Das Blaue Sofa
Auch in diesem Jahr gastiert das Blaue Sofa – das Literaturforum von Bertelsmann – bei den Jüdischen Kulturtagen Berlin mit fünf Autor:innen, die ihre aktuellen Bücher vorstellen.
Das Blaue Sofa gehört zu den langlebigsten und erfolgreichsten Literaturformaten im deutschsprachigen Raum. Seit der Gründung im Jahr 2000 nahmen mehr als 3.100 Autor:innen hier Platz. Zu den prominentesten Gästen zählten bisher die Nobelpreisträger:innen Swetlana Alexijewitsch, Michail Gorbatschow, Günter Grass, Abdulrazak Gurnah, Herta Müller, Christiane Nüsslein- Volhard, Orhan Pamuk, Joseph Stiglitz, Olga Tokarczuk, Mario Vargas Llosa und Mo Yan.
Assaf Gavron: „Everybody be cool. Zwei Erzählungen“, Luchterhand Literaturverlag
Eine junge Frau steht in einer virtuellen Schlange ihrer Bank, um die staatliche Unterstützung abzuholen. Plötzlich hört sie den Satz: „Everybody Be Cool.“ – Ein Überfall findet statt. Die Protagonistin fühlt sich überfordert, denn sie muss erst mit ihrer KI-gestützten Assistenz Ejser herausfinden, was Überfall bedeutet und wie man sich in so einer Situation am besten verhält. – Auch die zweite Erzählung führt in die nahe Zukunft, konkret in das Jahr 2066. In Nahost gibt es ein größeres Staatengebilde, das die ehemaligen Territorien von Israel, dem Libanon, Syrien und Jordanien beinhaltet. Trotz mehrerer Umweltkatastrophen leben die Menschen im Wohlstand. Amis Vater, der ein florierendes Bauunternehmen führt, will dieses an die Gemeinschaft übergeben. Denn der Vater hat nicht mehr lange zu leben. Doch Ami kommt dahinter, dass seine tödliche Krankheit keines natürlichen Ursprungs ist.
Assaf Gavron (*1968) kam in Jerusalem zur Welt und lebt seit Abschluss des Studiums in Vancouver und London in Tel Aviv. Er hat bisher vier Romane veröffentlicht und wirkt als Frontmann der Rockband The Mouth And The Foot. „Gavron ist der Vertreter einer vollkommen neuen Generation in der israelischen Literatur“ (Times Literary Supplement).
Dmitrij Kapitelman: „Russische Spezialitäten“, Hanser Berlin
Die einst aus der Ukraine nach Deutschland übersiedelte Familie lebt davon, in ihrer jetzigen Heimat russische Waren zu verkaufen. Konfekt, Wodka und Textilien – alles, was das Herz begehrt. Sie verkaufen damit nicht nur Dinge, sondern auch das gemeinsame Gefühl einer osteuropäischen Identität. Doch das Zusammengehörigkeitsgefühl erhält auch innerhalb der Familie Risse: Denn nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, bilden sich Fronten. Während die Mutter bedingungslos zu Putin hält, erinnert sich der Ich-Erzähler an seine Kindheit in Kyiv. Um seine Mutter von der Ungerechtigkeit zu überzeugen, reist er schließlich in die Ukraine, mitten ins Kriegsgebiet.
Dmitrij Kapitelman (*1986) kam im Alter von acht Jahren als sogenannter Kontingentflüchtling aus der ukrainischen Heimat nach Deutschland. Auf das Studium der Soziologie und Politikwissenschaft in Leipzig folgt ein Abschluss an der Deutschen Journalistenschule in München. 2016 erschien sein Debütroman „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters.“ Fünf Jahre später folgte „Eine Formalie in Kiew“, wofür er mit dem Buchpreis Familienroman der Stiftung Ravensburger Verlag ausgezeichnet wurde.
Sarah Levy: „Kein anderes Land: Aufzeichnungen aus Israel“, Rowohlt
Inwieweit Israel noch ihr Land sei, fragt Sarah Levy, seit sie erlebt, wie Israels rechts-nationale Regierung die israelische Gesellschaft spaltet. Dann attackiert die Hamas das Land am 7. Oktober 2023. Auf brutale Weise ändert der Krieg das Leben, das die junge Mutter in Tel Aviv führt. Sie flieht mit Partner und Kind in ihre Heimat Frankfurt und muss dort erkennen, dass Deutschland nicht mehr ihr Land ist. Doch das Israel, in das sie zurückkehrt, kämpft um seine Seele. Freunde tragen plötzlich Waffen, Verwandte wünschen Palästinensern die Auslöschung, Nachbarn unterstellen ihr, die Soldaten zu verraten. Der Kriegsalltag zwischen Schutzbunker und allgegenwärtigem Verlust führt Levy an ihre Grenzen – als Mutter und als Partnerin, aber auch als Deutsche, die jetzt verstehen muss, dass das Land, das sie zum Leben gewählt hat, die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft mit den Palästinensern schon lange verloren hat. Wer wird mein Sohn, fragt sie sich, wenn er hier aufwächst? Sarah Levy beschreibt mit kritischem Mitgefühl, wie Radikalisierung und Polarisierung ein Land verändern – und letztlich auch sie selbst.
