Wagenbach-Archiv der ersten 40 Jahre an die Staatsbibliothek übergeben
Der Verlag Klaus Wagenbach, 1964 in Berlin (West) gegründet und seither publizistischer Begleiter und Zeuge bewegter bundesrepublikanischer Geschichte wie auch kultureller Entwicklungen Europas, überlässt sein Archiv der ersten vierzig Jahre der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Es umfasst 260 Ordner und etwa 2.100 Herstellungstüten, in denen der Entstehungsprozess eines jeden Buchs dokumentiert ist. Der Verlag schafft damit Platz für neue Publikationsvorhaben und übergibt der Forschung umfangreiche und bislang weitgehend unbekannte Quellen. Die Staatsbibliothek zu Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erwarben das Teilarchiv des Wagenbach-Verlags mit Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder.
Susanne Schüssler, Verlegerin und Nachfolgerin von Klaus Wagenbach, betonte, „… dass die Entscheidung zugunsten der Staatsbibliothek zu Berlin aus mehreren Gründen gefallen ist, nicht zuletzt, weil den Verlag und die Stadt Berlin eine wechselvolle, oft nicht einfache Geschichte verbindet.“ Schon allein deshalb gehöre das Archiv hierher. Und weiter: „Ich bin gespannt, welche neuen Sichtweisen auf die Arbeit des Verlags als Teil des Literaturbetriebs wie auch auf seine Rolle als politischer und kultureller Akteur seit der äußerst bewegten Zeit Mitte der 1960er Jahre bis heute herausgearbeitet werden.“
Klaus Wagenbach hatte als Gründungsort des Verlags bewusst Berlin gewählt, sollten doch gegen die politische Teilung ost- wie westdeutsche Autoren gleichermaßen erscheinen. In den 1970er Jahren wurde vor allem politische Literatur verlegt, und so finden sich Schriftwechsel etwa mit Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Stephan Hermlin, Wolf Biermann, Johannes Bobrowski, F.C. Delius, Peter Rühmkorf, Peter Schneider, Ernst Jandl, Ulrike Meinhof, Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit, Peter Brückner (u.a. über dessen Amtsenthebungsverfahren), Otto Schily und dem Grips-Theater, außerdem die umfangreiche Korrespondenz mit Erich Fried, einem der zentralen politischen und literarischen Autoren des Verlags. Dazu kommen Unterlagen zu den Gerichtsprozessen, mit denen der Verlag überzogen wurde, etwa die Frage um den „Mord“ an Benno Ohnesorg. Die Dokumente zeigen die Entwicklung der damaligen Avantgardeliteratur als Abbild der allgemeinen politischen und kulturellen Lage und zeichnen die Führungsrolle nach, die der Verlag dabei einnahm – einschließlich der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten sowohl mit dem Staat als auch innerhalb der Linken, etwa die Bedrohung durch die RAF.
In den 1980er Jahren beginnt die Entwicklung des Verlags hin zur Kultur- und Kunstgeschichte und zur italienischen Literatur mit Autoren wie Peter Burke, Alain Corbin, Natalie Zemon Davis, Carlo Ginzburg, Salvatore Settis, Heinz Berggruen, Wolfgang Ullrich, Giorgio Vasari und Horst Bredekamp sowie Giorgio Manganelli, Luigi Malerba, Gianni Celati, Stefano Benni, Norberto Bobbio und Natalia Ginzburg. Inzwischen hat sich der Verlag immer weiter internationalisiert, publiziert anspruchsvolle literarische Autoren die deutsch, italienisch, spanisch, französisch und englisch schreiben. Mit über 1.200 verlegten Titeln wählt der Verlag nach wie vor seine Bücher nach inhaltlichen und nicht nach merkantilen Kriterien aus. Ein besonderes Merkmal der Wagenbach-Bücher ist die hohe optische und haptische Qualität der Bücher.
Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz setzte mit dem Kauf des Wagenbach-Archivs ihre Politik des Erwerbs bedeutender literarischer und wissenschaftlicher Verlagsarchive fort. Dass ihr dies nur mit der außerordentlichen finanziellen Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder möglich war, unterstrich die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kempf, besonders und erläuterte weiter: „Das Wagenbach-Archiv wird nun in jene Sammlung aufgenommen, in der sich bereits die Archive der Wissenschaftsverlage De Gruyter, Mohr-Siebeck und Vandenhoeck & Ruprecht sowie das Archiv des Literaturverlages Aufbau befinden, zudem konnten wir im letzten Jahr für die Musiksammlung einen bedeutenden Teil des Schott-Archivs sichern.“ Zu den nächsten Schritten der Bibliothek fuhr sie fort: „Dieses für die politisch-historische wie auch kunst- und kulturgeschichtliche Forschung so wichtige Archiv wird zunächst systematisch erschlossen und in konservatorisch beste Bedingungen gebracht. Dabei wird die vom Verlag angelegte Grundordnung nach Jahren und nach verlegten Büchern beibehalten, und selbstverständlich verbleiben die Verwertungs- und Urheberrechte bei den bisherigen Rechteinhabern.“
Das Archiv beinhaltet neben vielem anderen umfangreiche Chef- und Lektoratskorrespondenzen, Gutachten, Manuskriptablehnungen; dann in den Herstellungstüten Schriftwechsel von Herstellern, Gestaltern und Lektoren mit den Autoren zu den einzelnen Büchern, die dazugehörigen Manuskripte, Übersetzungen, Lektorate, Korrekturgänge und Einbandentwürfe. Aus dem Vertrieb gibt es Korrespondenzen mit Buchhändlern und Auslieferungen und mit Autoren über Lesungen und die Verbreitung der Bücher. Anhand von Absatzzahlen lassen sich die Wirkung von Rezensionen, Verkaufsaktionen, Werbemitteln oder Lesereisen ermitteln.
Für das Jahr 2014 wurden anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Verlags Ausstellungen und Veranstaltungen vorbereitet. Dabei wurde der Verlagsleitung deutlich, dass der Umgang mit den eigenen Archivalien eine ebenso große Sorgfalt verlangt wie die Gestaltung des Verlagsprogramms. Der Übergang des vollständigen Archivs der Jahre 1964 bis 2003 in die Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin ist für die zeithistorische Forschung ein verheißungsvoller wie auch für die sichere und dauerhafte Aufbewahrung der unikalen Dokumente der richtige Schritt.
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