Die Entwicklung des IIIF-Viewers Mirador 3

Ein Interview zwischen Leander Seige (UBL) und Carolin Hahn (SBB).

Insbesondere für die Handschriftenforschung ist die Verfügbarkeit hochaufgelöster Digitalisate unverzichtbar. Auch feinste Diakritika, Randnotizen und Wasserzeichen sind von Relevanz. Aus dem Antrieb heraus, der Forschung optimale Werkzeuge für die Arbeit mit Digitalisaten bereitzustellen, wurde vor fast zehn Jahren das ‘International Image Interoperability Framework’ – kurz IIIF – entwickelt. Der Standard ermöglicht es, umfangreiche Bild- und Metadaten über Schnittstellen in eine Bildschirmanzeige zu importieren und sie damit einrichtungsübergreifend nutzbar und darstellbar zu machen.

Voraussetzung ist die Bereitstellung eines sogenannten IIIF-Manifests je Digitalisat. Dies ist ein Datensatz, der die Informationen zu den eigentlichen Images, die Bildreihenfolge und Strukturdaten zu einem Objekt enthält. Diese Daten können über einen entsprechenden Viewer angezeigt werden, der äußerst nutzungsfreundlich und intuitiv alle Funktionen eines Bildviewers erfüllt. Die Besonderheit von IIIF kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn solche Manifeste von anderen Einrichtungen einbezogen werden, was durch die Anwendung der Linked-Data-Prinzipien ermöglicht wird. Dann können Images aus unterschiedlichen Kontexten nicht nur in den Umgebungen Dritter dargestellt, sondern beispielsweise auch annotiert werden.

Das Handschriftenportal-Projekt wird diese technischen Möglichkeiten nicht nur nutzen, sondern beabsichtigt auch, die entsprechenden Open-Source-Anwendungen für bestimmte Anwendungsfälle weiterzuentwickeln – so auch den IIIF-Viewer Mirador 3. Durch die Neugestaltung des Portals können deshalb Komponenten bestmöglich aufeinander abgestimmt und Wünsche aus der Fachcommunity berücksichtigt werden.

Leander Seige ist Experte im Bereich IIIF und Teilprojektleiter der entsprechenden an der Universitätsbibliothek Leipzig angesiedelten Arbeitspakete. Gemeinsam mit seinem Team und Projektpartnern wie der Universität Stanford entwickelt er den leistungsfähigen IIIF-Viewer Mirador für das Handschriftenportal weiter.

Steckbrief

Name:
Leander Seige (UBL)

Rolle im Projekt:
Teilprojektleiter Arbeitspakete der UBL

Institutionelle Anbindung:
Bereichsleiter Digitale Dienste der UBL

1. Die SUB Göttingen nutzt es, das Münchener Digitalisierungszentrum nutzt es und die Deutsche Digital Bibliothek nutzt es auch: das International Image Interoperability Framework – kurz IIIF. Welche großen Vorteile bietet diese Technologie?

Sie erfüllt zwei wesentliche Anforderungen an die Bereitstellung digitalisierter Kulturobjekte in äußerst eleganter Weise: zum einen ermöglicht IIIF es, die Digitalisate sehr komfortabel darzustellen. Dies entsteht aus dem Zusammenspiel der IIIF Image API und modernen Javascript-Anwendungen wie Mirador bzw. OpenSeadragon. Zum anderen stellt IIIF die Interoperabilität der Daten sicher. Die Presentation API macht nicht nur die Strukturdaten der Objekte in Form sogenannter Manifeste zugänglich, sondern ermöglicht es auch, die Digitalisate bei Bedarf mühelos in dritte Arbeitsumgebungen einzubinden. Für mich löst die Technologie damit das Versprechen der Interoperabilität von Linked Data besonders eindrücklich, effektiv und anwenderfreundlich ein.

