Tiere auf Papier

Die Ausstellung bringt Tiere zum Vorschein, die in Büchern zu Hause sind. Sie leben in Bildern und Texten, die uns staunen lassen und klüger machen. Die Bücher stammen aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen. Ein altniederländisches Manuskript enthält die Wunder der Welt, zu denen auch die Tiere zählen. In einem Arzneibuch aus dem 15. Jahrhundert gehören Tiersubstanzen zu den alternativen Heilmethoden. Zwei gelehrsame Abhandlungen aus dem 16. und 18. Jahrhundert enthalten zahlreiche Bilder, die das zoologische Wissen der Spezialisten wie der Kinder vertiefen.

In einer Enzyklopädie, die im 18. Jahrhundert in Japan entstand, lässt sich die Tierwelt Japans entdecken. Aus Japan sind auch ein Buch und eine Rolle, in denen Wale getötet und wieder zum Leben erweckt werden. So unterschiedlich die Texte auch sind, sie führen doch zu ähnlichen Fragen. Wie wird in den Texten über die Tiere gesprochen, und worin liegt die Aussagekraft der Bilder? Wie sind die Bücher gestaltet, um die Bilder der Tiere zur Geltung zu bringen? Anhand dieser Fragen zeigt die Ausstellung beispielhaft, wie Tiere in Büchern zu einem Bestandteil der menschlichen Kultur werden.

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Tierisches Amüsement

Friedrich Justin Bertuch, Bilderbuch für Kinder, 1795. SBB, B XXIII, 8-2 R.

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Wortflut

Conrad Gessner: Historiae Animalium, Liber 1, 1551. SIL, Washington DC, QL41.G39h liber 1.

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Mischwesen

Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, 14. Jh. SBB, Ms. germ. fol. 52.

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Fährtensuche

Johannes Hartlieb, Kräuterbuch, 1462. SBB, Ms. germ. qu. 2021.

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Meeresriesen

春政山瀬 (Harumasa Yamase): 鯨志 (Geishi, Aufzeichnungen über Wale), 1794. SBB, Libri japon 123.

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Meeresriesen

時成山氏 (Tokinari Yamauji): 紀伊國熊野鯨数品正冩之圖 (getreu gezeichnete Bilder von mehreren Walen von Kumano  der Provinz Kii), 1778. SBB, 562174 ROA.

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Harmonie

惕齋 中村(Tekisai Nakamura): 頭書増補 訓蒙図彙大成 (Große Sammlung von Bildtafeln [zur Belehrung von Unwissenden), 1789. SBB, Libri japon 681.

Die Ausstellung entstand in einer Kooperation der Staatsbibliothek zu Berlin mit dem Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität. Sie wurde im Rahmen der gleichnamigen praxisorientierten Lehrveranstaltung im Wintersemester 2020/21 erarbeitet. Die Objekte haben sechs Master-Student:innen gemeinsam mit den Sammlungsverantwortlichen der Staatsbibliothek ausgewählt. Das Konzept der Ausstellung, die Texte und die Gestaltung haben die Student:innen entwickelt und umgesetzt.

Mischwesen – Fisch oder Ritter?

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Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, Ms. germ. fol. 52, fol. 46v und 47r
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Jacob van Maerlant, Der Naturen Bloeme, fol. 47r: Der Ritter der Meere (zitirion)

„Der Ritter der Meere“ (zitirion)

Der Zitirion ist ein wundersames Geschöpf. Jacob van Maerlant, der für seine Ritterromane bekannt war, beschreibt ihn als einen Fisch, dessen Haut so hart und schwielig ist wie eine Ritterrüstung . Der Buchmaler machte daraus einen Ritter der Meere mit Helm, Brustpanzer und Schwert. Anders als in früheren Darstellungen erhält der Fisch durch den aufrechten Oberkörper zudem deutlich menschlichere Züge.

Autor: Jacob van Maerlant
Titel: Der Naturen Bloeme (Die Blüte der Natur; ca. 1270)
Entstehungsort: Niederlande
Datierung: 14. Jahrhundert
Medium: Manuskript (Pergament), 387 Miniaturen, fünf historisierte Initialen
Umfang: 71 fol.
Maße: 29,2 × 21,5 cm
Standort: Berlin, Staatsbibliothek
Signatur: Ms. germ. fol. 52.

