I | VERLAGSBUCHHANDLUNG
Rundschreiben zur Gründung der Verlagsbuchhandlung zum 31. März 1847
Leserschaft & Programm
Otto Spamer gründete 1847 in Leipzig eine Verlagsbuchhandlung. Sie bediente verschiedene Sparten. Unter dem Motto „Für das Haus und das Leben“ richteten sich die Bücher aber vor allem an Kinder, Jugendliche und Familien. Der Verleger wandte sich an die wachsende Mittelschicht und stillte mit seinen Titeln ihren Wissensdurst. Er setzte auf massenhafte Verbreitung und produzierte hohe Auflagen. So waren erschwingliche Ladenpreise möglich. Damit erkannte er die Bedürfnisse des Publikums zur rechten Zeit.
Inhaltlich besetzte Spamer eine Marktlücke. Seine Bücher erschlossen Themen über den Schulstoff hinaus. Denn dieser konnte bei der rasanten Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mithalten. Spamer verlegte seine Bücher nach einem genauen Plan. Es gab vier große Programmsparten:
– Bücher für Kinder, Jugendliche & Familien
– Allgemeine Sachbücher und Ratgeber
– Prachtausgaben und Nachschlagewerke
– Fachliteratur
Die Bücherfabrik
1851 brachte Spamer die erste Buchreihe für junge Leser und Leserinnen heraus. Von 1862 bis 1880 erlebte der Verlag seine Blütezeit. Zum Unternehmen gehörten eine Illustrationswerkstatt, eine Buchbinderei sowie eine Druckerei. Alle Zweige wurden 1878 in einem Neubau untergebracht, in Spamers Hof: ein Mehrfamilienhaus mit Hinterhaus und Seitengebäuden.
Hier waren über 200 Arbeiter beschäftigt. Sie arbeiteten montags bis samstags von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends. Eine wahre Bücherfabrik! Otto Spamer mochte diese Bezeichnung zwar nicht besonders. Sie trifft aber den Kern des Unternehmens, das bei Einsatz neuester Maschinentechnik über drei Millionen Bücher für die Jugend produzierte.
Und Otto Spamer selbst? Er freute sich über ein modernes Büro, gleich neben den Wohnräumen der Familie im Vorderhaus. Auf einem dunkelgrünen Sofa empfing er Autoren, Illustratoren und andere Geschäftspartner. Überall im Raum standen Konsolen mit Büchern und Broschüren, mittendrin ein großer Schreibtisch mit Telefonen, wie eine Autorin um 1880 notierte:
„Neben demselben […] eine Tafel mit drei Reihen weißer Porzellanknöpfe; über jeden derselben – es mochten etwa dreißig sein – stand ein Wort oder ein Name. Es waren die Verbindungsdrähte, mittels deren sich Spamer durch seinen Haustelegraphen mit allen Theilen seines weiten Anwesens in Verbindung setzen kann, ohne einen Schritt aus dem Arbeitszimmer zu thun.“
Das Verlagsgebäude 2020
Fassadenentwurf zu Spamers Hof, 1873
Quelle: Amt für Bauordnung und Denkmalpflege, Bauaktenarchiv – Stadt Leipzig, Nr. 1023CD, Abt. B, Bd. I, Bl. 3
II | DER VERLEGER
Otto Spamer um 1870
Herkunft und Ausbildung
Otto Spamer wurde am 29. August 1820 im hessischen Darmstadt geboren. Er kam aus einer Familie des Bildungsbürgertums. Mit 14 Jahren trat er eine Lehre im Buchhandel an. Danach war er Gehilfe bei dem Verlagsbuchhändler Carl Ludwig Krebs in Aschaffenburg. 1842 ging Spamer nach Leipzig und arbeitete bald bei dem Verleger Johann Jakob Weber. Dort lernte er die Illustration von Zeitungen kennen, eine absolute Neuheit. Diese Form der Bebilderung inspirierte Spamer.
