100 Jahre Novemberrevolution
Anlässlich des 100. Gedenkjahres der Revolution zeigt die Staatsbibliothek zu Berlin Reproduktionen von Flugblättern, Handzetteln und Zeitungssonderdrucken aus der Sammlung „Novemberrevolution“. Begleiten Sie uns in die revolutionären Tage in Berlin, Braunschweig und München und tauchen Sie ein in die politische Zeit des Umbruchs von 1918 bis 1920, in der demokratische und reaktionäre Kräfte erbittert und oft mit Gewalt über die zukünftige Ausrichtung der jungen Republik stritten.
Sammlung an der Staatsbibliothek zu Berlin
Unmittelbar nach dem Ausbruch der revolutionären Ereignisse im November 1918, veranlasste das Preußische Kultusministerium, die Sammlung revolutionärer Schriften an der Preußischen Staatsbibliothek. Der Sammelauftrag galt Büchern und Flugschriften ebenso wie Plakaten, Maueranschlägen, Flugblättern sowie einzelnen Zeitschriften- und Zeitungsnummern. Inhaltlich umfasste die Sammlung alle unmittelbar mit der Revolution zusammenhängenden politischen, sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Aspekte sowie die nachfolgenden Zeitereignisse wie Kapp-Putsch, Ruhraufstand, Mitteldeutscher Aufstand und Hitler-Putsch.
Berlin || 1918
„Der Kaiser hat abgedankt“ – Die Novemberrevolution in Berlin
Die gescheiterte Frühjahroffensive 1918 hat das deutsche Heer endgültig in die Defensive gedrängt, die Gefahr einer militärischen Niederlage auch angesichts der immer zahlreicheren amerikanischen Truppen zeichnet sich ab. Im Herbst 1918 fordert daher die Oberste Heeresleitung (OHL), dass den Vorbedingungen, die der US-Präsident Woodrow Wilson für die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen gestellt hat, nachgekommen wird: Die Bildung einer neuen Regierung sowie die Parlamentarisierung des Reiches. Der von Kaiser Wilhelm neu ernannte Reichskanzler Prinz Max von Baden bittet die USA Anfang Oktober 1918 um entsprechende Verhandlungen. Schnell wird klar, dass eine militärische Kapitulation unumgänglich sowie ein Machtverzicht des preußischen Königs und deutschen Kaisers wohl unvermeidlich ist.
Als in dieser Situation die Marineleitung Pläne für eine letzte „ehrenvolle“ Seeschlacht schmiedet und die Heeresführung „Widerstand bis zum äußersten gegen ein militärische Kapitulation“ ankündigt, spitzt sich die revolutionäre Stimmung zu. Die Soldaten wollen den sofortigen Frieden genauso wie die allgemeine Bevölkerung, die täglich unter der schlechten Versorgungslage leidet.
Die formale Parlamentarisierung des Reiches am 26. Oktober 1918 durch Verfassungsänderung bleibt fast unbemerkt und beruhigt die Gemüter kaum. Es kommt zu Meutereien unter den Matrosen in Wilhelmshaven und Anfang November 1918 zum Matrosenaufstand in Kiel. Die Macht wird dort von einem Arbeiter- und Soldatenrat übernommen, der revolutionäre Funke springt bald auf das ganze Reich über, in verschiedenen Territorien wird die Republik ausgerufen.
Zur Umsetzung des Friedens erscheint die Abdankung des Kaisers nun unausweichlich. Doch Wilhelm II. weilt inzwischen bei der OHL im belgischen Spa und denkt nicht an Rücktritt. Seinen Thronverzicht wird er tatsächlich erst am 28. November 1918 unterzeichnen. Währenddessen überschlagen sich in Berlin die Ereignisse.
Am 9. November 1918 erklärt Max von Baden daher auch auf Druck von Streiks der Soldaten und Arbeiter bewusst ohne rechtliche Grundlage oder Vorlage einer entsprechenden Zusage die Abdankung des Kaisers und überträgt das Reichskanzleramt an Friedrich Ebert (SPD). Philipp Scheidemann (SPD) ruft am selben Tag von einem Balkon des Reichstages die Republik aus und kommt damit absichtlich Karl Liebknecht vom linken Spartakus-Flügel der USPD zuvor, der vor einem Portal des Hohenzollernschlosses die sozialistische Republik proklamiert.