Der Zitirion ist nicht das einzige faszinierende Mischwesen in Jacob van Maerlants Der Naturen Bloeme. Das Buch entstand für ein adeliges oder bürgerliches Laienpublikum, dem der Autor die Wunder der göttlichen Schöpfung auf vergnügliche Art und Weise nahebringen wollte . So taucht im Kapitel über die Seeungeheuer auch der menschenfressende Meermönch (monachus marinus) auf. Er ist teils Fisch, teils Mensch und trägt eine Mönchstonsur.

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Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, Ms. germ. fol. 52, fol. 44v und 45r
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Jacob van Maerlant, Der Naturen Bloeme, fol. 45r: Meermönch (monachus marinus)

„Der Meermönch“ (monachus marinus)

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Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, Ms. germ. fol. 52, fol. 43v und 44r
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Jacob van Maerlant, Der Naturen Bloeme, fol. 43v

„Das Flusspferd“ (equus fluminus)

Das Flusspferd (equus fluminus) wird erst im Bild zum Mischwesen. Die Miniatur zeigt ein rosafarbenes Pferd mit gespaltenen Hufen und Ringelschwanz – eine Mischung aus gewöhnlichem Pferd und Hausschwein. Diese wohlbekannten Tiere dienen im Text dazu, das Äußere des exotischen Flussbewohners zu beschreiben.

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Galerie der Mischwesen

An dieser Stelle haben Sie die Möglichkeit, durch eine Auswahl von Seiten aus Der Naturen Bloeme zu blättern. Finden Sie alle Mischwesen?

Fährtensuche

Mittelalterliche Wissenschaftler:innen haben ihre Werke nicht mit Fußnoten versehen. Daher ist das Aufspüren ihrer Quellen eine spannende – wenn auch schwierige – Aufgabe. Das gilt auch für Johannes Hartliebs Arzneibuch zur Kräuterkunde , in dem sich auch einige Tierdarstellungen finden lassen. Der Fokus liegt darin stets auf der medizinischen Verwendbarkeit: Pulverisiertes Wolfsherz lasse sich beispielsweise als Medizin gegen Epilepsie verwenden und Fuchsblut soll Wunder gegen Ohrenschmerzen wirken.

Autor: Johannes Hartlieb
Titel: Kräuterbuch
Entstehungsort: Nordbayern, evtl. Regensburg (Deutschland)
Datierung: um 1462
Medium: Manuskript (Papier), 172 farbige Miniaturen, davon elf von Tieren
Umfang: 366 fol.
Maße: 28,5 x 21,5 cm
Standort: Berlin, Staatsbibliothek
Signatur: Ms. Germ. Qu. 2021.

Während die Herkunft des im Kräuterbuch zusammengetragenen Wissens weitestgehend geklärt werden konnte, bleibt es offen, wie die Abbildungen ihren Weg ins Buch gefunden haben. Woher kommt wohl das Schloss auf dem Rücken des Elefanten oder der kleine Hund neben der überdimensionalen Mandragora ?

Feststeht, dass die Buchmaler:innen sich nicht auf Hartliebs Texte stützen konnten, da sie das Aussehen der Spezies kaum thematisieren: Der Arzt hat aus medizinischer Sicht irrelevante Aussagen aus seinen Textvorlagen nicht übernommen. Die Abbildungen sind jedoch in der jahrhundertelangen Darstellungstradition verwurzelt: Die genannten Motive wurden mit solcher Vorliebe und Häufigkeit abgebildet, dass die Miniaturen ohne Weiteres verständlich waren.

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Galerie des Kräuterbuchs

In der folgenden Galerie haben Sie die Möglichkeit, weitere Seiten aus dem Kräuterbuch näher zu betrachten:

Wortflut

Der Zürcher Arzt Conrad Gessner (1516–1565) war ein passionierter Sammler. Seine Absicht war es, das gesamte Wissen über die Tiere in einem Werk zu bündeln. Über viele Jahre trug er nahezu alle vorhandenen Informationen zusammen. Dank zahlreicher Kontakte zu Naturwissenschaftlern und Künstlern sammelte er auch unzählige Bilder von Tieren . Über sieben Jahre hinweg publizierte er die vier Bände seiner Historiae Animalium – ein gelinde gesagt recht umfangreiches Werk. Sein besonderes Interesse galt den Sphären der Sprache und jener der Kultur: Welche Rolle spielte das Tier in der Religion, in den Fabeln, welche war die Etymologie seines Namens ?