Anfänge abseits des Buchhandels
Kurz nach der Gründung seines Verlages begann die unruhige Revolutionszeit von 1848. Der Jungunternehmer verschuldete sich. Um seine Familie zu ernähren, versuchte er, in Wien Geld zu verdienen. Zurück in Leipzig gründete er ein Zentral-Geschäfts-Bureau. Hier verkaufte er Kramwaren wie Bleistifte, Siegellack und Insektenpulver, das er angeblich als Erster nach Leipzig gebracht hat. Außerdem verlegte er zunächst ohne klare Ausrichtung: Adressbücher, medizinische Schriften, landwirtschaftliche Abhandlungen, technische Literatur und historische Titel. Zu seinen medizinischen Broschüren bot er allerlei Heilmittel an. Ihre Wirkung war nicht belegt. Er handelte sich damit großen Ärger ein. Über zehn Jahre währte ein Gerichtsstreit dazu. Die Zeitung „Die Gartenlaube“ kritisierte Spamers „populär-medicinischen Buch-Charlatanismus“.
Spamers medizinische Broschüren aus der Zeit des Verlagsauftakts
Spamer begann seine Lehre zum Buchhändler 1834. Fünfzig Jahre später feierte er sein goldenes Berufsjubiläum.
Persönlichkeit & Mission
Im Büchermachen für das junge Publikum fand Spamer seine Berufung. Daran zu glauben und festzuhalten, das sei das Geheimnis seines Erfolgs gewesen, meinte Spamer rückblickend. Er hatte eine ungewöhnliche Willenskraft und überstand mit Ausdauer, Fleiß und Einfallsreichtum so manche Krise. Spamer wird als herzlicher Mann beschrieben, der Humor hatte. Stetig entwickelte er neue Ideen für das Verlagsprogramm. Er verfügte über erzählerisches Talent und schrieb selbst zahlreiche Bücher.
Als sich der unternehmerische Erfolg einstellte, erwarb Spamer im Alter von 54 Jahren einen Landsitz im Erzgebirge. Dorthin zog er sich im Sommer zurück oder wenn ihm seine Gesundheit zu schaffen machte. Seit seiner Kindheit litt Spamer an Gicht.
Otto Spamer war verheiratet und hatte fünf Kinder. Er liebte das Lesen und das lebenslange Lernen. Er bezeichnete sich als einen ewig fortbüffelnden Bücherwurm. In jungen Jahren war er gesellig. Später zog er sich in sein Unternehmen zurück. Es heißt, er habe noch bis kurz vor seinem Tod Titel für neue Auflagen überarbeitet. Spamer starb am 27. November 1886 in Leipzig.
Das Büro des Verlegers um 1860
Maxenstein, Spamers Anwesen im Erzgebirge
III | AUTORINNEN UND AUTOREN
Lehrer als Autoren
Berühmte Namen sucht man unter den Kinder- und Jugendbuchautoren von Spamer vergeblich. Stattdessen schrieben auffallend viele Lehrer für den Verlag. Denn frühzeitig erkannte Otto Spamer, dass Pädagogen Fachthemen leicht verständlich präsentieren können. Seiner Meinung nach verstanden sie es am besten, unterhaltend zu bilden. Spamer beauftragte Lehrer, Reise- und Abenteuererzählungen zu bearbeiten sowie Jugendsachbücher zu speziellen Themen zusammenzustellen. Oftmals holte er sich dafür Anregungen vom englischen Buchmarkt.
Erstes Titelblatt zur Reihe „Das illustrirte goldene Kinderbuch“
Louis Thomas
1851 startete der Spamer Verlag mit seiner ersten Sachbuch-Reihe für Kinder und Jugendliche: „Das illustrirte goldene Kinderbuch“. Ihr Autor und Herausgeber war der Lehrer Louis Thomas. Seine Bücher erzielten hohe Auflagen: Elfmal kam „Das Buch der denkwürdigsten Entdeckungen“ heraus, zwölfmal „Die denkwürdigsten Erfindungen bis zu Ende des 18. Jahrhunderts“.
Louis Thomas (1815–1878) war für den Spamer Verlag ein Autor der ersten Stunde, noch dazu ein überaus erfolgreicher. Er unterrichtete an verschiedenen Leipziger Schulen und bekleidete ab 1871 bis zu seinem Tod das Direktorenamt der Ratsfreischule. Thomas verfasste zusammen mit Kollegen auch zahlreiche Lese- und Lehrbücher für andere Verlage.