Einen Tag später bildet sich als Ergebnis der Versammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte im Zirkus Busch die neue Regierung: Der Rat der Volksbeauftragten, mit Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Philipp Scheidemann von Seiten der SPD sowie Hugo Haase, Emil Barth und Wilhelm Dittmann von Seiten der USPD. Auf Initiative der Arbeiter wird darüber hinaus ein Vollzugsrat etabliert, der die Regierung bis zum ersten Reichsrätekongress kontrollieren soll. Ebert baut aber auch auf die Unterstützung des Militärs zur Abwehr von ihm befürchteter linkssozialistischer Umsturzversuche, sodass er als Zugeständnis für die Loyalität der OHL unter Wilhelm Groener die Befehlsgewalt über das Militär beim traditionellen Offizierskorps belässt. Eine Erneuerung der militärischen Eliten findet somit nicht statt, vielmehr erhalten diese einen Hebel zur Rückgewinnung der politischen Macht.
Am 12. November 1918 verkündet die SPD/USPD-Regierung ihr Programm, das als Erfüllung der Revolution angesehen wird: Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts, Einführung des Frauenwahlrechts, Achtstundenarbeitstag, Garantie der Freiheitsrechte. Ebenfalls in Eberts Sinn ist das Stinnes-Legien Abkommen vom 15. November 1918: Um ihren Stand gegen die Arbeiterräte abzusichern, suchen die Gewerkschaften mit den Unternehmerverbände einen neuen Modus der Zusammenarbeit, der teilweise als Vorläufer der Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft gewertet werden kann.
Die folgenden Wochen sind seitens der OHL davon geprägt nicht nur als militärischer sondern auch als politischer Akteur Einfluss zurückzugewinnen. Parallel findet die Gründung neuer bürgerlicher Parteien statt: die Deutsche Demokratische Partei (DDP), die Deutsche Volkspartei (DVP) und die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) entstehen. Der Reichsrätekongress der Arbeiter- und Soldatenräte, der vom 16. bis 21. Dezember 1918 tagt, beschließt gegen den Willen von Spartakus Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung für den 19. Januar 1919, betont aber auch in Abgrenzung zur SPD unter Ebert die Notwendigkeit der Demokratisierung des Militärs und der Sozialisierung bestimmter Industriezweige.
Am 23. Dezember kommt es zwischen dem Rat der Volksbeauftragten und der Volksmarinedivision – revolutionäre Truppen, die eigentlich zum Schutz der neuen Regierung aufgestellt wurden und die im Schloss und Marstall untergebracht sind – zu einem Konflikt über Lohnzahlungen und Reduzierung der Mannschaftsstärke. Die Volksmarinedivision nimmt den Stadtkommandanten Otto Wels (SPD) als Geisel woraufhin Ebert General Groener um Truppenhilfe durch die OHL bittet. Der Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter Waldemar Pabst gelingt es aber nicht –- auch aufgrund massenhaft sich mit der Volksmarinedivision solidarisierender Berliner Arbeiter – einen militärischen Erfolg zu erzielen und muss sich zurückziehen. Aus Protest gegen die offene Zusammenarbeit von SPD und OHL verlassen die USPD-Mitglieder des Rats der Volksbeauftragten jedoch das Gremium, das nun allein von der SPD gestellt wird. Gustav Noske wird neuer Volksbeauftragter für Heer und Marine.
Der Spartakusbund vom linken Flügel der USPD vereinigt sich in Reaktion auf diese Ereignisse mit anderen linkssozialistischen Gruppierungen am 30. Dezember 1918 zu Kommunistischen Partei Deutschlands. Die neue Partei beschließt gegen die Ansicht Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts nicht an den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung teilzunehmen.
Am 3. Januar 1919 treten die USPD-Mitglieder auch aus der preußischen Regierung zurück. Als der Berliner Polizeipräsident Eichhorn (ebenfalls USPD) seine Entlassung nicht akzeptieren will, verschärft sich die Lage weiter. USPD, KPD und „revolutionäre Obleute“ (gewerkschaftsunabhängige Vertrauensleute in den Betrieben) rufen zu Massenprotesten gegen die Regierung auf und am 5. Januar 1919 sind Hundertausende, weitgehend selbstorganisierte Arbeiter auf den Straßen. Es kommt zu Besetzungen von Verlags- und Zeitungshäusern im Berliner Zeitungsviertel.