Autor: Conrad Gessner
Titel: Historiae Animalium, Liber 1
Entstehungsort: Zürich (Schweiz)
Drucker: Christoph Froschauer
Datierung: 1551
Medium: Buch (Papier)
Umfang: 1.115 Seiten.
Standort: Smithsonian Libraries, Washington DC
Signatur: QL41.G39h liber 1, 1551

In einem Meer aus Worten ragen die Bilder am Anfang der Kapitel wie Leuchttürme empor. Ein mutiger Leser, der es wagt, in den hohen Wellen des dichten Textes die Anker zu lichten, wird von den erhellenden Bildern zu sicheren Häfen geführt. Zitate von Autoren aus jeder Epoche, Informationen aus jedem Bereich des menschlichen Wissens, Sätze in verschiedenen Sprachen erregen Schwindel. Dagegen haben die Bilder die Fähigkeit, die Leser:innen zu beruhigen. Sie ziehen ihn mit ihrer Schönheit an. Dann erweisen sie sich wegen ihres Detailreichtums als erzieherisch . Gelassen wird dann der Leser erneut ins Meer hinausfahren.

Dagegen haben die Bilder die Fähigkeit, die Leser:innen zu beruhigen. Sie ziehen sie mit ihrer Schönheit an. Dann erweisen sie sich wegen ihres Detailreichtums als erzieherisch. Gelassen werden dann die Leser:innen erneut ins Meer hinausfahren.

Das Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin ist leider aus konservatorischen Gründen nicht digitalisierbar. Für die Ausstellung wurden deshalb Abbildungen aus dem Exemplar der Smithsonian Libraries in Washington DC/USA verwendet.

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Galerie der Tierdarstellungen

Blättern Sie hier durch eine Auswahl weiterer Seiten.

Tierisches Amüsement für junge Leser:innen

In Friedrich Justin Bertuchs Bilderbuch für Kinder tummeln sich Seeteufel, -einhörner und -drachen, fliegende Zauberfische sowie Ameisenlöwen und Lachtauben. Auch gemeine Wiesel, wilde Pferde, Glotzaugen und fliegende Eichhörnchen versetzten nicht nur junge Leser:innen ins Staunen.

Autor: Friedrich Justin Bertuch
Titel: Bilderbuch für Kinder
Entstehungsort: Weimar, Gotha (Deutschland)
Datierung: 1795
Band: Bd. 2/12
Auflage: 3.000 Exemplare
Medium: Buch mit 100 Tableaus, 511 Kupferstiche
Umfang: 428 Seiten
Maße: 13 x 16,5 cm
Standort: Berlin, Staatsbibliothek
Signatur: B XXIII, 8-2 R

Bertuch richtet sich mit seinen detaillierten und abwechslungsreichen Tableaus an Mädchen und Jungen. Produziert wurden einzelne kleine Lieferungen, die gesammelt werden konnten, um gemeinsam Bücher zu ergeben . Begleitet werden sie durch einen deutschen und einen französischen Text. In den enzyklopädisch angelegten Werken sind insgesamt über sage und schreibe 1.000 kolorierte Bildtafeln zu sehen. Die Tableaus folgen keiner klassischen Sortierung nach Alphabet oder Kategorien.

Wer müde wird, kann sich an einigen Tableaus in der Welt der Ritter und Mumien erfrischen. Der Autor vermittelt sein Wissen in einfachen Worten und kommt ohne komplizierte Fachbegriffe aus . Hier zu sehen ist der zweite von insgesamt zwölf Tafelbänden, die in einer Zeitspanne von 40 Jahre erschienen sind.

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Galerie des tierischen Amüsements

In dieser kleinen Galerie können Sie Ausschnitte aus dem facettenreichen Bilderbuch für Kinder einsehen.

Harmonie des Unregelmäßigen

„Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen, die Leere darinnen macht das Gefäß.“

Laotse

Im Taoismus und im Zen-Buddhismus gibt es eine Auffassung der Leere, die nicht nur die Mentalität, sondern auch die Kunst Japans prägte. Viele Bilder spiegeln dieses philosophische Konzept wieder. In der ‚Großen Sammlung von Bildtafeln zur Belehrung von Unwissenden‘ (頭書増補 訓蒙図彙大成)  lässt sich das deutlich erkennen.