Der illustrirte Jugendfreund : Schilderungen des Weltgebäudes und seiner Wunder / hrsg. von Louis Thomas. – Leipzig : Otto Spamer, 1852
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XXIII, 83 R
Thomas, Louis: Die denkwürdigsten Erfindungen im neunzehnten Jahrhundert : für die reifere Jugend dargestellt. 10., durchaus neubearb. Aufl. Leipzig : Otto Spamer, 1895, (Die denkwürdigsten Erfindungen ; Bd. 2)
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XX, 202-2<10>
Das Buch der denkwürdigsten Entdeckungen auf dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde in Erzählungen für die reifere Jugend / hrsg. von Louis Thomas. 2., vermehrte Aufl. Leipzig : Otto Spamer, 1855, (Das illustrierte goldene Kinderbuch ; Bd. 4)
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XV 1, 52<2 R>
Marie Leske um 1900
Autorinnen
Für den Verlag schrieben Männer und Frauen. Auffallend ist die klare Rollenverteilung: Während sich die Autoren mit den Themen Natur, Geschichte und Technik beschäftigten, widmeten sich die Autorinnen in der Regel der Erziehung und Hauswirtschaft.
Der Verleger förderte Frauen als Autorinnen. Zu ihnen gehörte Marina Witter (1838–1909), Tochter von Spamers Freund und ehemaligem Arbeitgeber Carl Ludwig Krebs. Der Verleger half ihr aus einer Krise, indem er ihr zum Schreiben riet. Unter dem Namen Marie Leske verfasste sie einen wahren Bestseller: „Das illustrirte Spielbuch für Mädchen“ erschien zwischen 1865 und 1914 in 24 Auflagen.
Marie Leske: Illustriertes Spielbuch für Mädchen : unterhaltende und anregende Belustigungen, Spiele und Beschäftigungen für Körper und Geist, im Zimmer sowie im Freien. 13 Aufl. Leipzig: Otto Spamer, 1892
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XXII, 220<13>
Johanna von Sydow u. Elly Gregor (Hg.): Lieschens Puppenstube. Leipzig u. Berlin: Otto Spamer, 1884
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XXII, 360
Ernestine Diethoff: Edle Frauen der Reformation und der Zeit der Glaubenskriege. 2. Aufl. Leipzig u. Berlin: Otto Spamer, 1882
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B X, 1665
Otto Spamer als Autor
Unter dem Künstlernamen Franz Otto veröffentlichte Spamer selbst rund 50 Titel in seinem Verlag. Viele davon sind Erzählungen. Sein Interesse galt besonders Stoffen aus der deutschen Geschichte. Eines der erfolgreichsten Bücher des Verlages stammte aus Spamers eigener Feder: „Der große König und sein Rekrut“ ist eine Erzählung aus dem Leben Friedrichs II. Es erzielte noch zu Spamers Lebzeiten eine Auflage von 25.000 Exemplaren. Daneben gab Franz Otto gemeinsam mit anderen Autoren Sachbücher heraus. Er schrieb Abenteuerbücher und bearbeitete Sagen- und Märchenstoffe.
Franz Otto: Der große König und sein Rekrut. Lebensbilder aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Erster Teil. 3. Aufl. Leipzig: Otto Spamer, 1866
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B X, 176-1<3>
Franz Otto: Große Tage aus der Zeit der Befreiungskriege. (Vaterländisches Ehrenbuch ; 1) 4. Aufl. Leipzig: Otto Spamer, 1882
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B III, 48-1<4>
Franz Otto (Hrsg.): Neuere deutsche Geschichten von der Reformation bis zum Goldenen Zeitalter der deutschen Dicht- und Tonkunst : (bis zu Friedrich dem Großen). 5. Aufl. Leipzig: Otto Spamer, 1901
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XIII, 98<5>
IV | SPAMERS BILDERWELT
Die Illustrationstechnik
Spamers Bücher waren wegen ihrer vielen Illustrationen beliebt. Dabei setzte der Verleger auf die Technik des Holzstichs, auch Xylografie genannt. Dieses Hochdruckverfahren kam aus England und wurde ab 1830 in Deutschland benutzt. Es wurden dafür Holzblöcke aus hartem Buchsbaumholz verwendet. Damit konnte man Tonabstufungen und Details sehr gut herausarbeiten. Der Zeichner fertigte auf dem Holz eine Skizze an. Danach begann der Xylograf seine Arbeit. Mit verschiedenen Werkzeugen entfernte er alle Flächen und ließ die Linien stehen. Die Lupe im Auge half ihm, die Feinheiten zu erkennen. Der fertige Druckstock wurde anschließend eingefärbt und auf Papier gedruckt.
