Staatsbibliothek restituiert Handschriften aus der Musikbibliothek von Arthur Rubinstein
Heute wurden eine 71 Nummern umfassende Sammlung von Musikalien aus dem ehemaligen Besitz des Pianisten Arthur Rubinstein an dessen vier Kinder übergeben. Das Schicksal dieses Konvoluts spiegelt die Dramatik des vergangenen Jahrhunderts wider: Die Willkürherrschaft der Nazi-Zeit, die Beutezüge der zunächst siegreichen deutschen Armee, denen dann die der Sowjetarmee folgten, die teilweise Rückgabe von Kulturgütern aus Russland an die DDR in den fünfziger Jahren, die Wiedervereinigung Deutschlands und des preußischen Kulturbesitzes in den neunziger Jahren und die Zugänglichkeit von russischen Archiven für westliche Forscher. Mit der Rückgabe des Konvoluts, darunter mehrere dem Pianisten gewidmete Kompositionen, findet deren wechselhafte Geschichte ein gutes Ende; für andere Musikalien aus dem ehemaligen Besitz von Arthur Rubinstein, die sich noch in russischen Archiven befinden, steht eine vergleichbare Lösung noch aus. Die Restitution fand auf Initiative der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz statt. Grundlage waren Provenienzrecherchen der Bibliothek und internationaler Musikwissenschaftler.
Es ist das erste Mal, dass ein einstmals jüdischer Besitz aus der Staatsbibliothek an die rechtmäßigen Erben rückübertragen werden konnte. Bei den Musikalien handelt es sich um Autographe, Abschriften, Fotokopien von Abschriften und Drucke verschiedener Komponisten, die zum Teil mit persönlicher Widmung an Arthur Rubinstein versehen sind. So finden sich darunter beispielsweise mehrere Autographe des aus Berlin stammenden Stefan Wolpe und der französischen Komponistin Germaine Tailleferre, die Mitglied der Pariser Gruppe Les Six war und nicht zuletzt durch Rubinsteins Interpretation ihrer Werke internationale Bekanntheit erlangte, ferner Abschriften von Werken Heitor Villa-Lobos’ sowie Autographe anderer südamerikanischer Komponisten.
Arthur Rubinstein, dessen Geburtstag sich am 28. Januar des nächsten Jahres zum 120. Mal jährt, übersiedelte mit seiner Familie im Herbst 1939 in die Vereinigten Staaten von Amerika, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris. Noch im selben Jahr konfiszierte der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ den Pariser Besitz des weltberühmten jüdischen Pianisten und brachte seine Privatbibliothek in das Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Obwohl Arthur Rubinstein bereits 1947 nach Paris zurückkehren konnte, wurde ihm seine dortige Wohnung erst 1954 wieder rückerstattet; seine letzten Jahre verbrachte er in Paris und Genf, wo er 1982 starb. 1945 wurden die konfiszierten und heute restituierten Bestände im Reichssicherheitshauptamt von der Roten Armee in die UdSSR abtransportiert.
Im Zuge der Rückführung eines Teils der deutschen Kulturgüter durch die Sowjetunion 1958/1959 gelangten sie wieder nach Berlin. Sie wurden der Musikabteilung der Deutschen Staatsbibliothek (Ostberlin) zugewiesen, wo sie sich über Jahre als ein Bestand unbearbeiteter Musikquellen befanden. Mit der Wiedervereinigung der Berliner Sammlungen kamen sie 1991 in die Obhut der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mangels institutioneller Provenienzhinweise an den Einzelstücken waren sie bis vor kurzem nicht zuzuordnen. Erst 2003 gelang die Einordnung in die ehemalige Sammlung von Arthur Rubinstein, woraufhin die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sich mit den Erben in Verbindung setzte. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz restituiert Sammlungsobjekte, wenn insbesondere ein verfolgungsbedingter entschädigungsloser Verlust festzustellen ist. Sie tut dies unabhängig davon, ob es zwingende Folge einer gesetzlichen Regelung ist. Zudem reagiert sie nicht erst auf Restitutionsanträge, sondern hat aktiv die Prüfung ihrer Bestände nach Kulturgut aus ehemals jüdischem Eigentum in Angriff genommen. Die Praxis der Restitution ist bei Büchern und Bibliotheksbeständen jedoch ungleich schwieriger als bei Kunstwerken, da Bücher aus Privatbesitz nur selten eindeutige Provenienzvermerke tragen. Im vorliegenden Fall tauchten erste Hinweise auf die Herkunft der Bestände im Zuge von Beutekunstrecherchen einer deutschen Expertengruppe im Glinka-Museum in Moskau im Jahre 2003 auf, die aufgrund eines Hinweises durch den niederländischen Musikwissenschaftler Willem de Vries eingeleitet worden waren. Durch die gute Zusammenarbeit deutscher und niederländischer Wissenschaftler und die Aktivität der Stiftung wurde diese Rückgabe ehemals jüdischen Buchbesitzes aus der Staatsbibliothek möglich. Eine weitere wird derzeit in die Wege geleitet. Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann meinte beim Zweiten Hannoverschen Symposium „Jüdischer Buchbesitz als Raubgut“ im Mai 2005: „Keine deutsche Bibliothek sollte Bücher aus jüdischem Besitz ihr Eigen nennen, die unmittelbar oder mittelbar durch Erpressung, durch Raub und durch Mord in ihren Bestand gekommen sind!“ Dieses Ziel wird von der Staatsbibliothek zu Berlin verfolgt. Derzeit wird ein Projekt zur Erforschung der mit der Preußischen Staatsbibliothek verflochtenen „Reichstauschstelle“ auf den Weg gebracht, bei der mögliche Verstrickungen in den Raub von Büchern aufgedeckt werden sollen. Diese Reichsbehörde widmete sich in der NS-Zeit unter anderem dem Wiederaufbau zerstörter deutscher Bibliotheken. Dazu wurden neben den Dublettenbeständen auch „geschenkweise abgegebene Bücher“ genutzt und es wurde in Deutschland und in den besetzten Gebieten die gesamte erreichbare wissenschaftliche Literatur aufgekauft. Die Frage, ob es sich dabei im Einzelfall um erzwungene und somit unrechtmäßige Käufe oder Raubgut handelte, konnte bisher noch nicht beantwortet werden. Es ist zu hoffen, dass sich über diese Erforschung der Rolle der Bibliothek zur NS-Zeit und des Zusammenspiels von Dienststellen, Lieferanten und Bibliotheken auch geeignete Ansätze für Identifikation und Eigentumszuweisungen im Einzelnen ergeben.
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