Laokoons Autopsie

In der Reihe Werkstattgespräche der Staatsbibliothek fand am 24. April 2017 der sehr gut besuchte und äußerst hörenswerte Vortrag von Prof. Dr. Luca Giuliani, Rektor am Wissenschaftskolleg und Professor für Klassische Archäologie an der Humboldt-Universität, mit dem Titel „Laokoons Autopsie“ statt.

Bekanntermaßen war Laokoon Priester aus Troia, der kurz vor der mythischen Eroberung der Stadt durch die Griechen mit seinen Söhnen Opfer eines Angriffs zweier Schlangen geworden sein soll. Der Stoff ist früh – im Homer nachfolgenden sogenannten epischen Kyklos – in der antiken Literatur bezeugt und wird mehrfach und variantenreich von Späteren aufgegriffen. Ihre klassische Ausprägung findet die Geschichte dann bei Vergil im 2. Buch seiner Aeneis. Aus Laokoons Mund stammt der in Büchmanns geflügelte Worte – das Danaergeschenk! – eingegangene Vergilsatz Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes. Insgesamt besaß der Mythos aber keine ausgeprägte Verbreitung. Folgerichtig gibt es nur wenige und durchweg unbedeutende Exponate der antiken bildenden Kunst, die uns bekannt sind – bis auf die eine Ausnahme der Laokoongruppe. Diese lobte bereits der ältere Plinius in seiner Universalenzyklopädie über alle Maßen, und seine Worte halfen, das in der Renaissance wiedergefundene Kunstwerk zu identifizieren. Papst Julius II. erwarb es kurz darauf und ließ es im vatikanischen Belvedere aufstellen.

Ihre zumindest aus deutscher Perspektive eigentliche Berühmtheit fand die Skulptur aber erst durch Johann Joachim Winckelmann. Er sah in ihr eine Versinnbildlichung des antiken Griechentums und ersann die bekannten Worte von der edlen Einfalt und der stillen Größe für die Beschreibung des Kunstwerkes. Winckelmann und die Auseinandersetzung mit ihm bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren dann der eigentliche Gegenstand von Prof. Giulianis Vortrag. Erstaunlicherweise hatte Winckelmann keine Kenntnis von der Originalmarmorplastik in den vatikanischen Sammlungen, als er 1755 in Dresden seine Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und der Bildhauerkunst zur Veröffentlichung brachte. Er stützte sich vielmehr auf eine Miniaturreproduktion aus Bronze.

Nachdem er in Rom das Original gesehen hatte, korrigierte Winckelmann 1764 dieses Manko stillschweigend mit seiner zweiten, erheblich realistischeren Beschreibung in der Geschichte der Kunst des Altertums. Dem Pathos, der Physiognomie des Schmerzes schenkt er nun die gebührende Beachtung, die auch dem Laien nicht verborgen bleiben kann. Freilich hatte der Text von 1755 bereits seine Wirkung entfaltet und wurde von Lessing 1766 in seiner Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie weiter theoretisch untermauert – mit einer erheblichen Wirkung auf die nachfolgende Zeit des Sturms und Drangs sowie der deutschen Klassik. Am Ende stand dann Goethe, der die Dichotomie von Form und Inhalt in der Schönheit des Grauens zusammenführte.

Das eigentlich sichere Fundament der Autopsie musste bei der Laokoongruppe allerdings später relativiert werden. Die ohne rechte Arme bzw. Hände aufgefundene Skulptur wurde – wie man seit dem Fund des abgeknickten Laokoonarmes zu Beginn des letzten Jahrhunderts definitiv weiß – von einem Schüler Michelangelos mit dem sieghaft in die Höhe gestreckten Arm falsch ergänzt. Die Fehler wurden 1960 korrigiert. Eine neue Debatte entbrannte, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Eine aktuelle Ausstellung im Winckelmanninstitut der HU legt davon ein mehr als beredtes Zeugnis ab:

http://www.laokoon.hu-berlin.de/

An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Wer wollte, konnte die Gespräche dann bei einem Glas Wein ausklingen lassen.

2 Kommentare
  1. Ron sagte:

    „Um die Intention des Laokoons recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung, mit geschlossnen Augen, davor, man öffne sie und schließe sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixierter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke da sie gegen das Ufer anströmt.“

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