Illustration aus "Das große illustrierte Spielbuch" von Theodor Rulemann, 1909

Das besondere Objekt: „Das große illustrierte Spielbuch“ von Theodor Rulemann (1909)

Die Blog-Reihe „Das besondere Objekt“ möchte Ihnen in lockerer Folge besondere Titel aus den Beständen der Staatsbibliothek vorstellen. Unterschiedlichste Themen sollen zur Sprache kommen und werden Sie vielleicht in unsere Lesesäle locken – diesmal besonders verspielt!

„Das große illustrierte Spielbuch“ von Theodor Rulemann

„Chacun à son goût!“ sagt der Franzose – jeder nach seinem Geschmack! Wenn wir es daher unternommen haben, ein „großes Illustriertes Familien-Spielbuch“ herauszugeben, so wollen wir damit a l l e n Wünschen entgegenkommen und gedenken allen Kreisen zu dienen.“ (aus dem Vorwort)

Freizeitgestaltung vor Erfindung des Rundfunks

Wann haben Sie in jüngster Zeit gespielt? Und was? Sind Ihnen Ihre Brettspiele daheim langweilig geworden, und etwas Neues fällt Ihnen gerade nicht ein? Oder brauchen Sie Ideen für den nächsten Urlaub?

Was wäre, wenn Sie 1000 Spiele zur Hand hätten, und das ganz ohne Anschaffungskosten? Noch dazu spannend eingeleitet von einer historischen Einordnung all der Gesellschaftsspiele am Tisch oder im Freien?
Ein fröhlicher Zeitvertreib in Gesellschaft ist die erklärte Absicht dieses Projekts von 1909: einen möglichst breiten Zugang zu Spielen für Jung und Alt zu gewähren. Und wenn auch die Erledigung täglicher Pflichten mehr Zeit in Anspruch nahm als heute, weil es weder die 40-Stunden-Woche noch all die modernen Haushaltshelfer gab: Irgendwann war Feierabend, und man konnte sich in Muße der Erholung widmen. Das hieß lesen, Briefe schreiben oder eben: spielen.

Schlagen wir den Begriff „spielen“ im Herkunftswörterbuch nach (1), erscheint interessanterweise zunächst der Hinweis auf Musik. Spielleute spielten zum Tanz auf, Schauspiele mit und ohne Musik waren auf Märkten, an Höfen und in Theatern eine beliebte Belustigung – und auch die Olympischen Spiele  als zivilisierte Variante des Kampfspiels erfreuen uns bis heute. Im vorliegenden Buch finden wir all diese Zeitvertreibe in handhabbarer Form für eine bürgerliche Zielgruppe – wobei auf das Gewinnen und Preise erringen mehr Wert gelegt wurde als heutzutage. Keep it simple! Mit wenigen Utensilien wie Karten, Würfeln oder einem Ball kann man viel Spaß haben. Im 16. Jahrhundert wurden sogar öffentliche Häuser ganz speziell für Ballspiele errichtet und lebhaft von der Bevölkerung genutzt. Die französischen Revolutionäre von 1789 trafen sich ganz folgerichtig in einem dieser Ballhäuser, um eine Verfassung für ihr Land zu entwerfen, und schworen nicht eher auseinanderzugehen, als bis dieses Ziel erreicht war. Noch heute sprechen wir vom Ballhausschwur. Und von wem weiß ich das? Richtig: von Rulemann (2).

Ein anderer Spielbuch-Autor der Zeit möchte die Jugend lieber spielen als tanzen sehen, denn: „Bei aufmerksamer Beobachtung kann man sich des traurigen Urteils nicht verschließen, daß die Tanzsucht häufig eine Klippe wird, an der die Ehre beider Geschlechter strandet.“ (3) Theodor Rulemann dagegen erklärt uns sogar die Fächersprache! Wer also zu einem Ball gehen will, kann sich auf Seite 655 einlesen: „Sie haben Hoffnung auf Erlangen meiner Liebe. – Der geöffnete Fächer wird langsam halb geschlossen.“ Jetzt bloß keine Fehler machen! „Es ist zwischen uns alles aus. – Die Dame legt den Fächer möglichst weit ab rechts neben sich.“ Zum Glück schließt sich die Blumensprache an. Deswegen weiß ich jetzt auch endlich, was ich davon zu halten habe, wenn mir jemand einen Lauch in die Hand drückt: „Du bist betrogen!“ (S. 660).

Ich schweife ab! Zurück zum Buch. Rulemann geht es um die reine Freude an spielerischer Geselligkeit. Eine solche Fülle von Spielideen und Spielanleitungen habe ich noch nie gesehen. Theodor Rulemann konnte durchaus Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie dachten, Sie haben keinen Platz für einen Billardtisch? Kein Problem, er klärt Sie auf. Sie haben keine Kegelbahn? Er weiß Abhilfe.

 

Von den Familienspielen bis zu Geheimschrift, falls Sie eine Spionagekarriere anstreben, und bis zu Orakeln, falls Sie in der Wahrsagerei reüssieren wollen, umfasst sein Werk die ganze Welt der Unterhaltung. Stolz verkündet Rulemann im Vorwort: „Es gibt bis jetzt kein Spielbuch, das eine so große Menge von Gesellschafts- Karten-, Brett-, Tisch-, Stein- und Bewegungsspielen, von Kegel-, Kugel- und Gerätspielen, von Salonkunststücken, Scherzen, Sprechsätzen usw. bringt. (…)“ Zu den Salonkunststücken zählen neben Kartentricks auch physikalische und chemische Erstaunlichkeiten; dazu Zauberei und Logikrätsel aller Art, mit und ohne Mathematik. Da ist für jeden etwas dabei!

Viele Illustrationen machen diesen Band für die Lesenden zusätzlich attraktiv. Also: Schluss mit der Langeweile! Um der Aufregung noch eins draufzusetzen: Suchen Sie doch die Seiten über Falschspiel und Glücksspiele, die sich im Buch ein wenig verstecken  – womöglich aus moralischen Gründen? Nun gut, ich scherze! Tatsächlich wurde das Buch an einer Stelle nicht richtig gebunden. Kein Wunder bei über 700 Seiten!

 

Wenn Sie im Menü die angegebene Druckseite des Inhaltsverzeichnisses ansteuern, finden Sie das gewünschte Spiel sofort. Greifen Sie zum Tablet und holen Sie sich Rulemanns Spielbuch ins Haus! Ich wünsche gute Unterhaltung.

Und sollten Sie Lust bekommen haben, hier meine bisherigen Beiträge über historische Bücher zu preußischem Obst, Frauen in den 1920er Jahren, Motorradpflege oder über studentisches Kochen zu lesen, dann würde ich mich sehr freuen!

Literatur

Rulemann, Theodor: Das große illustrierte Spielbuch. Verlagsdruckerei „Merkur“ Berlin SO. 16, 1909. Signatur B XXI, 151 – im Hauptbestand und in der Kinder- und Jugendbuchabteilung!

Schlipköter, Georg: Was sollen wir spielen? Agentur des Rauhen Hauses. 2. Auflage. Hamburg 1910. Signatur B XXI, 237<2>

Das Herkunftswörterbuch. Dudenverlag, 4. Auflage, Mannheim, Zürich 2010

Fußnoten

(1) Herkunftswörterbuch, S. 788
(2) Rulemann, S. 399
(3) Schlipköter, S. 4. Viele weitere Spielbücher finden Sie in der Digitalisierten Sammlung und in der Kinder- und Jugendbuch-Abteilung der Staatsbibliothek.

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