Tiere und Menschen, Objekte des Alltags sowie Pflanzen, vor allem aber eine Form von Leere breiten sich über die Seiten der fünfbändigen Enzyklopädie aus. Das Buch, das in seinem Titel einiges über seine Funktion und Gestaltung verrät, verbildlicht für junge und ältere Leser gleichermaßen das Leben in Japan. Große Textblöcke und schwebende Schriftzeichen begleiten die Bilder. Sie erklären in sachlichem Ton, was die Augen visuell ertasten.

Der Eindruck des Lebendigen, Unregelmäßigen und Einfachen bestimmt den japanischen Stil . Das gilt auch für den doppelseitigen Holzschnitt, der Pferde zeigt, die durch die geschwungene Linienführung zum Leben erweckt werden. Man sieht außerdem einen Baumstamm, einige Blätter und etwas Gras. Kennzeichnend aber ist die Leere, die die Pferde umgibt.

Autor: 惕齋 中村(テキサイナカムラ, Tekisai Nakamura)
Titel: 頭書増補 訓蒙図彙大成(キンモウ ズイ タイセ, Große Sammlung von Bildtafeln [zur Belehrung von Unwissenden])
Entstehungsort: Kyōto (Japan)
Zeichner: 拾水下河辺(シュウスイシモコウベ, Shuusui Shimokoube)
Drucker: 九皐堂 (キュウコウドウ, Kyukoudou)
Datierung: 1789
Medium: Buch (Papier), Holzschnitte von Tieren, Menschen, Landschaften und Objekten Japans, 漢文 (Kanbun, sino-japanische Schrift)
Umfang: 21 Kapitel in 5 Bänden, 287 丁 (chō, gefaltetes Blatt mit Falz nach Außen)
Maße: 22,2 x 15,8cm
Standort: Berlin, Staatsbibliothek
Signatur: Libri japon 681

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Tatsächlich handelt es sich hier um eine Anwendung der japanischen Kompositionstechnik Fukinuki yatai (吹抜屋台), bei der die Wände und Dächer verschwinden, um das Innere von Gebäuden zu zeigen. Für das Bild rechts wurde die gleiche Technik benutzt. Das Innere eines Hauses wird für die LeserInnen enthüllt.

Das doppelseitige Bild zeigt das Miteinander von Mensch und Tier. Auf der linken Seite stehen zwei Pferde im Stall, während im Raum daneben gerade ein Gerichtsprozess stattfindet. Rechts unten ragt ein Gebäude hervor, das an der mit Spitzen versehenen Mauer als Gefängnis erkennbar ist.

Die beiden Textblöcke auf der linken Seite haben zwei Funktionen. Die langen Zeilen sind eine Einführung in das Kapitel, das sich mit dem Tierreich der Vögel beschäftigt. Im weiteren Text wird das Kapitel fortgeführt. Das schwebende Schriftzeichen neben dem Bild (鳳凰) besagt, dass es sich bei dem abgebildeten Tier um einen Phönix handelt.

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Das Buch ist vorwiegend auf Japanisch und Kanbun, einer in Japan verwendeten Form des klassischen Chinesisch, geschrieben. Chinesische Schriftzeichen sind mit japanischen Lesehilfen versehen. China hatte zur Zeit der Veröffentlichung einen enormen kulturellen Einfluss auf Japan. Seine Sprache galt, ähnlich wie Latein in Europa, als Sprache der Gelehrten.

Galerie der Harmonie

Hier ist es möglich in einem Abschnitt der ‚Großen Sammlung von Bildtafeln zur Belehrung von Unwissenden‘ (頭書増補 訓蒙図彙大成) selbst zu blättern. Das Buch wird von rechts nach links gelesen.

Verborgene Riesen und zerteilte Körper

Im Wasser bleiben Wale verborgen – nur selten sind Rücken und Flossen an der Oberfläche zu sehen. Erst an Land gezogen, werden ihre riesigen Körper sichtbar. Bei der Waljagd ereignete sich dieses tödliche Spektakel immer wieder aufs Neue. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die kommerzielle Waljagd an allen Küsten Japans betrieben. Nicht weniger als dreihundert Menschen waren für den Fang und die Verarbeitung des Tierkörpers not­wendig.

