Tübinger Wissenschaftsverlag Mohr Siebeck schenkte Verlagsarchiv
175 Jahre deutscher Verlags- und Wissenschaftsgeschichte – von 1801 bis 1975 – sind in den 1.181 Kartons enthalten, die heute der Staatsbibliothek zu Berlin geschenkt wurden. Georg Siebeck, Eigentümer des Tübinger Wissenschaftsverlags Mohr Siebeck, übereignete der Generaldirektorin der Bibliothek, Barbara Schneider-Kempf, ein umfangreiches Archiv, das die Geschichte eines in seiner Tradition ungebrochenen Verlags dokumentiert und in dem es keine Kriegsverluste gab.
Der Ursprung des heutigen Verlags Mohr Siebeck liegt in Frankfurt am Main, dort wurde 1801 die Buchhandlung mit Verlag gegründet. Ab 1805 in Heidelberg als Universitätsbuchhandlung weitergeführt, brachte der damals zu einer Buchhandlung gehörige Verlagszweig von J. C. B. Mohr vor allem Werke von Heidelberger Gelehrten heraus. Im Jahr 1878 erwarben die Verleger Kötzle und Siebeck den Mohr Verlag und holten ihn nach Tübingen und Freiburg. Bis zum Anfang der 1930er Jahre entwickelte sich das heutige Verlagsprogramm, es wurden und werden Gelehrte weit über die drei süddeutschen Universitäten Heidelberg, Freiburg und Tübingen hinaus verlegt. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung brach das Unternehmen nahezu zusammen, das Verlagsprogramm wurde stark reduziert. Schon Ende des Jahres 1945 erhielt Mohr Siebeck eine der ersten Lizenzen und begann wieder mit der Buchproduktion. Seit 1976 führt Georg Siebeck den Verlag, in dem der Schwerpunkt stets auf Theologie und Jura sowie Philosophie, Geschichte und den Wirtschaftswissenschaften, seit den 1960er Jahren auch auf Judaistik lag.
Viele deutsche Wissenschaftler mit internationaler Wirkung publizierten bei Mohr Siebeck, darunter der Theologe und Historiker Adolf von Harnack (1851-1930), der Rechtswissenschaftler Hans Kelsen (1881-1973) und der Ökonom und Soziologe Max Weber (1864-1920). Oft waren sie nicht allein Autoren sondern zugleich auch Ratgeber des Verlags, so dass sich aus der Korrespondenz mit ihnen ein Netzwerk der damaligen Wissenschaft abbildet.
Zwischen Dokumenten im Archiv des Mohr Siebeck Verlags und anderen Beständen der Staatsbibliothek zu Berlin werden sich zudem zahlreiche Verbindungen herstellen lassen, zum Beispiel zu Dokumenten im Nachlass Adolf von Harnack oder zum Archiv des inzwischen 260 Jahre alten Wissenschaftsverlages de Gruyter, welches sich seit 1999 ebenfalls hier befindet.
Nachdem der Verlag um 1880 nach Tübingen gezogen war wuchs das Archiv enorm an: Die intensive Korrespondenz mit den Autoren wurde nach dem jeweiligen Stil der Zeit sorgsam abgelegt und aufbewahrt. So wurden im Lauf der Jahre 838 Kartons mit Korrespondenz gefüllt, Verträge finden sich in 24 Kartons, in 215 sind Rezensionen aufbewahrt und in 104 Kartons sind Materialien aller Art gelagert. Für die Forschung steht damit ein großer Fundus an Dokumenten bereit: Briefe zu inhaltlichen Fragen der Publikationen, Papiere zur Unternehmensentwicklung, Abrechnungen für Autoren, in Büchern zusammengefasste Kalkulationen und Buchungen, Verträge aller Art, Rezension von bekannten Wissenschaftlern und vieles mehr. Auch lassen sich Ordnungssysteme und andere organisatorische Fragestellungen an diesem Archiv untersuchen.
Für die Bibliothek ist es nicht nur ein seltener Glücksfall sondern auch Verpflichtung, eine so vollständige Überlieferung eines in der Wissenschaft bedeutenden Unternehmens zu erhalten. Die Erschließung des Archivs wird innerhalb von fünf Jahren erfolgen.
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