KPD, Berliner USPD und revolutionäre Obleute fordern den Sturz der Regierung, von einem planmäßig vorbereiteten „Spartakusaufstand“ kann aber nicht die Rede sein, zumal dieser Begriff den Spartakisten einen größeren Einfluss auf die Ereignisse zubilligt, als vorhanden. Auch die Massendemonstrationen von zehntausenden Arbeitern am 9. Januar 1919, die sich gegen einen „Bruderkrieg“ innerhalb der sozialistischen Bewegung und gegen Gewalt wenden, können eine weitere Eskalation nicht verhindern. Am 11. und 12. Januar 1919 erobern regierungstreue Verbände das Zeitungsviertel und andere besetzte Gebäude wie das Patentamt und das Polizeipräsidium unter massiven Einsatz von Artillerie zurück. Am 15. Januar 1919 marschieren Freikorps und Truppen der OHL in Berlin ein und gehen gegen die Aufständischen vor. In diesem Zusammenhang werden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gefangengenommen und später auf Befehl von Waldemar Pabst brutal ermordet.
Braunschweig || 1918
“Es lebe die sozialistische Republik!“ – Braunschweig, Revolution in der Provinz
Wie in vielen deutschen Territorien vollzieht sich die Revolution im Herzogtum Braunschweig bereits vor dem Umsturz in Berlin. Wie auch an anderen Orten, beginnt die Revolution im Herzogtum Braunschweig mit dem Protest der einfachen Soldaten gegen eine Weiterführung des Krieges und für einen raschen Waffenstillstand. Von den Küstenstädten breitet sich diese Bewegung in ganz Norddeutschland aus, erreicht am 6. November 1918 Hannover und einen Tag später auch Braunschweig.
Hier werden der Bahnhof und das Polizeipräsidium besetzt, politische Gefangene befreit und Teile der Garnison zeigen offen ihre Sympathie mit den Militärstreiks. Die verschiedenen Flügel der Arbeiterparteien klinken sich am 7. November 1918 in diese Protestbewegung der Soldaten ein: SPD, USPD und der linke Flügel der USPD, die Spartakusgruppe, die zu diesem Zeitpunkt aber formal noch Teil der USPD ist. Diese Gruppen, welche intern noch zusätzlich in diverse Flügel zerfallen, hegen unterschiedliche Vorstellungen über den weiteren Ablauf der Ereignisse und streiten sich z.B. heftig, wem die Parteizeitung der „Volksfreund“ gehören solle. Wie im Reich auch gibt es in der organisierten Arbeiterschaft keine einheitliche Meinung über eine Revolution und ebenso wenig konkrete Planungen für ihre Durchführung.
Am 7. November 1918 bildet sich allerdings ein Arbeiterrat, der für den nächsten Tag einen Streik ausruft und zudem beschließt, die Verlagsräume des „Volksfreundes“ zu besetzen. Am 8. November 1918 kommt es zu massenhaften Arbeitsniederlegungen und großen Demonstrationszügen; 20.000 Menschen ziehen vor das Braunschweiger Schloss und harren der Dinge, die nun kommen sollen. Dazu zählt vor allem die erwartete Abdankung des Herzogs Ernst August, des Schwiegersohns von Kaiser Wilhelm II.
Eine Demokratisierung des Reiches und seiner Einzelstaaten, wie von den Alliierten gefordert, lässt sich kaum mit den Repräsentanten der alten Ordnung realisieren. Ernst August erklärt am Abend gegenüber der Delegation des Arbeiter- und Soldatenrates den Verzicht auf den Thron auch für seine Nachkommen und betont zudem, dass er „die Regierung in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrates lege“. Eine etwas kuriose Formulierung, da sie eine quasi legale Übergabe der Macht durch den alten Herrscher an die neue Regierung beschreibt, die doch viel mehr auf Druck der revolutionären Massen erzwungen worden ist. Herzog August verbringt noch eine Nacht im Schloss und kann sich in der Folgezeit frei im Land bewegen.