Ein Holzschneider bei der Arbeit
Die Bilderfabrik
Spamer gründete 1858 eine Artistische Anstalt mit einem Zeichenatelier und einem xylografischen Institut. Dort waren 30 Xylografen beschäftigt. Sie fertigten Holzstiche am laufenden Band. Die Qualität der Illustrationen entsprach der von Massenware. Um 1880 besaß Spamer über 60.000 Holzstiche, die er in feuerfesten Magazinen aufbewahrte. Sie wurden in den eigenen Titeln mehrfach verwendet, aber auch an andere Verlage verkauft. Umgekehrt erwarb Spamer ebenso Abbildungen von Kollegen. Ab 1865 konnte Spamer farbige Holzstiche in seiner „Buntdruckerei“ herstellen. Das Verfahren war aufwändig, das Ergebnis lediglich befriedigend. Modernere und billigere Bilddruckverfahren lösten den Holzstich Ende des 19. Jahrhunderts ab.
Illustrationen verschiedener Techniken aus Spamer-Büchern
(Bildmaterial aus dem Projekt WegehauptDigital der Staatsbibibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz)
V | VERLAGSPROGRAMM
Konkurrenzlos
Auch andere Verlage boten Sachliteratur für junge Leser an. Zu den wichtigsten jener Zeit gehörten Carl Flemming, J. F. Schreiber, Velhagen & Klasing oder Winckelmann & Söhne. Aber Spamers Markenzeichen war neben den vielen Abbildungen die Beschäftigung mit gegenwartsbezogenen Themen. Hierin war er der Konkurrenz weit voraus. Redaktionen brachten die Buchinhalte auf den neuesten Stand. Und der Verleger selbst erwies sich als Meister der Variation: Er kombinierte vorhandene Themen und Illustrationen für neue Buchtitel. Durch die Wiederverwendung konnte er kostensparend produzieren. Das brachte ihm aber auch Kritik ein.
Siegelmarke der redaktionellen Abteilung
Louis Thomas: Das Buch wunderbarer Erfindungen. 2. Aufl. Leipzig: Otto Spamer 1854, S. 187
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung.
Signatur: B XV 1, 52<2> R
Louis Thomas: Die denkwürdigsten Erfindungen. 7. Aufl. Leipzig: Otto Spamer 1883, S. 1
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XX, 104<7>
Ein Buch, zwei Auflagen. Ein Kapitel, zwei verschiedene Darstellungen. Louis Thomas’ Erfindungs-Buch war ein absoluter Bestseller. Es erfuhr mit jeder Neuauflage eine gründliche Bearbeitung. Text und Abbildungen wurden aktualisiert.
Anzeige aus dem Illustrirten Jubiläums-Katalog von Otto Spamer, Leipzig 1872
Sachbuchreihen
Spamer baute gezielt ein System aus Reihen und Serien auf, das jedoch über die Jahre unüberschaubar wurde. Neben dem „Illustrirten goldenen Kinderbuch“ waren die „Malerischen Feierstunden“ und „Kosmos für die Jugend“ die bekanntesten und erfolgreichsten. Spamers Bücher gab es für fast jeden Geldbeutel in unterschiedlichen Ausstattungen: ungebunden, geheftet, broschiert und im Prachteinband mit Goldprägung.
„Perle unter den Jugendschriften“
Die sechsteilige Serie „Entdeckungsreisen“ im Elternhaus und der näheren Umgebung des Kindes zählte zu den populärsten Sachbüchern des 19. Jahrhunderts. Einzelne Bände brachten es auf mehr als zwölf Auflagen. Sie wurden ins Französische und Russische übersetzt.
Autor der „Entdeckungsreisen“ war Hermann Wagner (1824–1879), ein ehemaliger Lehrer aus Weißenfels. Er arbeitete für Spamer als Redakteur. Wagner konnte mitreißend und abwechslungsreich erzählen. Er verstand es, Leser und Leserinnen mit seinen Erlebnisberichten, Briefen und kurzen Geschichten zu eigenen „Expeditionen“ anzuregen.