Sarah Levy (*1985) wuchs in Deutschland mit jüdischen und nicht-jüdischen Großeltern auf; 2019 wanderte sie nach Israel aus und schrieb darüber ihr erstes Buch „Fünf Wörter für Sehnsucht“. Sie besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule und arbeitet als freie Journalistin. Seit 2018 koordiniert sie das Projekt stopantisemitismus.de und arbeitet für diverse Bildungsinitiativen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Tel Aviv.
Henrik Szántó: „Treppe aus Papier“, Blessing Verlag
Was würden die Wände erzählen, wenn sie sprechen könnten? Die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner von der NS-Zeit bis heute. Im Treppenhaus eines alten, vierstöckigen Hauses begegnen sich die Schülerin Nele Bittner und die 90-jährige Irma Thon. Sie beginnen ein Gespräch, durch das der trockene Geschichtsstoff für Nele lebendig wird. Ihre Geschichte erzählt das Gebäude selbst, in dessen Mauern, Dielen, Rohren und Ritzen Erinnerungen an alle Bewohner hausen — über ein Jahrhundert hinweg. Zu Irma hat das Haus eine besondere Bindung, denn sie hat schon als Kind mit ihren nazitreuen Eltern im ersten Stock gewohnt. In der obersten Etage lebt Nele in der Wohnung, die einst Familie Sternheim bewohnte, deren Schicksal Irma mitzuverantworten hat. Für das Haus passiert immer alles zugleich: Während die kleine Ruth Sternheim die Treppe runterspringt, erinnert es sich schon an die SA, deren Knüppel das Schaufenster des Sternheim’schen Uhrengeschäfts im Erdgeschoss Jahre später zerbersten lassen. Während Irma zum Ende ihres Lebens zurückblickt, fördert Nele mit ihren Fragen das Verdrängte in der eigenen Familie zutage.
Henrik Szántó (*1988) hat ungarische und finnische Wurzeln. Der Autor und Moderator lebt in Hannover. Als Spoken Word-Künstler bespielt Szántó Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum. Seine bisherige Arbeit wurde mit Stipendien gewürdigt. Als Referent hält Szántó Seminare zu poetischem und kreativem Schreiben, Auftritt- und Vortragssicherheit und bereitet Bühnen für neue und arrivierte Stimmen. Die Kernthemen seiner Arbeit sind Mehrsprachigkeit, Erinnerungsarbeit und kulturelle Vielfalt.
Christiane Wirtz: „Wie schwer wiegt ein Schatten“, DuMont
Tel Aviv 2008. Nach dem Tod ihrer Großmutter steht die junge Radiojournalistin Mia vor einem Wendepunkt. Von ihrem Sender wird sie nach Tel Aviv geschickt. Hier lernt sie den Kameramann David kennen, Sohn polnisch-bulgarischer Juden. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch David ist verheiratet und er hat eine Tochter, die er kurz zuvor adoptiert hat. Mit David stellt sich Mia langsam ihrer eigenen Familiengeschichte, vor allem dem Verlust ihrer Mutter, der ihr als Siebenjährige widerfuhr. Fernab der Heimat sucht Mia Antworten auf Fragen, die sie seit ihrer Kindheit begleiten, hofft auf eine Versöhnung mit der Vergangenheit. In dem stets bedrohten Land Israel und in der Liebe zu einem Mann sucht sie nach ihrem Platz, um die Leerstelle, die die Mutter hinterlassen hatte, zu schließen.
Christiane Wirtz (*1970) studierte Rechtswissenschaften in Berlin. Sie arbeitete als Journalistin für die Süddeutsche Zeitung und den Deutschlandfunk. Als freie Journalistin war sie ein Jahr in Tel Aviv tätig. Von 2014 bis 2016 war sie stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Danach wechselte sie als Staatssekretärin ins Bundesjustizministerium. Seit 2020 ist sie wieder freie Journalistin und Autorin. Christiane Wirtz lebt in Berlin.
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