Am 10. November 1918 wird durch den Arbeiter- und Soldatenrat im Braunschweiger Landtag die neue Regierung, der Rat der Volksbeauftragten, gebildet und August Merges (Mitglied der USPD und des Spartakusbundes) zum Präsidenten der „Sozialistischen Republik Braunschweig“ ausgerufen. Die Regierung setzt sich ausschließlich aus Mitgliedern der USPD zusammen. Die leitenden Regierungsräte bleiben aber alle im Amt und signalisieren auf Verwaltungsebene eine Kontinuität, die auch in vielen kommunalen Institutionen im Land Braunschweig gegeben ist. Zur Sicherung der Revolution gegen vermeintliche Gegenreaktionen wird eine „Rote Garde“ ins Leben gerufen.
Im Verlauf der kommenden Wochen wird im Freistaat Braunschweig das allgemeine und direkte Wahlrecht eingeführt sowie die Trennung von Kirche und Staat insbesondere im Schulbereich umgesetzt. Bei der ersten Landtagswahl am 22. Dezember 1918 zeigt sich, wie stark die Anhängerschaft der Parteien im eher agrarisch strukturierten Freistaat wirklich ist: Die bisher allein regierende USPD erhält 24,3 % der Stimmen, die SPD 27,7%, die DDP 21,8 % und der Landeswahlverband (Zentrum, DVP und DNVP) 26,2%. In der Folge wird mit zunehmender Verfestigung parlamentarischer Strukturen, die schließlich in die vorläufige Verfassung vom Februar 1919 mündet, die Vision einer „sozialistischen Republik“ mit weitreichender Bodenreform, Verstaatlichungen und Rätesystem aus den Anfangstagen der Revolution kaum realisiert.
Weimar || 1919
Auf dem Weg in die Weimarer Republik: Die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung
Am 12. November 1918 veröffentlicht der Rat der Volkbeauftragten, der als provisorische Regierung fungiert, den „Aufruf an das deutsche Volk!“. Diese Erklärung, welche sich zum Ziel setzt ein „sozialistisches Programm“ der beiden regierenden Parteien SPD und USPD umzusetzen, hebt nicht nur kaiserliche Beschränkungen der Versammlungs-, Zensur-, und Meinungsfreiheit auf, sondern formuliert erstmalig das Prinzip von gleichen, geheimen, direkten, und allgemeinen Wahlen. In nur wenigen Monaten gelingt es der amtierenden Regierung die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung zu organisieren, die diese demokratischen Prinzipien umsetzt.
Friedrich Ebert, Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten, beauftragt Hugo Preuß, Abgeordneter der Berliner Städteverordnung und linksliberaler preußischer Staatsrechtler, ein neues Wahlgesetz als rechtliche Grundlage für demokratische Wahlen zu erarbeiten. Das neue Wahlgesetz bringt wichtige Neuerungen wie die Herabsetzung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre, die Einführung des Stimmrechts für Frauen und Soldaten sowie das Verhältniswahlrecht mit sich. Anstelle der Mehrheitswahlkreise werden nun Landeslisten gebildet. Auch der im Dezember 1918 tagende Reichskongress der Arbeiter-und Soldatenräte unterstützt die Wahl zur Nationalversammlung und so legt der Rat der Volksbeauftragten den 19. Januar 1919 als Wahltermin fest.
Zur Wahl stellen sich 19 Parteien, darunter auch die USPD – die noch junge KPD entscheidet sich gegen die Teilnahme. Im Januar 1919 sind somit erstmalig alle Männer und Frauen ab 20 Jahren, rund 37 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Vorfeld der Wahl verbreiten die antretenden Parteien umfassende Wahlwerbung in Form von Wahlplakaten, Flugblättern und Wahlkampfreden, aber auch gedruckte Bücher und Parteiprogramme. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten befinden sich 300 Frauen, die erstmals neben ihrem aktiven auch ihr passives Wahlrecht ausüben. Frauen werden als neue Wählergruppe gezielt angesprochen, wenngleich sie auf Plakaten und Flugblättern meist in ihrer gesellschaftlichen Rolle als Mütter und Hausfrauen adressiert werden.