2. Welche Rolle nehmen Sie im Projektzusammenhang ein? Wofür sind Sie verantwortlich?

Ich leite das Leipziger Teilprojekt zum Aufbau der Weboberfläche des Handschriftenportals. Damit ist auch die Umsetzung der wesentlichen IIIF-Komponenten des Portals in Leipzig angesiedelt. Insgesamt zielen wir darauf ab, eine Oberfläche zu entwickeln, die den heutigen Nutzererwartungen entspricht. Dazu gehört aus unserer Sicht eine komfortable und responsive Single Page Application (SPA), die eine intuitive Arbeitsweise ermöglicht.

Für Einrichtungen, die keine IIIF-Schnittstelle anbieten können oder wollen, wird die Universitätsbibliothek Leipzig einen Hosting-Service anbieten. Hierfür müssen wir die technischen, organisatorischen und vertraglichen Grundlagen schaffen. Wir möchten damit nicht nur das Handschriftenportal unterstützen, sondern auch dabei helfen, digitalisierte Kulturobjekte besser zugänglich zu machen. Dabei ist es uns ein Anliegen, die Nutzung offener Lizenzen für digitalisierte Kulturobjekte zu empfehlen. Die Universitätsbibliothek Leipzig hat sich vor einigen Jahren selbst eine Open Digitization Policy gegeben, um den Zugang zu digitalisiertem Kulturgut möglichst offen zu gestalten. Ähnlich verfahren übrigens auch die anderen drei Projektpartner, indem sie ihre Digitalisate mit der Public Domain Mark kennzeichnen oder eine Creative Commons Lizenz vergeben.

3. Das Handschriftenportal wird den IIIF-Viewer Mirador 3 einsetzen, der zurzeit von der Universitätsbibliothek Leipzig in Zusammenarbeit mit den Universitäten Stanford, Princeton, Harvard und anderen entwickelt wird (s. Blogartikel der Universität Stanford). Grundsätzliche Funktionalitäten wurden bereits in einem dreimonatigen Coding-Marathon zügig vorangebracht, aktuell finden weitere Feinjustierungen statt. Welche neuen Features wird Mirador 3 nach Abschluss der Entwicklungsarbeiten bieten?

Viele Jahre lang wurde Mirador 2 von zahlreichen Einrichtungen weltweit eingesetzt und erweitert. Dabei ist ein immenser Funktionsumfang entstanden, doch auch die Codebasis wurde zunehmend unübersichtlich. Mirador 3 wurde deshalb ganz neu entwickelt und basiert nun auf den Javascript Frameworks React und Redux. Ziel war es, die Codebasis wieder übersichtlich zu gestalten und erweiterbar zu halten. Mirador 3 enthält bereits eine große Anzahl an Features, erreicht den gesamten Umfang von Mirador 2 jedoch noch nicht vollständig. Dies soll in den kommenden Monaten weiter umgesetzt werden.

Hinzu kam, dass während der Entwicklung von Mirador 3 auch die neuen IIIF-Standards 3.x veröffentlicht wurden. Dass in beiden Fällen die Versionsnummer 3 vorkommt, ist ein Zufall. Tatsächlich wird Mirador 3 die IIIF-API-Versionen 2.x und 3.x unterstützen müssen. Auch hierzu ist bereits viel passiert und der Umfang von Mirador 2 ist an dieser Stelle bereits deutlich überschritten worden.

Was sprach gegen den Einsatz des DFG-Viewers?

Gegen den Einsatz des DFG-Viewers spricht nichts, die Softwarebasis passt jedoch nicht genau zu den Absichten des Handschriftenportals. Seitens der Universitätsbibliothek Leipzig haben wir in den vergangenen Monaten intensiv daran mitgewirkt, dass Kitodo.Presentation, die Software hinter dem DFG-Viewer, IIIF-kompatibel wird. Insofern passen DFG-Viewer und Handschriftenportal mit ihren verschiedenen Aufgaben wunderbar zueinander.

Auch die sehr moderne Virtuelle Handschriftenbibliothek e-codices nutzt Mirador. Werden Design und Handling ähnlich sein oder sich in weiten Teilen unterscheiden?