Bildrolle – Waljagd vor der Küste von Kumano

Maler: 時成山氏 (トキナリヤマウジ, Tokinari Yamauji)
Titel: 紀伊國熊野鯨数品正冩之圖 (キイノクニクマノクジラスウヒンセイシャノズ,
[natur]getreu gezeichnete Bild(er) von mehreren Walen [vor der Küste] von Kumano
[in] der Provinz Kii)
Entstehungsort: historische Provinz Kishū (Japan)
Datierung: 1778
Medium: Rolle (Papier), Walfang in 6 Szenen, farbige Handzeichnung in Aquarell und Muschelkalk, 漢文 (Kanbun, sino-japanische Schrift)
Maße: 639 x 27,3 cm
Standort: Berlin, Staatsbibliothek
Signatur: 562174 ROA

Auf der Rolle kann man von rechts nach links die Waljagd in sechs Stationen mitverfolgen. Die Jäger in ihren Booten signalisieren mit Flaggen die Position der Wale. Andere umzingeln die Riesen, treiben sie in ein Netz und erlegen sie mit Harpunen. Der Kadaver wird zum Strand geschleppt und dort zerlegt. Der Tierkörper verschwindet und wird zu Fleischstücken.

Für die Stadtbewohner war der Wal nur noch Fleisch, Öl und Knochenmehl. Mit der Bejagung nahm auch das Interesse an den Tieren zu. Was sind das für Geschöpfe, die zum Atmen auftauchen und größer als alle anderen Meerestiere sind? Volkstümlich galten sie als Reinkarnation von 恵比寿 (Ebisu) und als dem Menschen ebenbür­tige, beseelte Wesen. Ehrfürchtig stiftete man jedem erlegten Wal ein Denkmal damit seine Seele Erleuchtung erlangte.

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鯨志, Geishi – ein Buch über Wale

Nicht nur in Form unterschiedlicher Produkte, sondern auch in Form von Gedichten, Gemälden und Holzschnitten gelangten die Wale an Land. Beim Aufschlagen des 鯨志(Geishi) sieht man in den Seitenrahmungen stillgelegte, fragmentierte Schwanz­flossen und Rümpfe.

Autor: 春政山瀬 (ハルマサヤマセ, Harumasa Yamase)
Titel: 鯨志 (ゲイシ, Geishi, Aufzeichnungen über Wale)
Entstehungsort: Ōsaka (Japan)
Drucker: 樫本勘兵衛 (カシモト カンベエ, Kishimoto Kanbee)
Datierung: 1794
Medium: Buch (Papier), mit Tusche gedruckte Holzschnitte von 15 Walarten, 漢文 (Kanbun, sino-japanische Schrift)
Umfang: 36 丁 (chō, gefaltetes Blatt mit Falz nach Außen)
Maße: 26,5 x 18,5 cm
Standort: Berlin, Staatsbibliothek
Signatur: Libri japon 123

Die Zerstü­cke­lung des toten Tieres ist eine endgül­tige. Doch beim Blättern setzen sich die Körperteile wieder zusammen. Die Teile werden wieder zum bewegten Tier und der Wal schwimmt über das Papier.

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Galerie der Meeresriesen

Blättern Sie sich hier durch einige Passagen des Werks. Die Leserichtung ist von rechts nach links.

