Im SPK-Magazin zur Einheit: „Schaut mal, ein Transporter!“

Das neue SPK-Magazin erscheint anlässlich des 25. Jubiläums der Wiedervereinigung der Sammlungen des preußischen Kulturbesitzes. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die historischen Ereignisse miterlebt haben, erzählen darin ihre Geschichte. Daniela Lülfing berichtet über das nicht immer einfache Zusammenwachsen zweier Bibliotheken zur Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Das SPK-Magazin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz


 

Daniela Lülfing

Geboren 1950 in Magdeburg
Von 1973–2015 an der Staatsbibliothek zu Berlin.

Bis 1998 im Haus Unter den Linden (Ost-Berlin). Zuletzt Baubeauftragte und Leiterin der Benutzungsabteilung.

Ich war seit 1973 in der Deutschen Staatsbibliothek beschäftigt und habe dort 17 Jahre in der Handschriftenabteilung gearbeitet – bis ich ein halbes Jahr nach Öffnung der Mauer in die Generaldirektion gewechselt bin. Man suchte Leute für die Umstrukturierung und da ich nicht parteilich gebunden war und wohl auch sonst als unbelastet galt, hat jemand gesagt: Fragen Sie doch Frau Lülfing.

Wie alle war auch ich ungeheuer euphorisch in dieser Zeit. Niemand von uns hatte ernsthaft für die eigene Lebenszeit in Betracht gezogen, dass es zu einer namhaften Veränderung in der DDR kommen würde. Wir waren begeistert über die Möglichkeiten, die sich in Windeseile auftaten. Als wir über einen ersten eigenen Haushalt verfügten, haben wir uns einen Transporter angeschafft. Da sind wir alle auf den Hof gelaufen und haben uns das Auto angesehen. Das war schon etwas Besonderes. Und alles ging sehr schnell. Am 3. Oktober 1990 kam schon die Vereinigung und dazwischen haben wir eigentlich nur gestrampelt. Denn natürlich ging sofort die Diskussion los: Zwei vollständige funktionierende Universalbibliotheken, die das Gleiche machen, also Erwerbung, Erschließen, die Sonderabteilungen – wie bekommt man das zusammen? Es zeichnete sich schnell ab, dass die Aufgaben zwischen den Häusern verteilt werden mussten und dabei ist die Stiftung sehr fair mit beiden Seiten umgegangen. Bei der Zusammenlegung der Sonderabteilungen wurde immer der dienstältere Abteilungsleiter zum neuen Leiter der Abteilung bestimmt. Das waren mitunter auch Mitarbeiter aus der Deutschen Staatsbibliothek – was nicht gerade zu großer Begeisterung des nun als Stellvertreters arbeitenden Kollegen aus dem Westen geführt hat. In einigen Fällen gab es sogar Gerichtsprozesse.

Meine Aufgabe bestand darin, die 453 Mitarbeiter der Staatsbibliothek Unter den Linden nach BAT einzugruppieren. Wir haben dafür als Erstes einen Stellenplan entwickelt und ich bin Herrn Baron noch heute dankbar, dass er uns in einem Crashkurs die Prinzipien eines bundesdeutschen Stellenplanes vermittelt hat. Nach diesem Stellenplan und den Aufgaben, die jeder einzelne wahrnahm, haben wir versucht, Tätigkeitsdarstellungen zu bauen. Das war eine aufwendige Aufgabe und teilweise schwierig, denn die Abschlüsse einiger Mitarbeiter wurden nach bundesdeutschem Recht nicht anerkannt. Ein anderes Problem ergab sich daraus, dass nach dem sogenannten Stellenkegel des Westens nicht genügend Stellen im höheren Dienst zur Verfügung standen. Ich musste den Mitarbeitern dann klarmachen: Tut uns leid, aber die Aufgabe, die Sie wahrnehmen, passt nicht mehr zum höheren Dienst, Sie kommen nur in den gehobenen Dienst. Das war für viele eine bittere Pille. Viele waren wütend oder sogar in Tränen aufgelöst. Aber alle wussten, dass es keinen Zweck hat, die Bibliothek zu verlassen. Wir sind ja fast eins zu eins übernommen worden – im Gegensatz zum Beispiel zur Humboldt-Universität oder der Berlin-Brandenburgischen Akademie, wo sehr viele Mitarbeiter entlassen wurden.

Nach und nach wurde mir klar, dass die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Staaten doch größer waren, als ich es hatte wahrhaben wollen. Und es wurde mir auch bewusst, welchen Anspruch viele West-Berliner Kollegen vor sich hertrugen. Sie glaubten eigentlich per se, dass – falls eine Entscheidung zu treffen war – diese nur zugunsten der West-Berliner ausfallen konnte. Nachdem sie merkten, dass das nicht immer der Fall war, war bei einigen die Empörung groß.

Das Konzept sah vor, dass das Haus Unter den Linden für die alte Literatur und das jüngere Haus an der Potsdamer Straße für die neuere Literatur zuständig sein sollte. Dafür mussten Mitarbeiter auch versetzt werden. Es hat mir damals sehr zu denken gegeben, dass gerade die friedlichen und bescheidenen Mitarbeiter an die Potsdamer Straße umziehen mussten. Ich erinnere mich, dass eine Mitarbeiterin aus der Mongolei in meinem Büro bitterlich geweint hat. Sie wurde dann am anderen Haus tatsächlich nicht immer kollegial behandelt, nach dem Motto: Jetzt lerne erst mal zu arbeiten.

Auch gegen mich gab es Anwürfe. Mehrmals musste ich nachweisen, dass ich wirklich politisch unbelastet sei. Noch Mitte der Neunziger Jahre habe ich ein weiteres Mal meinen Lebenslauf aufschreiben müssen.

Aber das ist für mich abgeschlossen. Für mich steht im Vordergrund, dass sich innerhalb der letzten 25 Jahre für mich Möglichkeiten ergaben, von denen ich vorher nicht mal geträumt hätte. — AS

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