Das Portal e-codices ist uns seit den ersten Vorbereitungen zum Projekt ein wichtiges Beispiel und Vorbild. Äußerlich werden wir uns, davon gehe ich derzeit aus, zwar deutlich unterscheiden, die Idee der Interoperabilität und der Einsatz von IIIF verbinden jedoch unsere Projekte.

4. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den Teams und wie wurden und werden transatlantische Meetings organisiert?

Während der intensiven Entwicklungsphase hatten wir drei Monate lang tatsächlich werktägliche Meetings mit den Entwicklern in Stanford. Diese fanden stets um 17 Uhr statt, um die Zeitverschiebung zu Kalifornien auszugleichen. Ich bin immer noch begeistert davon, dass es uns gelungen ist, einen solchen Austausch zu organisieren. Die erste intensive Phase konnte natürlich nur für einen begrenzten Zeitraum durchgehalten werden. Inzwischen ist wieder ein üblicherer Austausch eingetreten, da die starke Konzentration auf die Basis der neuen Anwendung nur in der Anfangsphase sinnvoll und nötig war. Mirador 3 ist natürlich eine quelloffene Software, an deren Entwicklung auf GitHub sich jedermann beteiligen kann.

5. Ein Blick in die nahe Zukunft: Stehen morgen konkrete Aufgaben im Projektkontext an? Welche sind das?

Aktuell beschäftigen wir uns mit der Einbindung von Textmaterial in den IIIF-Kontext – insbesondere von Handschriftenbeschreibungen. Das ist keine leichte Aufgabe, jedoch für die Forschung an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handschriften von großer Bedeutung und innerhalb von IIIF eine zentrale Innovation. Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, die Texte so einzubinden, dass die Qualitäten der Interoperabilität für Inhalte und Annotationen auch in diesen Anwendungsfällen zum Tragen kommen. Hier betreten wir streckenweise echtes Neuland, was mich besonders reizt, aber eben auch mit viel Rücksicht auf eine generische Nutzbarkeit verbunden werden sollte. Ob uns das gelingt, oder ob wir pragmatischer vorgehen müssen, wird die nächste Zeit zeigen. So oder so hoffen wir, mit dem Handschriftenportal eine nützliche Anwendung für die Forschenden anbieten zu können.

 

6. Was waren die bisher größten Herausforderungen?

Die größten Herausforderungen lagen zweifellos in der Komplexität der zugrundeliegenden Materie, den Daten und den Anforderungen. Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache, dass bei Projekten dieser Art manche Aufgaben im Bereich der Datenverarbeitung und Softwarearchitektur vor dem Arbeitsbeginn noch nicht in ihrer vollen Auswirkung deutlich sein können. Auch im Handschriftenportal gab es solche Aufgaben zu lösen und zu entscheiden. Mit Blick auf die Zukunfts- und Ausbaufähigkeit des Portals sind zudem stets externe Faktoren mit einzukalkulieren. Die Neuentwicklung von Mirador 3 und die neuen Versionen der IIIF APIs beispielsweise waren zum Zeitpunkt der Projektbeantragung bei der DFG noch nicht oder nur andeutungsweise bekannt.

7. Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten sechs Monate gesetzt?

Ich freue mich sehr auf die Fertigstellung der ersten Alpha-Version des Handschriftenportals, die in den kommenden Monaten erfolgen soll. Ich bin immer wieder begeistert, die neuen Funktionen auf den aktuellen Entwicklungssystemen zu sehen. Trotzdem erkenne ich, dass wir noch eine gehörige Portion Arbeit zu bewältigen haben, doch ich bin guter Dinge, dass wir unsere selbst gesteckten Ziele erreichen.

8. In einem Satz: Welches Problem wird das Handschriftenportal für die wissenschaftliche, bibliothekarische und archivarische Fachgemeinschaft lösen?

Ich hoffe, dass das Handschriftenportal das Versprechen einer intuitiven, performanten und einrichtungsübergreifenden Arbeitsumgebung für die Forschenden einzulösen vermag.

0 Kommentare

Ihr Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.