Hermann Wagner
Bedeutung
Kinder- und Jugendsachbücher sind ein Spiegel ihrer Zeit. Deswegen gelten die Bücher aus dem Spamer Verlag als eine wichtige Quelle, wenn man etwas über die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen des 19. Jahrhunderts erfahren will. Darüber hinaus vermitteln sie, wie sich die literaturgeschichtliche Entwicklung der Gattung des Kinder- und Jugendsachbuches vollzog.
Viele andere Verleger griffen Spamers Konzept auf, modifizierten es und passten es ihrer Zeit an. Auch in der aktuellen Sachbuchlandschaft finden sich noch immer einige thematische und gestalterische Linien wieder.
Louis Thomas: Die denkwürdigsten Erfindungen im neunzehnten Jahrhundert. 10. Aufl. Leipzig: Otto Spamer, 1895
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XX, 202-2<10>
Die Eisenbahn / [Illustrationen: Marion Kreimeyer-Visse. Text: Andrea Erne]. Ravensburg : Ravensburger Verl., 2005
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: 53 BA 5646
Bernd Flessner: Eisenbahn. Auf Schienen in die Zukunft. Nürnberg : Tessloff, 2015
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: 53 MB 5855
VI | THEMENWELTEN
Natur, Technik, Geschichte oder Länderkunde – Spamers Bücher bedienten gängige Interessen. Schon damals faszinierten Berichte über technische Erfindungen, spektakuläre Erkundungen und mutige Entdecker. Darüber hinaus sorgten Beschäftigungsbücher mit Experimenten oder Bastelanleitungen für ein abwechslungsreiches Freizeitvergnügen.
Tiere & Pflanzen
Grashüpfer und Geckos, Laubmoos und Lotusblüte: In den Sachbüchern für Kinder und Jugendliche spielte vor allem die Natur eine wichtige Rolle. Tier- und Pflanzenarten aus nah und fern konnten beim Lesen und Betrachten der beigegebenen Abbildungen entdeckt werden. Das Interesse an diesem Thema war besonders groß, denn noch nicht in allen Schulen war Naturkunde-Unterricht ein Pflichtfach. Bücher wie Anton Benedikt Reichenbachs „Kleines Gemälde der Welt“ (Band 1, 1885) schlossen damit eine Lücke.
Bestellzettel für Wilhelm Wägners „Rom“, ca. 1902
Antike Fundstücke
Neben Sachbuchtiteln zur jüngeren und älteren deutschen Geschichte gaben Spamers Bücher Einblick in die antike Welt. Sie standen in engem Bezug zu den Ausgrabungen Heinrich Schliemanns im Mittelmeerraum. Die Archäologie war ein neues Forschungsfeld und begeisterte die Menschen.
Faktenreich und lebendig schildert der Lehrer und Theologe Wilhelm Wägner (1800‒1886) die Verhältnisse in „Hellas“ und „Rom“. Die zugehörigen Illustrationen wählte der Verleger selbst mit Kennerblick aus den besten Vorlagen aus. Bei der Leserschaft fanden die Titel der „Antiken-Gruppe“ regen Zuspruch.
Abenteuer & Expeditionen
Ferne Länder übten auf die Leser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine große Faszination aus. Der preußische König schickte beispielsweise Expeditionen in entlegene Regionen. Für weite Teile der Bevölkerung blieben aber Ziele wie Asien oder Afrika unerreichbar.
Vor allem die Serie „Das Buch der Reisen und Entdeckungen“ versprach Abenteuer vom Sessel aus. In ihr bildete Spamer die neuesten Erkenntnisse der Geografie ab. Sie war damals eine noch junge Wissenschaft. Der Verleger verfolgte mit der Serie auch das Ziel, „Vorurtheile und beschränkte Anschauungen“ abzubauen. Deshalb lautete ihr Untertitel „Illustrirte Bibliothek der Länder- und Völkerkunde zur Erweiterung der Kenntnis der Fremde“.
Bestellzettel für Wilhelm Wägners „Hellas“, ca. 1902
Mach mit!
Eine allseits beliebte Rubrik im Verlagsprogramm waren Beschäftigungsbücher. Spamer rühmte sich damit, eine Nische erkannt zu haben. Sie waren ein Kassenschlager. Leskes „Spielbuch“ verkaufte sich beispielsweise in vier Jahren 30.000-mal.
