Die Zielgruppen des Handschriftenportals.
Teil 2: Bibliothekar:innen, Archivar:innen und Betreiber:innen verwandter Nachweissysteme

Ein Interview zwischen Dr. Carolin Schreiber (BSB) und Carolin Hahn (SBB).

Nicht nur für die handschriftenbezogene Forschung und wissenschaftliche Tiefenerschließung, sondern auch für die Handschriften besitzenden Institutionen wird das Handschriftenportal ein Meilenstein sein. Ziel ist, Bibliotheken und Archiven ein leistungsfähiges Find- und Arbeitsinstrument zur Verfügung zu stellen, das die künstliche Grenzziehung zwischen Wissenschaft, Bibliothek und Archiv überwindet. So können Institutionen beispielsweise die hinterlegten Daten für Digitalisierungsworkflows nachnutzen, auch ein Datenaustausch in verwandte nationale und internationale Nachweissysteme wird über Schnittstellen möglich sein.

Wie genau Handschriftenbibliotheken und Archive das Angebot des Handschriftenportals nutzen können, erläutert Dr. Carolin Schreiber.

Steckbrief


Name:
Dr. Carolin Schreiber (BSB)


Rolle im Projekt:
Koordinatorin der an der BSB angesiedelten Arbeitsaufgaben

Institutionelle Anbindung:
Leiterin des Handschriftzentrums der BSB

1. Eine wesentliche Zielgruppe des Handschriftenportals sind Mitarbeiter:innen in Kulturinstitutionen, die eigene Handschriftenbestände besitzen und verwalten. Inwiefern kann das Handschriftenportal Arbeitszusammenhänge in Bibliothek und Archiv erleichtern? Welche Nutzungsszenarien sehen Sie?

Derzeit werden Informationen zu Handschriftenbeständen in einer Vielzahl von Nachweissystemen und Formaten geführt, die nicht notwendigerweise zusammenfinden. Denken Sie an gedruckte Kataloge, Nachweise in elektronischen Bibliotheks- und Verbundkatalogen, Onlinepräsentationen der einzelnen Einrichtungen, Forschungsdokumentationen und nicht zuletzt das Vorgängersystem des Handschriftenportals, Manuscripta Mediaevalia, in das seit den frühen 2000ern alle DFG-finanzierten Beschreibungsinformationen zu überführen waren.

Im Rahmen des Projekts Handschriftenportal wurde das Konzept des Kulturobjekts (d. h. der unikal überlieferten Handschrift) entwickelt, das erstmals an zentraler Stelle nachgewiesen und über einen eineindeutigen nationalen, in der GND verankerten und perspektivisch auch über einen international gültigen Identifier adressierbar wird. Mit diesem Identifier und dem korrespondierenden Kulturobjektdokument (KOD) als aktueller Erstinformation zu jedem Objekt gibt es erstmals einen zentralen ‚Anker‘, um diese heterogenen Informationen aus unterschiedlichsten Systemen im Digitalen zusammenzuführen und zu bündeln.

Schema der Datenstruktur | CC0 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Carolin Hahn

2. Welche Rolle nehmen Sie im Projektzusammenhang ein? Wofür sind Sie verantwortlich?

Als Leiterin des Handschriftenzentrums der größten Handschriftenbibliothek Deutschlands bin ich überaus interessierte ‚Stakeholderin‘, aber auch über die Koordinierung der Münchener Datenredaktion des Handschriftenportals sowie über die konzeptionelle Arbeit im Kreis der vier beteiligten Handschriftenzentren direkt in die Projektarbeit eingebunden. Des Weiteren ist die BSB zusammen mit der Staatsbibliothek zu Berlin institutionelle Trägereinrichtung von Manuscripta Mediaevalia, das nun in eine aktuelle technische Umgebung migriert und in seinem Informationsumfang erheblich erweitert wird.

3. Wie können handschriftenbesitzende Institutionen Ihre Bestandsinformationen über das Handschriftenportal recherchierbar machen?

In der ersten Projektphase werden zum einen die bisher in DFG-Projekten publizierten gedruckten Handschriftenkataloge deutscher Bibliotheken – insgesamt über 230 Bände – vollständig in den elektronischen Volltext überführt und mit qualifizierten Sucheinstiegen versehen. Dies wird einen erheblichen Mehrwert für die Recherchierbarkeit und somit Sichtbarkeit dieser Informationen bieten. Geplant ist, in der zweiten Projektphase auch bisher nicht berücksichtigte gedruckte Handschriftenbeschreibungen, die in anderen Kontexten entstanden sind, auf dem gleichen Weg zu integrieren.

Zum anderen werden bis 2021 Schnittstellen für die in bestandshaltenden Institutionen gebräuchlichsten Austauschformate implementiert, nämlich in den XML-Standards TEI/P5 sowie MARCXML. Somit können wissenschaftliche Beschreibungen in diesen Formaten, aber auch Metadatensets aus Bibliotheks- bzw. Verbundkatalogen importiert werden. Das Informationsangebot wird infolgedessen stetig erweitert. Die bibliothekarischen Datensets enthalten in der Regel Links auf bestehende Digitalisate von Handschriften, die ebenfalls direkt eingebunden werden können.

