Theorie und Systematik materialer Textkulturen. Ergebnisse des Heidelberger SFB 933
Online-Werkstattgespräch mit Univ.-Prof. Dr. Ludger Lieb (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Kontakt: Dr. Christian Mathieu
Wenn Sie diesen kurzen Text sehen, wissen Sie, was Sie mit diesem Text zu tun haben (und ich weiß, dass Sie das wissen). Sie wissen, dass der Text zu dem Zweck hier steht, dass Sie ihn lesen (was Sie ja auch gerade tun). Und ich behaupte, dass Sie in der Praxis vollkommen davon absehen, ob Sie den Text auf einem (und auf welchem) Bildschirm lesen oder ob Sie ihn in einem Flyer oder auf einem Handout und auf welchem Papier Sie ihn lesen. Diese uns so ganz selbstverständliche Praktik des Lesens (und des Schreibens), die sich scheinbar vollständig von der Bindung an irgendein Material löst, ist keineswegs immer schon der dominante Umgang mit Text. Der Vortrag systematisiert, wie in vergangenen Kulturen mit Dingen umgegangen wurde, auf die man etwas schrieb bzw. auf denen etwas geschrieben stand. Der Blick auf die Materialität von Texten sensibilisiert dafür, dass man Geschriebenes nicht nur lesen kann, sondern auch einfach besitzen oder stehlen, archivieren, memorieren, abschreiben, bewundern, präsentieren, herumtragen, verbergen, zerstören usw.; man kann mit Geschriebenem beeindrucken, auszeichnen, verunsichern, zaubern, verletzen, helfen usw. Meine Beispiele stammen aus der Projektarbeit des Heidelberger Sonderforschungsbereichs 933 und decken einen weiten Zeitraum ab: von Mesopotamien und dem alten Ägypten über die Inschriften- und Schreibkultur der Antike und des Mittelalters bis hin zur Hand- und Druckschriftlichkeit der frühen Neuzeit. So entsteht ein Panorama der gesteigerten Verbindungen von Text und Materialität, das sich gut zur Reflexion über unseren heutigen Umgang mit Geschriebenem eignet.
Eine Veranstaltung der Reihe Die Materialität von Schriftlichkeit – Bibliothek und Forschung im Dialog
Weitere Termine der Wissenswerkstatt.