Der Verleger entwickelte verschiedene Produkte für unterschiedliche Adressatengruppen. Die Anleitungen richteten sich an Mädchen, Jungen oder die ganze Familie. Über Langeweile konnte sich keiner mehr beklagen, der ein Spiele-, Experimentier- oder Bastelbuch aus dem Spamer Verlag daheim hatte.
Alexander u. Gustav Ortleb: Der jugendliche Künstler in Laubsäge-Arbeiten. Leipzig: Otto Spamer 1876
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XXII, 750
Jan Daniel Georgens u. Jeanne-Marie Gayette-Georgens: Illustrirtes allgemeines Familien-Spielbuch. Leipzig u. Berlin: Otto Spamer 1882
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XXI, 15-1
Hugo Elm: Spiel und Arbeit. 2. Aufl. Leipzig: Otto Spamer 1885
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung. Signatur: B XXII, 810<2>
VII | ERFOLGSREZEPTE
Bis 1872 hatte Spamer bereits über 2,3 Millionen Bücher produziert. Ein Exemplar kostete in der Herstellung durchschnittlich 1,90 Taler, im Laden je nach Einbandart zwischen 22 Silbergroschen und 3 Talern.
Herstellungskosten im Spamer Verlag:
Zahlen aus: Illustrirter Verlags-Bericht von Otto Spamer. Leipzig: Otto Spamer 1872, S. 88.
Verlagsbericht 1872
Werbung
„Elegant ausgestattet, reich illustrierte Bände zu denkbar niedrigstem Preis.“
Damit warb der Verlag für seine Titel. Er gab Leseprobe-Hefte aus, in vielen Buchhandlungen lagen Gratis-Prospekte bereit. Eine Besonderheit waren die illustrierten Verlagskataloge.
Spamer entwickelte überaus wirkungsvolle Strategien der Öffentlichkeitsarbeit. Er schickte dicke Bücherpakete und vorgefertigte Besprechungen an alle bedeutenden Zeitungen. Damit kurbelte er alljährlich besonders um die Weihnachtszeit erfolgreich den Vertrieb an.
Ministerien regten die Schulen an, Spamer-Bücher für ihre Bibliotheken anzuschaffen. Das war die beste Reklame. Der Verlag druckte diese Empfehlungen zusammen mit positiven Buchbesprechungen in seinen Verlagskatalogen ab.
Ministerielle Empfehlung aus Otto Spamers Miniaturkatalog 1890–1891
Illustrierte Anzeige aus einem Spamer-Buch
Absatz
„Hätte ich über Anlegung einer Bibliothek für Menschen von 10 bis 18 und mehr Jahren zu disponiren, so würde ich an Herrn Spamer schreiben: Schicken Sie mir Ihren ganzen Verlag.“
Dieses begeisterte Urteil des Pädagogen Adolph Diesterweg hatte auf Jahre hinaus einen positiven Effekt auf den Absatz von Spamer-Titeln.
Für Spamer rechnete sich die Buchproduktion nur, wenn er die Titel in hohen Auflagen herstellte. Um diese besser zu verkaufen, nutzte er das Reihenprinzip. Denn heute wie damals will der Leser Reihen möglichst vollständig besitzen.
Ein besonderer Anreiz dazu war die sogenannte Subskription. Damit sicherte der Kunde vorab die Abnahme der kompletten Reihe zu. Im Gegenzug erhielt er die Bücher zu einem vergünstigten Preis. Spamer konnte so seinen Absatz genauer planen.
Rezeption
Spamer-Titel wurden gerne zu verschiedenen Anlässen verschenkt. Dabei musste es nicht immer die allerneueste Auflage sein. Hier freute sich beispielsweise ein Schüler aus Apolda über ein Exemplar der beliebten „Entdeckungsreisen“ von Hermann Wagner.
Spamer-Buch mit einer Widmung
Spamer weltweit
Buchhändler in allen Groß- und Kleinstädten Europas bezogen Spamer-Bücher. Sogar aus New York und Moskau trafen Bestellungen in Leipzig ein. Den besten Absatz erzielte der Verlag aber in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Filiale in Berlin sollte den Umsatz in Norddeutschland verbessern.
