Ausstellung „Aderlaß und Seelentrost. Die Überlieferung deutscher Texte im Spiegel Berliner Handschriften und Inkunabeln“
„ …Wer zur Ader gelassen wurde, wem also Blut zu medizinischen Zwecken abgenommen wurde, wollte einer Krankheit vorbeugen oder sie heilen, eine wichtige Anwendung mittelalterlicher Medizin. Wenn sie versagte, blieb immerhin der Seelentrost.“ Der einleitende Satz des Katalogs zur Ausstellung „Aderlaß und Seelentrost. Die Überlieferung deutscher Texte im Spiegel Berliner Handschriften und Inkunabeln“ verweist bildhaft auf in Deutsch verfasste mittelalterliche Fachliteratur und Werke der Erbauung und Frömmigkeit, von denen eine besondere Auswahl erstmalig in dieser Fülle und thematischen Breite in einer Ausstellung zusammengestellt wurden. Ein drittes großes Gebiet, welches vom Ausstellungstitel zwar nicht erfasst, das jedoch mit den gezeigten Objekten ebenso präsent ist, kommt der Unterhaltung zu.
Vom 20. Juni bis zum 21. September 2003 werden dem breiten Publikum im Berliner Kulturforum 242 für die deutsche Kultur und die germanistische Forschung äußerst bedeutsame Handschriften und Inkunabeln (Frühdrucke vor 1501) vorgestellt. Der größte Teil der Exponate stammt aus der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, ergänzt um Leihgaben aus dem Kupferstichkabinett, dem Deutschen Historischen Museum, dem Geheimen Staatsarchiv sowie aus einer privaten Sammlung.
Zu den herausragenden Handschriften in der Ausstellung zählen der einzige bebilderte Nibelungen-Codex (1436/1442), die Eneide (auch: Eneasroman) von Heinrich von Veldeke als erste illustrierte Handschrift eines deutschen höfischen Epos (um 1220), das astrologisch-medizinische Lehrbuch Regimen von Heinrich von Laufenberg (um 1450) und die Deutsche Chronik (um 1480). Stellvertretend für die ausgestellten Inkunabeln sei hier auf Concilium zu Konstanz von Ulrich von Richenthal von 1483 verwiesen, das u.a. als erstes bedeutendes gedrucktes Wappenbuch gilt.
Die thematische Breite und der Umfang der Ausstellung gibt dem Publikum einen überwältigenden Einblick in deutsche Texte und deren Darstellung in der Zeit vom 9. bis 16. Jahrhundert: Prachtvolle Handschriften, Inkunabeln der frühen Druckgeschichte, inhaltlich und kunsthistorisch bedeutende, schließlich optisch reizvolle Objekte enthalten Texte aus allen deutschen Sprachgebieten. Die Ausstellung ist in zwölf Themenbereiche aufgegliedert:
I Beginn der deutschen Literatur – gezeigt wird das altniederdeutsche Heliand-Fragment (Fragement P), um 850
II Deutsche Glossen und Glossare – u.a. eine Pergamenthandschrift Neues Testament, Apostelbriefe (lateinisch) aus dem 10. Jh. mit Interlinear- und Marginalglossen
III Deutsche Literatur – u.a. Werke der Helden- und Dietrichepik, Spielmanns- und höfische Epik, Lieddichtungen, Mittelalterliche Spiele, Romane und Fabeln, didaktische Literatur
IV Deutsche Bibeln – gezeigt werden Handschriften, darunter die äußerst wertvolle Preußenbibel aus dem späten 14. Jh., und Frühdrucke
V Heiligenlegenden und Erbauungsliteratur – u.a. das Passional um 1300
VI Heilsspiegel – mit zahlreichen Miniaturen zu Ereignissen des Alten und Neuen Testaments
VII Predigten und Visionsliteratur – u.a. Predigten, Sendbrief und Traktate von Johannes Kreutzer von 1468/69
VIII Gebetbücher – u.a. das Gebetbuch einer Fürstin (?) um 1400
IX Rechtshandschriften – u.a. das Fragment des Sachsenspiegel von Eike von Repgow aus dem 13. Jh., die erste Fassung des Sachsenspiegel um 1405 sowie weitere Handschriften des Sachsenspiegel
X Fachprosa – darunter medizinische Handschriften, Kräuterbücher, Wahrsagebücher, Literatur zur Astronomie, Alchemie, Jagd- und Kriegswesen, Kalender, Reiseliteratur, Feuerwerkbücher, Fechtbuch
XI Chroniken – u.a. die Sächsische Weltchronik aus dem 14. Jh. und die Deutsche Chronik um 1480
XII Buchdruck als neues Medium – Inkunabeln, darunter Spruch vom Unterschied zwischen guten und bösen Menschen
Bereichert wird die Ausstellung um eine digitale Präsentation des Deutschen Historischen Museums, das den Eneasroman von Heinrich von Veldeke sowie Handschriftenfragmente Rudolf von Ems: Weltchronik und Der Stricker: Karl der Große an leicht zu bedienenden Terminals präsentiert.
Mit der Herausgabe des begleitenden, reich bebilderten Katalogs von 470 Seiten Umfang, erschienen im Verlag Philipp von Zabern, gibt die Staatsbibliothek zu Berlin den Wissenschaftlern und Forschern ebenso wie dem breiten Publikum ein Werk in die Hand, das auch nach dem Besuch der Ausstellung zu wissenschaftlich fundierter, vertiefender Lektüre einlädt.
In der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin wird die wohl bedeutendste Sammlung an deutschsprachigen Handschriften und Inkunabeln aufbewahrt. Neben abendländischen Handschriften und Inkunabeln werden in dieser Abteilung auch Nachlässe und Autographe sowie Einblattmaterialien gesammelt und für die Wissenschaft und Forschung bereit gestellt.
„Aderlaß und Seelentrost. Die Überlieferung deutscher Texte im Spiegel Berliner Handschriften und Inkunabeln“
20. Juni bis 21. September 2003
Sonderausstellungshallen am Kulturforum
Matthäikirchplatz 4, Berlin-Tiergarten
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