Einen Sonderfall stellen diejenigen Einrichtungen dar, die ihre Bestände aktuell in DFG-Projekten erschließen; hier sind vor allem die sechs Handschriftenzentren und große Altbestandsbibliotheken zu nennen. Für das Handschriftenportal entwickeln wir für diesen Nutzerkreis derzeit ein integriertes Erfassungstool für die Tiefenerschließung nach DFG-Richtlinien (s. News vom 21.01.2020), das ergonomisch und intuitiv zu bedienen sein soll und nicht nur die Erfassung von Freitext, sondern auch von normierten Sucheinstiegen ermöglicht und Linked-Open-Data-Szenarien unterstützt. Dazu stimmen wir uns bereits in der Entwicklungsphase mit Erfasser:innen ab und eruieren Anforderungen und erwünschte Funktionalitäten. Letztlich möchten wir die übliche Parallelpublikation von Handschriftenbeschreibungen im Druck und online möglichst nah zusammenführen und so die Aufwände reduzieren, etwa indem die Register der gedruckten Bände weitgehend aus den Sucheinstiegen der Online-Version generiert werden. Zudem sollen die neuen Möglichkeiten der digitalen Publikation voll ausgeschöpft werden, indem Handschriftenbeschreibungen möglichst einfach illustriert werden können, z. B. durch (Detail-)Aufnahmen des Originals.

4. Bietet die Einspeisung von Handschriftenmetadaten neben der höheren Sichtbarkeit weitere Vorteile für bestandshaltende Einrichtungen?

Im Handschriftenportal werden sie im Kontext von ca. 120.000 Datensets zu mittelalterlichen Handschriften Bestandteil eines höchst wissenschaftsrelevanten Datenpools, der bestandsübergreifende Recherchen möglich und sinnvoll macht. Die Auffindbarkeit der Informationen zu den Beständen wird somit einerseits für Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit deutlich erleichtert. Andererseits wird auch der Transfer von Informationen aus dem Handschriftenportal zurück in die bestandshaltenden Institutionen möglich, etwa um eigene Internetpräsenzen mit Beschreibungsdaten zu versehen oder diese zur Erstellung von Strukturdaten nachzunutzen.

Auch für den Export der Metadatensets in weitere nationale und internationale Nachweissysteme wie z. B. Europeana oder die Deutsche Digitale Bibliothek oder perspektivisch Fachdatenbanken wie das Wasserzeichen-Informationssystem und die Einbanddatenbank können die zu implementierenden Schnittstellen künftig genutzt werden.

5. Wie hoch ist der Arbeitsaufwand für die Einrichtungen, Bild- und Textmetadaten zur Verfügung zu stellen? Müssen die eigenen Bestände doppelt gepflegt werden – im institutionsspezifischen Nachweissystem und im Handschriftenportal?

Wir empfehlen vielmehr, nur ein Nachweissystem je Informationsangebot als ‚führendes‘ aktuell zu halten. Im Fall der BSB werden z. B. im Verbundkatalog B3Kat die Informationen zu Signaturen, Neuerwerbungen, Umstellungen, Digitalisaten und dergleichen aktuell gehalten. Die in Manuscripta Mediaevalia bzw. dem Handschriftenportal primär eingegebenen Beschreibungen aus der wissenschaftlichen Tiefenerschließung hingegen sind am sinnvollsten dort zu pflegen. Alle weiteren Nachnutzungsszenarien sind über Verlinkung und Datentausch zu lösen. Voraussetzung für den funktionierenden Datentausch ist natürlich immer das Mapping der entsprechenden Informationseinheiten in den Metadatensets der Ausgangs- und Zielformate – je einheitlicher deren Befüllung über die Institutionen hinweg gelingt, desto geringer ist der anfallende Arbeitsaufwand. Mit der zentralen Frage der einheitlichen Metadatenstandards im Handschriftenbereich beschäftigt sich derzeit übrigens eine Arbeitsgruppe für das bibliothekarische Regelwerk RDA und Handschriften, mit der die Projektgruppe des Handschriftenportals eng zusammenarbeitet. Für bildbezogene Metadaten bietet der internationale Standard IIIF eine gute Lösung, um Digitalisate und deren Metadaten institutionsübergreifend einzubinden.

6. Was waren nach einem Jahr der Entwicklungsarbeit die bisher größten Herausforderungen?

Im Bereich der Datenredaktion und -bearbeitung mussten wir neue Projektmitarbeiter:innen schulen, die mit der Handschriftenerschließung und konkret mit den historisch gewachsenen Datenbeständen in Manuscripta Mediaevalia bisher wenig Erfahrung hatten. Dies machte uns den Wert sorgfältiger Projektdokumentation sehr bewusst und die Komplexität unseres Arbeitsfeldes noch einmal deutlich.

7. Ein Blick in die nahe Zukunft: Stehen morgen konkrete Aufgaben im Projektkontext an? Welche sind das?

Wir sind gerade mit der Auswertung der ersten Umfrage beschäftigt, die jedes Handschriftenzentrum für seinen Zuständigkeitsbereich durchgeführt hat. Es geht um die Kontaktaufnahme mit den bestandshaltenden Institutionen und um die Ermittlung korrekter Signaturansetzungen. Ziel ist, Normdatensets zu Handschriften für die GND generieren zu können – dafür benötigen wir jedoch von den Einzelinstitutionen möglichst aktuelle Daten. Schon der Erstkontakt rief großes Interesse für unser Projekt hervor und beförderte sogar die Wiederentdeckung kurioser und vergessener Handschriftenbestände!

8. Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten sechs Monate gesetzt?

Im Kreis der Projektpartner sind wir aktuell mit der Finalisierung des Datenmodells für das Handschriftenportal befasst. Ich hoffe auf weiterhin konzentrierte Diskussionen und schließlich auf valide und nachhaltige Ergebnisse, die wohl die Zukunft der Handschriftenerschließung im digitalen Zeitalter mitgestalten werden.

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