Die Sammler und der Sammelband: Historia litteraria und die Bibliotheken der Frühen Neuzeit
Virtuelles Werkstattgespräch mit Philippe Bernhard Schmid
(St Andrews/Harvard), 2022 Stipendiat im Stipendienprogramm der SPK
Organisation: Dr. Katrin Böhme
Dieser Vortrag beschäftigt sich mit dem Sammeln von Texten zu Bibliotheken unter den Gelehrten der Frühen Neuzeit. Die Philologen und Historiker des siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhunderts arbeiteten an einer umfassenden Geschichte der Gelehrsamkeit, die sich als historia litteraria, d. h. als eine Geschichte der (gelehrten) Literatur, zu einer eigenen universitären Disziplin mit eigenen Formen der Publikation entwickelt hatte. Bibliotheken waren für dieses kollaborative Projekt der Wissensgeschichte von großer Bedeutung, waren sie doch mit Universitäten, Akademien und Schulen eine der wesentlichen Institutionen des Wissens. Seit der Renaissance entstanden insbesondere in Italien und Frankreich neue Texte zur Geschichte und Theorie von Bibliotheken, die für deutsche Gelehrte im späteren siebzehnten Jahrhundert oft nur noch auf dem antiquarischen Buchmarkt zu finden waren. Als deshalb 1666 Joachim Johann Mader (1626–1680) in Helmstedt einen gedruckten Sammelband mit humanistischen Schriften zur Bibliotheksgeschichte veröffentlicht hatte, machte er diese älteren Schriften nicht nur zugänglich für jüngere Gelehrte, sondern kanonisierte damit auch eine Sammlung von Texten zu Bibliotheken. Sowohl durch die Auswahl der spezifischen Textauszüge als auch durch ihre materielle Präsentation löste Mader eine größere Bewegung der Kanonisierung aus: 1702, 1703 und 1705 entstanden neue Sammlungen, die von späteren Ausgaben anderer Gelehrter imitiert wurden. Diese gedruckten Sammelbände wurden ihrerseits durch Formen der intermedialen Imitation von handschriftlichen Sammlungen nachgeahmt, die gleichfalls ältere Texte zur Bibliotheksgeschichte versammelten. Am Ende dieser frühen Phase der Kanonisierung von bibliothekarischen Schriften zwischen 1650 und 1750 stehen die Büchersammler selbst. In individuellen Sammelbänden mit eigenen Einbänden haben sie nicht nur ältere Schriften zu den Ursprüngen der frühneuzeitlichen Bibliothek zusammengetragen, sondern auch neuere Publikationen hinzugefügt und damit zu einem sich spezialisierenden Diskurs über Bibliotheken beigetragen.
Philippe Bernhard Schmid (St Andrews/Harvard)
nach dem Studium in Basel und München habe ich in St Andrews in Geschichtswissenschaft promoviert und 2022 mein Doktorat abgeschlossen. Meine Forschung zur Buch- und Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit wurde durch großzügige Stipendien in Wolfenbüttel, St Andrews, Gotha und Berlin unterstützt. Gegenwärtig arbeite ich als Houghton Library Fellow in Harvard zu Sammelhandschriften.
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