auch als der erste „Romanist“, machte er sich doch in seiner lateinischen Schrift „De vulgari eloquentia“ Gedanken über die Unterscheidungsmöglichkeit mehrerer romanischer Sprachen. Während die ostromanischen Sprachen „si“ als Bejahungspartikel („ja“) verwenden, definierte Dante das westromanische Idiom der provenzalischen Troubadoure als „Lingua d’oc“, da der Bejahungspartikel hier „oc“ lautet. Die Bezeichnung Languedoc für Region und Sprache des südlichen Frankreichs hat sich bis heute gehalten.
Die Staatsbibliothek besitzt auch eine wichtige Handschrift des „De vulgari eloquentia“ (Lat. fol. 437) aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, die als die beste Überlieferung dieses Textes zu betrachten ist.
De Monarchia (Über die Monarchie)
In seinem (auf Latein verfassten) politisch-philosophischen Hauptwerk stellt Dante dar, dass seiner Ansicht nach der Kaiser die Weltherrschaft ausüben müsse, damit die göttliche Ordnung funktionieren kann. Dantes Hoffnung auf das Ende der Konflikte zwischen papst– und kaisertreuen Landsleuten war zum Zeitpunkt der Entstehung des Werkes weitgehend zerstört. Er wendet sich deutlich gegen den Herrschaftsanspruch der Päpste, die dieses Werk über mehrere Jahrhunderte auf den Index setzten.
Divina Commedia (Göttliche Komödie)
Die „Göttliche Komödie“, italienisch „Comedia“ oder „Commedia“ ist das Hauptwerk des Dichters Dante Alighieri (1265-1321) und entstand nach seiner Verbannung aus Florenz wohl ab 1304. Den Beinamen „göttlich“ erhielt das wichtigste Werk der italienischen Literatur, an dem der Dichter bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1321 arbeitete, erst zu späterer Zeit.
„Komödie“ und Allegorie
Wer eine Komödie nach heutigem Verständnis erwartet, wird sich über den Inhalt wundern. „Es beginnt furchtbar und hässlich und endet mit dem Schönen und Wünschenswerten“ – unter anderem deshalb nannte Dante, wie er an Cangrande della Scala schreibt, sein Werk eine Komödie. Weitere Aspekte sind der Inhalt – wie die Schilderung der Höllenqualen – und der mitunter derbe Sprachstil.
Inhalt und Bedeutung
Das epische Gedicht in drei Teilen handelt von einer Reise durch das Jenseits und beginnt mit einer Lebenskrise und einer schaurigen, lebensbedrohlichen Situation. Der Ich-Erzähler Dante ist vom „rechten Pfad“ abgekommen und findet sich plötzlich von wilden Tieren umzingelt in einem düsteren Wald wieder:
„Dem Höhepunkt des Lebens war ich nahe, da mich ein dunkler Wald umfing und ich, verirrt, den rechten Weg nicht wieder fand.“ (Übersetzung: Karl Vossler)
Die drei wilden Tiere symbolisieren die menschlichen Verfehlungen Wollust, Hochmut und Habgier, von denen Dante Italien befallen sieht, und weisen schon darauf hin, dass das gesamte Werk tiefere Sinnschichten enthält und als Allegorie zu lesen ist. Dabei geht es vor allem um das große Thema der Heilung von den Sünden und den Weg des Menschen zur Ganzheit, zu Gott. Die Jenseitsszenerie beleuchtet mit den drei „großen Dante-Themen: Liebe, Wissenwollen, Friedensgebot“ in oftmals drastischen Bildern die Lebensordnung des Menschen und dient in ethisch-moralischer Sicht dazu, die Menschen „aus dem Zustand des Elends heraus zur Glückseligkeit zu führen“. Die Commedia ist aber auch durch und durch ein politisches Buch: Dante stellte sich vehement „gegen drei Haupttendenzen des 13. Jahrhunderts (…), die Rebellion der reichen italienischen Städte gegen den Kaiser (…), die offiziellen Ansprüche auf allumfassende Macht des Papstes, (…) weil sie dem Gemeinwesen die naturentsprungene Eigenwertigkeit nehmen; er weigerte sich, Wissen und Gemeinwesen dem Befehl des Papstes zu unterstellen.“ (Kurt Flasch: Einladung, Dante zu lesen, Frankfurt/M. 2020, S. 57, S. 357 bzw. S. 414).
