65 Jahre nach der Befreiung: Literatur aus den Lagern für Displaced Persons 1945 — 1950
In den Jahren 1945 bis 1950 stellten Juden, die der Mordmaschinerie der Nazis entgangen waren und in den von Briten und Amerikanern eingerichteten Lagern der Displaced Persons (DP) erste Unterkunft und Sicherheit gefunden hatten, dort rund 400 literarische Werke her. Die Literatur half den entwurzelten Menschen, die die Qualen der Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager überlebt oder im Untergrund und in Verstecken ausgeharrt hatten, nun jedoch nicht in ihre Heimatorte zurückkehren konnten oder wollten, sich mit Erlebtem auseinanderzusetzen, neue Orientierung zu finden, Bildung zu vermitteln, sich gegenseitig zu informieren oder zu agitieren.
Nur wenige Exemplare dieser Werke sind erhalten, denn sie wurden in sehr kleinen Auflagen und meist auf schlechtem Papier gedruckt, wurden viel genutzt und dabei oft ‚zerlesen’. Bislang fanden die Zeitungen, Broschüren und Bücher der jüdischen DP bei Wissenschaftlern, Sammlern und Antiquaren wenig Beachtung. Umso glücklicher ist die Staatsbibliothek zu Berlin, jetzt die Hälfte aller jemals vorhandenen Titel zu besitzen und der Forschung zur Verfügung stellen zu können. Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf dankt besonders der Martin Breslauer-Stiftung New York, die den Ankauf der Sammlung ermöglichte.
Die 200 Drucke der jüdischen Displaced Persons konnten zum Ende des letzten Jahres erworben werden: Über einen langen Zeitraum hinweg hatte ein Antiquar aus Strasbourg mit Geduld und Umsicht die Exemplare von Sho’ah-Überlebenden und deren Nachfahren aus Israel, Frankreich und den USA zusammengetragen. Die meisten Stücke sind in befriedigendem, gelegentlich sogar hervorragendem Zustand. Die Sammlung bot er der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz an, damit sie hier dauerhaft gesichert, sachkundig erschlossen und umfassend erforscht werden kann. Der Antiquar wird gemeinsam mit der Staatsbibliothek nach weiteren Exemplaren dieser Literatur suchen, um so die Sammlung zu vervollständigen.
Die Sammlung gibt einen repräsentativen Eindruck von der in den Lagern entstandenen Literatur: In Hebräisch sind religiöse Werke, Bibeln, Gebetbücher, einzelne Talmudtraktate und Schriften zur religionsgesetzlich vorgeschriebenen Lebensführung verfasst. Daneben gibt es vielfältige säkulare Literatur: Wochenzeitungen und Propagandaschriften der verschiedenen Gruppierungen, Romane und Gedichte der modernen jiddischen und hebräischen Klassik, Lese- und Lehrbücher für die in den Lagern eingerichteten Schulen, praktische Ratgeber jedweder Art, schließlich die ersten Dokumentationen der Sho’ah in Wort und Bild: Berichte von Überlebenden des Warschauer Ghettos, von Partisanen aus den litauischen Wäldern, Anthologien ihrer Lieder, Parolen und Aufrufe. Diese Texte wurden in Jiddisch geschrieben, kamen doch die Insassen der jüdischen DP-Camps fast ausnahmslos aus Osteuropa, wo neben der jeweiligen Landessprache Jiddisch erste Umgangssprache war.
2-tägige Ausstellung
„Scheite, dem Feuer entrissen. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland und ihre Bücher 1945 — 1950“
Donnerstag/Freitag, 29./30. April 2010
9 bis 21 Uhr im Foyer
Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße 33, 10785 Berlin
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