Am Wahltag selbst liegt die Wahlbeteiligung bei etwa 83% und somit etwas niedriger als bei der Reichstagswahl von 1912. Vor den militärisch gut gesicherten Wahllokalen, die von 9 Uhr bis 18 Uhr geöffnet sind, bilden sich vielerorts lange Schlangen. Im Ergebnis der Wahlen gehen die Sozialdemokraten eindeutig als stärkste Kraft hervor: Sie stellen 165 von 423 Abgeordneten (SPD: 37,9 %). Das katholische Zentrum wird mit 91 Abgeordneten zweitstärkste Partei (19,7%). Auf die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) entfallen 75 Mandate (18,6%). Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) erringt 44 Sitze (10,3%), während auf die Deutsche Volkspartei (DVP) 19 Sitze (4,4%) und auf die USPD 22 Sitze (USPD 7,6 %) entfallen. Die SPD ist auf eine Koalition mit dem Zentrum und der DDP angewiesen, um die nötige Dreiviertel-Mehrheit zu erreichen. Diese Konstellation war nicht neu, denn bereits seit 1917 hatten diese Parteien im Reichstag eng zusammengearbeitet. Unter den 423 gewählten Parlamentsmitgliedern sind 37 Frauen, die mehrheitlich der SPD angehören.
Am 20. Januar 1918, einen Tag nach der Wahl, gibt Hugo Preuß Weimar als Versammlungsort für die Delegierten bekannt. Gleich mehrere Gründe sprechen für Weimar als Ort für die einzuberufende verfassungsgebende Nationalversammlung. Zum einen ist Weimar zentral gelegen, erfüllt die sicherheitspolitischen Kriterien – Aufstände wie in Berlin sind nicht zu befürchten – und bietet als Touristenort ausreichend Hotels, um die mehr als 400 Abgeordneten unterzubringen. Ein weiteres wichtiges Kriterium, das vor allem von den süddeutschen Ländervertretern angeführt wird, ist die Auswahl eines Ortes, der außerhalb Preußens liegt. Täglich verkehrt ein Zug nach Berlin und bereits ab Februar bedient die erste zivile Fluglinie täglich die Verbindung Berlin Johannistal – Leipzig- Weimar und zurück. Und schließlich möchte man mit der Wahl dieses Ortes den neuen Staat auch in die Tradition der humanistischen Dichter und Denker sowie des Geistes von Weimar stellen.
Am 6. Februar 1919 treten die 423 gewählten Abgeordneten aus zehn Parteien erstmalig zusammen, um eine neue Verfassung nach einem Entwurf von Hugo Preuß, dem „Vater der Weimarer Reichsverfassung“, auszuarbeiten. Friedrich Ebert wird zum vorläufigen Reichspräsidenten gewählt und ernennt Philip Scheidemann zum Ministerpräsidenten der sogenannten „Weimarer Koalition“. Am 19. Februar 1919 spricht Marie Juchacz (SPD) als erste Frau in der deutschen Geschichte vor einem deutschen Parlament und stellt fest, „(…) dass wir Frauen dieser Regierung nicht etwa (…) Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ (Reichstagsprotokoll, 19.2.1919)
In der etwa sechsmonatigen Tätigkeit der verfassungsgebenden Versammlung hat sie die Funktion eines verfassungsgebenden Organs und Parlaments. Nach dem Rücktritt Scheidemanns im Juni 1919, der die Unterzeichnung des Versailler Vertrages ablehnt, tritt eine neue Koalitionsregierung unter Gustav Bauer (SPD) zusammen. Noch im Juni 1919 erfolgt die Unterzeichnung des Versailler Vertrages, welcher die alleinige Kriegsschuld Deutschlands festschreibt. Am 31. Juli 1919 wird die Weimarer Reichsverfassung durch die Nationalversammlung mit 262 gegen 75 Stimmen (USPD, DVP und DNVP) und einer Enthaltung ratifiziert. Die letzte Sitzung der verfassungsgebenden Nationalversammlung erfolgt am 21. August 1919, bevor diese nach Berlin umzieht. Nach den Reichstagswahlen am 6. Juni 1920 wird die Nationalversammlung durch den Reichstag abgelöst.