Nicht nur die Originaltitel der Spamer’schen Kinder- und Jugendbücher wurden im Ausland vertrieben. Schon bald gab es erste Übersetzungen. Wilhelm Wägners griechische Kulturgeschichte „Hellas“ beispielsweise war auf Englisch, Französisch, Holländisch, Russisch und Schwedisch lieferbar.
VIII | SPAMER NACH SPAMER
Die neue Firmenzentrale: das Spamer-Haus
Die letzten Jahre
Kurz vor seinem 61. Geburtstag übergab Otto Spamer die Leitung der Verlagsbuchhandlung innerhalb der Familie. Sie verkaufte das Unternehmen 1890, vier Jahre nach Spamers Tod.
Vom Verlag zum Großdruckhaus
Der neue Inhaber Josef Petersmann (1864–1942) legte den Schwerpunkt der Firma auf die Druckerei. Er erweiterte sie und brachte sie mit modernen Maschinen technisch auf den neuesten Stand. Petersmann trennte sich von den Kinder- und Jugendbüchern und konzentrierte sich auf technische Literatur. Später reduzierten sich die Verlagsaktivitäten auf ein Minimum.
Bald war der Name Spamer Inbegriff für exzellente Buchherstellung. Die Druckerei entwickelte sich zu einem der größten und leistungsfähigsten buchgewerblichen Unternehmen Deutschlands. Sie beschäftigte Ende der 1920er Jahre bis zu 2.000 Mitarbeiter. 1930 verfügte sie über mehrere Hundert Gieß-, Setz- und Druckmaschinen. Namhafte Verlage wie S. Fischer ließen bei Spamer drucken:
„Sie haben bewiesen, daß man sich stets, wenn Schnelligkeit und Sorgfalt verlangt werden, auf Ihre Firma verlassen kann.“
Eine Image-Schrift von 1929
Ein Blick in die Spamersche Buchdruckerei um 1930
Spamer AG
Die Firma wurde 1932 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Im „Dritten Reich“ war die Spamer AG ein einflussreiches Unternehmen. Gewinne stammten auch aus dem Druck von nationalsozialistischem Schriftgut.
Beim Luftangriff auf Leipzig im Dezember 1943 wurde das Firmengebäude zerstört, darunter das Unternehmensarchiv. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Familie Petersmann enteignet und die Druckerei in Volkseigentum überführt. Der letzte offizielle Verweis auf den Namen des Firmengründers verschwand, als die Spamer AG 1952 gelöscht wurde.
IX | ÜBER DIE AUSSTELLUNG
„Otto Spamers Bücherfabrik. Sachbuchwelten für die Jugend“ basiert auf der gleichnamigen Ausstellung, die vom 7. Februar 2020 bis 15. Januar 2021 im Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig stattfand.
Sie gehörte zum Programm des Jahres der Industriekultur 2020 in Sachsen. Als Projekt der Leipziger Buchwissenschaft und der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig entstand die Ausstellung im Rahmen eines Seminars der Kommunikations- und Medienwissenschaft in Zusammenarbeit mit dem Schulmuseum.
Kuration & Online-Adaption:
Patricia F. Blume, Wiebke Helm
Unter Mitarbeit der Studierenden Iroda Abdumalikova, Antonia Eisermann, Annika Franz, Anna Elisabeth Fülöp, Enya-Janice Glanz, Nathalie Hardtstock, Scott Heinrichs, Lina Kordes, Rebecca Lehnhardt, Adrian Liehr, Nele-Marie Rebmann, Anika Reppnack, Stephanie Riedel, Stella Šarić, Magdalena-Tabea Steinmann, Zhanna Strizhak, Anne Tänzer, Celesley Torres, Freia Trapp
Digitale Realisierung:
Sigrun Putjenter
Wir danken den fördernden Institutionen im Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig: Dezernat Kultur der Stadt Leipzig, Förderverein Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig e.V., StudentInnen-Rat der Universität Leipzig und Gesellschaft der Freunde und Förderer der Buchwissenschaft Leipzig
Kontakt:
buecherfabrik[at]uni-leipzig.de
Zum Weiterlesen:
Die Bücherfabrik
Geschichte des Leipziger Otto Spamer Verlages
Herausgegeben von Patricia F. Blume und Wiebke Helm
Sax-Verlag 2020
ISBN 978-3-86729-258-0