Auf den Spuren bibliothekarischer Kooperationen
Personalschriftenkataloge und -repositorien
Kartenkataloge und andere papierne Arbeitsmittel der Vergangenheit halten für uns BibliothekarInnen der Gegenwart oft interessante historische Informationen bereit neben i.d.R. hinsichtlich Format und Form sowie Standortangaben „veralteten“ Metadaten. Besonders durch die sich verändernden Aufgaben der Staatsbibliothek in den vergangenen mehr als 100 Jahren (noch zu Zeiten der Königlichen und später Preußischen Staatsbibliothek) können von vielen Generationen fleißig beschriebene Karten eine völlig andere Funktion bekommen. So auch der hier vorzustellende jetzt digitalisiert vorliegende Personalschriftenkatalog, in Insiderkreisen seit langem nicht ganz zutreffend „Königsberger Personalschriftenkatalog“ genannt. Es handelt sich um einen 12 Kapseln und knapp 8.000 Karten umfassenden überwiegend handschriftlichen Katalog, der aus dem 1895 an der Königlichen Bibliothek zu Berlin begonnenen Projekt des Gesamtkatalogs der Preußischen Bibliotheken (ab 1935 Deutscher Gesamtkatalog – GK) hervorgegangen ist. Seinen Namen erhielt er, weil der Grundstock durch Zettel der Universitätsbibliothek Königsberg gebildet wurde. Dazu kamen seit August 1928 die Zettel des GK, die bei einer damals erfolgten Revision ausgeschieden wurden.
Somit enthält dieser Katalog nicht nur Personalschriften aus dem Besitz der Universitätsbibliothek Königsberg, sondern weist auch Bestände anderer auswärtiger Bibliotheken, u.a. auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Reichs nach. Für die bedeutenden Sammlungen von Personalschriften der Preußischen Staatsbibliothek hingegen wurde zum gleichen Zeitpunkt ein eigenes „Genealogisches Zettelrepositorium“ gebildet, welches uns heute ebenfalls im Original vorliegt, dessen Nachweise sich jedoch inzwischen durch die nationalbibliographische Katalogisierung größtenteils überlebt haben. Gelegenheitsschriften in Sammlungen der SBB
Was genau ist an diesen „Königsberger“ Zetteln nun so interessant? Es ist vor allem ein Aspekt: Sein enormer Wert als biographisches und bibliographisches Auskunftsmittel! Diesen erhält der Katalog aber ohne Zweifel durch die verzeichneten Königsberger Personalschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts. Dieser umfangreiche Bestand mit etlichen Unika muss seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als verschollen gelten, so dass heute der Katalog in der Staatsbibliothek häufig den einzigen Nachweis über v.a. Königsberger Drucke und die darin enthaltenen biographischen Daten liefert. Neben Leichenpredigten sind hier auch Hochzeits-, Glückwunsch- und Trauergedichte sowie sonstige Kasualdichtungen nachgewiesen.
Geordnet ist der Katalog (wie auch andere Personalschriftenkataloge der Zeit) nach dem Namen der gefeierten Person (mit zahlreichen Querverweisen von Geburtsnamen der Ehefrauen). Ebenso finden sich biographische Informationen zu Lebens-, Hochzeits- und Sterbedaten. Ist man also nach allen Onlinerecherchen im Internet erfolglos auf der Suche nach einer Person aus Ostpreußen, kann man möglicherweise mit Glück in diesem Katalog fündig werden. Natürlich wäre es prima gewesen, wenn wir die Daten bereits als Volltexte verfügbar hätten. Das ist eine Option für später. Wir sind froh, dass er in Form von Images mit Sprungmarken alle 25 Karten das Licht der Onlinewelt erblickt und nicht mehr nur den Eingeweihten zugänglich ist.
Die Sammlung an Gelegenheitsschriften in Königsberg war durchaus bedeutsam. So gehörten 1927 mindestens 1.200 Leichenpredigten der UB Königsberg, weitere 2.250 beherbergte das Staatsarchiv [Tiesler, Kurt: Verzeichnis von Lebensläufen aus der Zeit von 1579-1724 aus 507 Königsberger Leichenpredigten. Leipzig, 1927, Vorwort] Es darf vermutet werden, dass es sich hierbei v.a. auch um regionale Publikationen handelte. Dank bereits mehrerer Jahrzehnte laufender retrospektiver nationalbibliographischer Katalogisierung und inzwischen auch vielfältiger Digitalisierungsmaßnahmen weist der K10Plus-Verbundkatalog mit 2.700 Schriften bereits eine bedeutsame Menge in Königsberg gedruckter Gelegenheitsschriften nach. In 2.500 Fällen handelt es sich hierbei um Nachweise aus den Verzeichnissen der Drucke des 16. bis 18. Jahrhunderts. Allein knapp 1.000 dieser Gelegenheitsschriften vermitteln bisher Bestand und Digitalisate der Staatsbibliothek zu Berlin, wovon nur 5 aus dem 16. und 175 aus dem 18. Jahrhundert datieren; die große Menge von knapp 820 Schriften zählt ins 17. Jahrhundert. Mit Fortschreiten der Projekte werden weitere hinzukommen. Ebenso hilfreich sind Digitalisierungen polnischer Bibliotheken. Vielleicht wird die Lücke dann zu großen Teilen geschlossen – aber mit Sicherheit lässt es sich nicht sagen, sodass der oben dargestellte Katalog doch hin und wieder auf vermisste Schriften verweist.
Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken / Deutscher Gesamtkatalog
Wer sich jetzt fragt, wofür dieses Zahlentableau in der linken Spalte der meisten Karten steht, der versetze sich in die Zeit vor der Elektronischen Datenverarbeitung. So war die Königliche Bibliothek seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Verantwortung für den Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken (später Deutscher Gesamtkatalog) und dem 1904 gegründeten Auskunftsbüro der Deutschen Bibliotheken Dreh- und Angelpunkt des Deutschen Leihverkehrs, der nur funktionieren konnte, wenn man wusste, welche Bibliothek welche Bestände besitzt. Diese außerordentlich umfangreichen Unternehmungen erfuhren auch in der Öffentlichkeit ihren Widerhall in kenntnisreichen Erörterungen wie im Berliner Tageblatt (Abendausgabe vom 13.12.1913, S.4). Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden die bibliotheksübergreifenden Arbeiten gewürdigt, über den zeitlichen Fortgang philosophiert und eine Drucklegung des GK thematisiert und kontrovers diskutiert. Letztlich konnte auch erst im Juni 1931 zur Subskription der Druckausgabe mit ihrem ersten Band aufgerufen werden (s. Vorwärts: Berliner Volksblatt, Spätausgabe vom 20.6.1931, S.3). Im Einzelnen wurde der Katalog der Berliner Staatsbibliothek abgeschrieben und diese Abschrift auf Zetteln sukzessive unter den preußischen Universitätsbibliotheken in Umlauf gegeben, darin Meldungen identischer Bestände platzsparend mit Hilfe der Bibliothekssigel notiert sowie zusätzliche (oft unikale) Nachweise den Umläufen hinzugefügt. Auch Neuerwerbungen der Königlichen Bibliothek und andere Nachmeldungen gingen ein.
So entstand ein gigantisches Zettelmanuskript, das nach seiner 1935 erfolgten Ausweitung zum Deutschen Gesamtkatalog, 1936/37 rund 38 Mio. Bände aus 102 deutschen Bibliotheken nachwies (so verkündet ein Poster aus der Zeit). Nur 14 Bände (A bis Beethordnung) brachten es bis 1939 zur Drucklegung und machten das Unternehmen Gesamtkatalog zu einem früh unvollendeten. Das Manuskript gilt nach seiner kriegsbedingten Verlagerung als verschollen. Es existieren neben dem wie oben beschrieben herausgelösten und nun digitalisierten Personalschriftenteil noch die Teile des bereits veröffentlichten Materials sowie der so genannte Ergänzungskatalog, der Meldekarten aus Suchvorgängen des Auskunftsbüros und Nachmeldungen enthielt und auch in der DDR durch die Deutsche Staatsbibliothek als Standortnachweis für eine gewisse Zeit weitergeführt wurde. Wer sich genauer für diese Unternehmungen interessiert, erhält hier einen Einstieg und Überblick.
Verbundgedanke
So kann man unsere bis heute genutzten Verbundkataloge als Nachfolger auf föderaler Ebene betrachten. Wenn man genauer hinschaut, fallen viele weitere bibliothekarische Gemeinschaftsunternehmen unter der Ägide der Staatsbibliothek ins Auge, die bereits damals ihren Ursprung hatten. Hier seien beispielhaft und auch nur für die Druckschriften die Zeitschriftendatenbank und der Gesamtkatalog der Wiegendrucke genannt.
Und nicht vergessen werden sollen natürlich auch die ins Jahr 1969 zurückreichenden retrospektiven nationalbibliographischen Verzeichnisse wie VD 16, VD 17 und VD 18, die ohne kooperatives Arbeiten undenkbar wären. An ihnen ist die Staatsbibliothek maßgeblich beteiligt. Bis heute bedient man sich der effizienten Standortnachweise, der Bibliothekssigel. Aus ihnen, die über die Jahrzehnte fortgeschrieben und erweitert wurden, leitete man später für Deutsche Bibliotheken die International Standard Identifier for Libraries (ISIL) ab, die heute für vergleichbare Zwecke in Leihverkehr und Verbundkatalogen verwendet wird, und für die die Deutsche ISIL-Agentur und Sigelstelle an der Staatsbibliothek verantwortlich ist (Vgl. Vortrag A. Heise auf GBV-Verbundkonferenz 2012). Aber auf diesen alten Karten des GK findet man natürlich auch längst verwaiste Sigel wie 2 für die frühere Staats- und Universitätsbibliothek Breslau oder eben hier im Königsberger Personalschriftenkatalog sehr oft die 10 für die Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. Nach 1945 wurden in beiden Städten (nun zu Polen bzw. Russland gehörend) die Universitäten wieder belebt bzw. neu gegründet, allerdings eben mit immensen Kriegsverlusten ihrer Bibliotheksbestände.
Wenn Sie jetzt in besagtem digitalen Zettelkatalog stöbern wollen, dann schauen Sie mal hier …
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