München || 1919
Utopischer Sozialismus, Kommunismus, Reaktion: Die Münchner Räterepublik
Die revolutionären Umwälzungen infolge des Kieler Matrosenaufstandes erreichen München noch vor Berlin. Am 7. November 1918 dankt Ludwig III. als König von Bayern ab und die beinahe 750-jährige Herrschaft der Wittelsbacher in Bayern endet: Schon am 8. November 1918 ruft Kurt Eisner die bayerische Republik als „Freistaat“ aus. Eisner, ein jüdischer Journalist und Schriftsteller aus Berlin, gehörte seit 1917 zu den führenden Politikern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) in Bayern. Im November 1918 wird er durch die Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte zum ersten bayerischen Ministerpräsidenten gewählt.
Eisners Regierung unter Beteiligung der SPD und USPD agiert als provisorische Regierung bis zur geplanten Landtagswahl im Januar 1919. Über die Frage der zukünftigen Verfassungsform wird in dieser Zeit heftig gestritten: Während die SPD eine parlamentarische Demokratie anstrebt, setzt Eisner auf die Einführung einer Rätedemokratie. Letztendlich werden während der rund 100-tägigen Amtszeit Eisners keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Veränderungen erreicht, sondern vor allem soziale Verbesserungen für die Arbeiterschaft wie die Einführung des Achtstundentags, des Frauenwahlrechts und die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht.
Wie geplant findet am 12. Januar 1919 die Wahl zum Bayerischen Landtag nach einem neuen allgemeinen Wahlrecht statt, in der die USPD unter Führung Eisners ein verheerendes Ergebnis erzielt: Lediglich 3 Sitze entfallen auf die USPD, wohingegen die SPD 61 Sitze gewinnt. Als Eisner sich am 21. Februar 1919 auf dem Weg zum Landtag befindet, um nach seiner Wahlniederlage die Auflösung seines Kabinetts bekanntzugeben, wird er von Anton Graf von Arco auf Valley, einem Mitglied der rechtsgesinnten Thule-Gesellschaft, erschossen. Nur eine Stunde später wird der bayerische Innenminister und Vorsitzende der SPD, Erhard Auer, im Bayerischen Landtag von einem Mitglied des Revolutionären Arbeiterrates, dem Schankkellner Alois Lindner, niedergeschossen. Die beiden Morde leiten eine zweite radikalere Phase der Revolution in München ein. Eisners Staatsbegräbnis im Februar 1919 wird von Massen auf den Straßen begleitet.
Nach der Ermordung von Eisner und Auer beruft der „Vollzugsrat der Münchner Arbeiterräte“ die Rätedelegierten aus ganz Bayern nach München ein. Unter dem Vorsitz von Ernst Niekisch (USPD) konstituiert sich daraus der „Zentrale Arbeiter und Soldatenrat“ als provisorische Regierung. Am 17. März 1919 wird Johannes Hoffmann (SPD) durch den bayerischen Landtag zum neuen bayerischen Ministerpräsidenten und Außenminister Bayerns gewählt. Gegen Hoffmanns Kabinett bildet sich allerdings schnell Widerstand – nicht nur in München, sondern auch in anderen Landesteilen Bayerns.
Angespornt durch die politischen Ereignisse in Ungarn, wo Béla Kun eine Räteregierung aus Sozialisten und Kommunisten bildet, ruft der Zentralrat der bayerischen Republik unter Niekisch am 7. April 1919 die Bayerische Räterepublik aus. Unter der Führung von pazifistischen und anarchistischen Intellektuellen und Literaten wie Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam wird eine sozialistische Räterepublik ins Leben gerufen. Die Regierung Hoffmann weicht deshalb Mitte April nach Bamberg aus; die Ereignisse in München beunruhigen mehr und mehr auch die Reichsregierung in Berlin. Doch das Kabinett Hoffmann zögert, die militärische Hilfe der Reichsregierung zur Niederschlagung der Räterepublik anzunehmen.
Nach dem „Palmsonntagsputsch“ wird die „Zweite Republik“, eine kommunistische Räterepublik, unter der Führung von Eugen Leviné, einem russischen Sozialrevolutionär und Vorsitzender der Münchner KPD, ausgerufen. Diese wendet sich auch gegen die Bayerische Räterepublik unter Niekisch, so dass die neu eingerichteten Betriebs- und Kasernenräte den bisherigen Zentralrat für aufgelöst erklären und eine neue Regierung mit einem Vollzugsrat als Exekutive einrichten. Die neuen Machthaber rufen auf Flugblättern zu einem 9-tägigen Generalstreik auf, der den Arbeitern die Gelegenheit geben soll, sich in einer „Roten Armee“ nach dem Vorbild der Russischen Revolution zu organisieren.