Literatur zur Vertiefung

Tiere auf Papier
  • Lorraine Daston und Katharine Park, Wonders and the Order of Nature 1150–1750, New York 1998.
  • Karl A. E. Enenkel und Paul J. Smith (Hg.), Early Modern Zoology. The Construction of Animals in Science, Literature and the Visual Arts, 2 Bde., Leiden/Boston 2007.
  • Linda Kalof (Hg.), A Cultural History of Animals, 6 Bde., Oxford u.a. 2007.
  • Elizabeth Morrison und Larisa Grollemond (Hg.), Book of Beasts. The Bestiary in the Medieval World, Los Angeles 2019.
  • Charlotte Sleigh, The Paper Zoo. 500 Years of Animals in Art, London 2016.
  • Hans-Jörg Wilke, Die Geschichte der Tierillustration in Deutschland 1850–1950, Rangsdorf 2018.
Mischwesen – Jacob van Maerlandt
  • Amand Berteloot und Detlev Hellfaier (Hg.), Jacob van Maerlants ‚Der naturen bloeme‘ und das Umfeld. Vorläufer – Redaktionen – Rezeption, Münster u.a. 2001.
  • Traude-Marie Nischik, Das volkssprachliche Naturbuch im späten Mittelalter. Sachkunde und Dinginterpretation bei Jacob van Maerlant und Konrad von Megenburg, Tübingen 1986.
  • Eelco Verweijs (Hg.), Jacob van Maerlants Naturen Bloeme, 2 Bde., Groningen 1878.
Fährtensuche – Johannes Hartlieb
  • Frank Fürbeth, Johannes Hartlieb. Untersuchungen zu Leben und Werk, Tübingen 1992.
  • Johannes Hartlieb, Kräuterbuch, hg. von Gerold Hayer und Bernhard Schnell, Wiesbaden 2010.
  • Franz Speta (Hg.), Das Kräuterbuch des Johannes Hartlieb. Eine deutsche Bilderhandschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, mit einer Einführung und Transkription von Heinrich L. Werneck, Graz 1980.
In einem Meer aus Worten – Conrad Gessner
  • Angela Fischl, Natur im Bild. Zeichnung und Naturkenntnis bei Conrad Gessner und Ulisse Aldrovandi, Berlin 2009.
  • Florike Egmond (Hg.), Conrad Gessners ‚Thierbuch‘. Die Originalzeichnungen, aus dem Engl. von Gisella M. Vorderobermeier, Darmstadt 2018.
  • Urs B. Leu und Peter Opitz (Hg.), Conrad Gessner (1516–1565). Die Renaissance der Wissenschaften. The Renaissance of Learning, Berlin/Boston 2019.
Tierisches Amüsement für junge Leser:innen – Friedrich Justin Bertuch
  • Silvy Chakkalakal, Die Welt in Bildern. Erfahrung und Evidenz in Friedrich J. Bertuchs ‚Bilderbuch für Kinder‘ (1790–1830), Göttingen 2014.
  • Katharina Middell, ‚Die Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben.‘ Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-Industrie-Comptoir um 1800, Leipzig 2002.
  • Andreas Riem, Berliner Kunstakademie und Weimarer Freye Zeichenschule. Andreas Riems Briefe an Friedrich Justin Bertuch 1788/89, Göttingen 2012.
Harmonie des Unregelmäßigen – ‚Große Sammlung von Bildtafeln zur Belehrung von Unwissenden‘
  • Nancy G. Hume (Hg.), Japanese Aesthetics and Culture. A Reader, New York 1995.
  • Donald Keene, Appreciations of Japanese Culture, 2. Auflage, Tokyo 1981 [Erstveröffentlichung 1971].
  • Stephan Köhn, Traditionen visuellen Erzählens in Japan. Eine paradigmatische Untersuchung der Entwicklungslinien vom Faltschirmbild zum narrativen Manga, Wiesbaden 2005.
Verborgene Riesen und zerteilte Körper – Bildrolle – Geishi
  • Jakobina K. Arch, Bringing Whales Ashore. Oceans and the Environment of Early Modern Japan, Seattle 2018.
  • Peter Kornicki, The Book in Japan. A Cultural History from the Beginnings to the Nineteenth Century, Leiden 1998.
  • Jun Suzuki und Ellis Tinios, Understanding Japanese Woodblock-Printed Illustrated Books. A Short Introduction to their History, Bibliography and Format, Leiden 2013.

Beteiligte

Dozentinnen: Jitske Jasperse, Kathrin Müller.

Student:innen: Camilo Andres Castiblanco Bernal, Gianna Ehrke, Edoardo Kleinstein, Melanie Noack, Júlia Révay und Sylvie Weller. Wir danken Caroline Herma für ihre Unterstützung bei der Gestaltung der Ausstellung.

Sammlungsverantwortliche SBB: Katrin Böhme, Christian Dunkel, Everardus Overgaauw, Carola Pohlmann. Wir danken außerdem Cordula Gumbrecht, Christoph Rauch und Martina Siebert.

Projektkoordination SBB: Jochen Haug, Christian Mathieu, Christin Murawski, Christina Schmitz.