Die drei Jenseitsreiche
Dante trifft im Wald auf den römischen Dichter Vergil, Autor der Aeneis, der erklärt, von Beatrice, der früh verstorbenen Jugendliebe Dantes, geschickt worden zu sein. Vergil begleitet den Ich-Erzähler zunächst durch den ersten Teil der Jenseitsreise, das Inferno. Sie durchschreiten das Höllentor mit der furchterregenden Aufschrift Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate (Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet). Die Hölle wird dargestellt als großer Trichter, in den man über neun konzentrische Höllenkreise der Qual immer tiefer hinabsteigt. Überall wimmelt es vor Verdammten, die für ihre irdischen Sünden zu einer ewigen Strafe verurteilt sind. Es beginnt mit den harmloseren Sündern wie den Wollüstigen und den Schlemmern und geht über die Geizigen und Jähzornigen immer tiefer hinab bis hin etwa zu den Dieben und Häretikern und schließlich zu Luzifer höchstselbst, der Judas, Cassius und Brutus als schlimmste Mörder der Menschheitsgeschichte peinigt.
Von dort gelangen Dante und Vergil auf den Läuterungsberg (Purgatorio), auf den die Seelen derer, die noch auf Vergebung hoffen können, über einen spiralförmigen Weg durch mehrere Bußbezirke bis zum Gipfel des Berges, ins irdische Paradies, pilgern.
Von dort erreicht Dante schließlich, nunmehr von Beatrice geführt, das himmlische Paradies (Paradiso) mit seinen neun Himmelssphären und erblickt schließlich das Empyreum, wo die geretteten Seelen im Angesicht Gottes die Freuden der ewigen Glückseligkeit genießen dürfen.
Bedeutung für die italienische Literatursprache
Als Dante zu dichten begann, war eine volkssprachliche Schriftsprache in Italien noch nicht gefestigt – die gebildete Oberschicht schrieb Latein. Dante wählte hingegen für die Reise seines Ich-Erzählers in die Unterwelt die italienische Sprache (oder vielmehr: das toskanische Idiom) und trug damit maßgeblich zur Herausbildung der italienischen Literatursprache bei.
Lehrdichtung
Das Werk ist ein Panoptikum der zum damaligen Zeitpunkt bekannten antiken und mittelalterlichen Welt. Es spiegelt Geschichte, Religion, Naturwissenschaften, Philosophie und Mythologie und steckt voller Anspielungen, die gebildete Leser sofort verstanden oder entschlüsseln konnten. Gleichzeitig ist es aber auch ein spannender Stoff für das breite Volk, da der aus politischen Gründen ins Exil verbannte Dante sich nicht davor scheute, Personen der biblischen, antiken und mittelalterlichen Geschichte, aber auch zahlreiche bekannte Zeitgenossen und sogar zwei Päpste aufgrund ihrer Vergehen in einem der Höllenkreise ,schmoren‘ zu lassen.
Literarische Form
Auch literarisch ist die Göttliche Komödie eine Sensation voller Zahlensymbolik: sie besteht aus drei Teilen (cantiche), den drei Jenseitsreichen, die jeweils aus 33 Gesängen (canti) zusammengesetzt sind. Gemeinsam mit dem einleitenden Prolog ergeben sich 100 Gesänge in gereimten Elfsilblern, insgesamt 14.233 Verse, die nach dem möglicherweise von Dante erfundenen, zumindest aber hier erstmals in diesem Umfang nachgewiesenen und gleich zur Perfektion getriebenen Reimschema der Terzine (ABA, BCB, CDC etc.) aufgebaut sind.