Am 13. April 1919, am Palmsonntag, unternimmt Hoffmann einen eigenen militärischen Vorstoß, um die Räterepublik zu beenden. Im Morgengrauen dringen regierungstreue republikanische Schutztruppen gemeinsam mit Freiwilligenverbänden aus Nordbayern in das Wittelsbacher Palais ein und verhaften mehrere Mitglieder des Zentralrats. Toller, Landauer und die Führung der KPD können jedoch entkommen. Die schweren Kämpfe rund um den Münchner Hauptbahnhof fordern 21 Tote und beenden erfolglos Hoffmanns militärischen Vorstoß.
Der vom Bayerischen Landtag gewählte Hoffmann bittet nun die Reichsregierung in Berlin um militärische Unterstützung bei der Niederschlagung der kommunistischen Räterepublik. Reichsministerpräsident Scheidemann gibt dem Ersuchen statt und unter Leitung des preußischen Generalleutnants Ernst von Oven sowie mit Hilfe von Freikorpstruppen belagern rund 30.000 Mann die Stadt München im Mai 1919. Die „Rote Armee“ unter Führung des Matrosen Rudolf Eglhofer, welche weitaus schlechter aufgestellt ist, unterliegt in den Kämpfen der sogenannten „Weißen Armee“.
Es folgt eine einwöchige willkürliche Erschießungs- und Ermordungswelle durch die „Weiße Armee“. In dieser werden nicht nur Protagonisten der Räterepublik wie Gustav Landauer brutal ermordet, sondern auch spartakistische Frauen und Männer sowie unbeteiligte Münchner Zivilisten und Arbeiter wahllos erschossen. Wer überlebt, dem wird der Prozess gemacht: So etwa werden Leviné wegen Hochverrats, sowie Niekisch und Toller wegen Beihilfe zum Hochverrat angeklagt. Während Niekisch und Toller wie zahlreiche andere Räterepublikaner in Festungshaft kommen, wird Leviné am 5. Juni 1919 im Gefängnis Stadelheim erschossen.
Berlin || 1920
Die Generäle proben den Aufstand: Der Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch ist nicht der erste Versuch von Seiten des Militärs, die von ihr ungeliebte Regierung der ungewollten Republik loszuwerden. Schon im Juli 1919 hat Waldemar Pabst, Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division einen Militärputsch mit seinen Freikorpstruppen eingeleitet. Das Unternehmen erscheint aber den Generälen um Walther von Lüttwitz noch zu riskant, weswegen die Soldaten zurückbeordert werden und Pabst im Anschluss auf eigenen Wunsch seinen Abschied aus dem Militär erhält.
Doch bereits seit dem Sommer 1919 bereiten General Ludendorff und der rechtsgerichtete preußische Karrierebeamte Wolfgang Kapp, seit 1907 Generallandschaftsdirektor in Ostpreußen und im Krieg mit weitreichenden Siegfriedensvorstellungen hervorgetreten, das Terrain für einen Staatsstreich vor.
Sie bilden im Oktober 1919 die „Nationale Vereinigung“, hervorgegangen aus der ehemaligen Vaterlandspartei, als organisatorische Plattform für einen Putsch. Die politischen Rahmenbedingungen der internationalen Politik spielen ihnen zusätzlich in die Hände: Der Versailler Vertrag verlangt die Reduzierung der Reichswehr auf 100.000 Mann bis Mitte 1920, was eine erhebliche Entlassungswelle und Auflösung militärischer Einheiten bei einer bis dato vorhandenen Truppenstärke von 250.000 Mann inklusive Freikorps bedeutet.
Als am 29. Februar 1920 zur Erfüllung des Versailler Vertrages die Anordnung zur Auflösung der Marinebrigade Ehrhardt – ein Freikorps, das schon bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik eingesetzt wurde –erfolgt, sehen die Putschisten darin den willkommenen Anlass für ein Ultimatum. General Lüttwitz, seit Herbst 1919 ebenfalls im Kreis der Verschwörer aktiv, fordert am 10. März 1920 die Einstellung der Truppenreduzierung, die Auflösung der Nationalversammlung, Neuwahlen zum Reichstag und seine eigene Ernennung zum Oberbefehlshaber der Reichswehr sowie die Ablösung des regierungsloyalen Chefs der Heeresleitung General Walther Reinhardt.
Lüttwitz wird daraufhin von Ebert seines Amtes enthoben, was diesen allerdings nicht davon abhält, sich zur Marinebrigade Ehrhardt zu begeben, die in der Nähe von Berlin liegt. Am 13. März 1920 rückt die Brigade in die Stadt ein. Der Versuch von Reichswehrminister Noske, die Putschisten durch Reichswehr und Sicherheitspolizei notfalls mit Gewalt zu stoppen, scheitert, weil der Chef des Truppenamtes General Hans von Seeckt den Schießbefehl gegen die Marinebrigade ablehnt: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“. Ein Teil der Reichsregierung flieht daher kurz vor Ankunft der Putschisten im Regierungsviertel zuerst nach Dresden und dann nach Stuttgart.
Am Morgen des 13. März 1920 wird Kapp von den Truppen zum neuen Reichskanzler proklamiert, aber bereits im Laufe des Vormittags lässt die Reichsregierung einen Aufruf zum Generalstreik zirkulieren, dem sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft der Angestelltenverbände (AfA) anschließen. Einen Tag später steht das Land praktisch still: Der Zug- oder Straßenbahnverkehr ist eingestellt, Fabriken sind geschlossen, Lampen bleiben dunkel, auch die Ministerialverwaltung widersetzt sich den Anordnungen der Putschisten. Im Ruhrgebiet kommt es wie schon im April 1919 zu Auseinandersetzungen zwischen durch Arbeiter aufgestellten „Roten Armeen“ und mit den Putschisten sympathisierenden Freikorps und Einheiten der Reichswehr. In dieser Lage bleibt dem ‚Reichskanzler Kapp‘ nur der Rücktritt, den er am 17. März 1920 vollzieht. Der Putsch ist gescheitert.
Die Gewerkschaften fordern nun im Bewusstsein ihrer eigenen Stärke politische Folgen aus der Abwehr des Putsches: Umbildung der Regierung, Demokratisierung des Heeres, Auflösung konterrevolutionärer Einheiten, Sozialisierung geeigneter Wirtschaftszweige usw. Die Regierung unter Gustav Bauer (SPD) stimmt diesen Forderungen formal zu, woraufhin der Generalstreik am 20. März beendet wird.
Dies gilt allerdings nicht für das Ruhrgebiet, wo es auch weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen „Roter Ruhrarmee“ und Reichswehr kommt. Was als Widerstand gegen die Putschisten begonnen hat, ist zu einem Revolutionsversuch geworden. Schließlich wird der Aufstand dort aber mit großer Härte teils von den Regimentern niedergeschlagen, die zuvor gegenüber den Putschisten untätig geblieben waren.
Am 27. März 1920 löst der bisherige Außenminister Hermann Müller (SPD) Gustav Bauer als Reichskanzler ab, Reichswehrminister Noske verliert ebenso sein Amt. Wirkliche Konsequenzen aus dem brutalen Vorgehen der Freikorps und Reichswehr werden nicht gezogen, dafür scheidet ausgerechnet General Walther Reinhardt aus seinem Amt aus, der als einziger der hohen Militärs den Putschisten mit Waffengewalt begegnen wollte.
Die juristische Aufarbeitung des Putsches unterbleibt weitgehend: Lüttwitz, der nach Kapp noch kurz die Macht übernommen hatte, setzt sich ins Ausland ab und kehrt 1924 nach einer Amnestie zurück. Kapp flieht nach Schweden ins Exil. 1922 kommt er nach Deutschland zurück. Hier stirbt er in Erwartung seines Hochverratsprozesses nach einer Krebsoperation. Lediglich einer der Mitinitiatoren des Putsches, Traugott von Jagow, ehemaliger Polizeipräsident von Berlin in der Kaiserzeit, wird zu fünf Jahren Haft verurteilt, von denen er drei Jahre verbüßt.