Ausstellung „In guten Händen. Bestandspflege an der Staatsbibliothek zu Berlin“
Besitz verpflichtet – und die Staatsbibliothek zu Berlin besitzt viel. Sie hat umfangreiche wertvolle Sammlungen und Einzelobjekte, die nicht nur benutzt, sondern zugleich für viele nachfolgende Generationen gepflegt und so gut wie möglich im Original erhalten werden sollen. Dass Bestandspflege sowohl von der Menge als auch von der jeweiligen Problemstellung her keine einfache, indes enorm wichtige Aufgabe der Bibliothek ist, davon können sich ab morgen bis zum 13. September die Besucher der Ausstellung „In guten Händen“ im Haus Potsdamer Straße 33 ihr eigenes Bild machen.
Mit einer Kombination aus Text- und Bildtafeln, ausgestellten Werkzeugen und technischen Vorrichtungen der Buchbinderei, zahlreichen herausragenden und ungewöhnlichen Objekten aus den Sonderabteilungen der Staatsbibliothek zu Berlin, zwei Videofilmen, einer multimedialen Präsentation und Führungen durch die Ausstellung wird das weite Spektrum der Bestandspflege exemplarisch vorgeführt. Über Restaurierung, Verfilmung und Digitalisierung, buchbinderische Arbeiten und Verfahren zur Massenentsäuerung wird allgemein informiert. Im Details werden spezielle Projekte vorgestellt, darunter die Bearbeitung der Turfan-Fragmente aus dem 2. bis 13. Jahrhundert und die vom Tintenfraß geretteten Bach-Autographe. Die Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V. erläutern verschiedene Möglichkeiten des privaten Engagements für die Bestände der Bibliothek – sei es durch Buchpatenschaften oder Spenden.
So verschieden die Schadensbilder bei Büchern, Handschriften, Atlanten, Noten und anderen Materialien sein können, so verschieden sind auch die Methoden, Schäden vorzubeugen oder sie zu beseitigen. So wurden beispielsweise
- ein von seinen Vorbesitzern mit Schellack überzogener Kupferstich aus dem Jahr 1597 wieder gereinigt und mit hauchdünnem Japanpapier stabilisiert;
- eine medizinische Sammelhandschrift aus Italien aus dem Jahr 1465, hergestellt auf Papier mit Holzdeckeleinband in Velourleder und mit einer Jesus-Bronzeplastik versehen, neu geheftet, der fehlende Buchrücken mit passend gefärbtem Leder unterlegt, und die gelöste Bronzefigur wieder stabil angebracht;
- ein Psalter aus dem 13. und 15. Jahrhundert, handgeschrieben auf Pergament und Papier, komplett auseinandergenommen, die Fehlstellen im Papier ergänzt und einzelne Seiten mit handgefertigtem Vlies stabilisiert;
- Spielkarten aus Elfenbein, gefertigt im 18. Jahrhundert in Kashmir, nach deren Oberflächenreinigung mit enzymhaltigen Lösungen zu ihrem Schutz in passgerechte Kassetten gelegt.
Ein Teil der Ausstellung widmet sich dem Ablauf eines buchbinderischen Prozesses und zeigt verschiedene Fertigungsstufen vom fachgerechten Lösen der Originalfragmente bis hin zum Rekonstruieren oder Neubinden, wobei möglichst originale Fragmente verwendet werden. Interessant sind die verschiedenen Techniken von Buchrücken, beispielhaft vorgeführt wird die Sprungrückentechnik.
Mit den beiden Videofilmen wird auf zwei herausragende Restaurierungsprojekte der Staatsbibliothek eingegangen, die schon seit längerem national und internationale Furore machen: Die Wiederherstellung der größten Pergamenthandschrift einer hebräischen Bibel aus dem Jahr 1343, „Erfurt 1“, und die Rettung der rund 3.000 vom Tintenfraß geschädigten Notenautographe des Komponisten Johann Sebastian Bach mittels Papierspaltverfahren. Beide Restaurierungsprozesse werden ausführlich Schritt für Schritt vorgestellt und dokumentieren die Sorgfalt und die Umsicht der Restauratoren bei der Bearbeitung besonderer Güter der Weltkultur.
In dreifacher Form ist die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven ausgestellt: Als Faksimile des in der Staatsbibliothek aufbewahrten Originals, als komplettes Digitalisat zum virtuellen Blättern am PC und schließlich als Sicherheitverfilmung auf Mikrofiche. Das Nebeneinander der verschiedenen Formen eines Werkes verweist auf die Möglichkeiten, die Bibliotheken derzeit haben, um ein Original zu schonen und dennoch die in ihm enthaltenen Daten weltweit für die Benutzung bereit zu stellen.
„In guten Händen“ ist nicht nur eine informative Schau für künstlerisch, handwerklich und technisch interessierte Besucher. Sie ist wegen der Formen und Farben der präsentierten Objekte auch ein Fest fürs Auge: Insgesamt sind in der Ausstellung 50 sehr selten gezeigte Exponate aus den Sonderabteilungen für Orientalia, Kinder- und Jugendbücher, Handschriften, Historische Drucke, Musik und Karten zu sehen.
Möglichst viele Materialien im Original zu erhalten ist das Credo der Staatsbibliothek zu Berlin. Dies ist angesichts eines Bestandes von knapp 10 Millionen Büchern (davon 1 Million Bücher aus der Zeit vor 1900), 130 Tausend besonders wertvollen Drucken (Rara), 4.400 Frühdrucken aus der Zeit 1452 bis 1500, 18.300 abendländischen Handschriften, 40.000 orientalischen Handschriften und 40.000 Turfan-Fragmenten, 250.000 Autographen, 66.350 Musik-Autographen, 1.400 Nachlässen und Archiven, 450.000 Notendrucken, 960.000 Karten und Atlanten, 180.000 historischen Zeitungsbänden eine gewaltige Aufgabe.
Bestandspflege an der Staatsbibliothek zu Berlin hat mehrere Säulen: Neueste Forschungsergebnisse werden angewendet, Erfahrungen und Wissen über Generationen hinweg weitergegeben, Materialien mit Geschick und Umsicht ausgewählt und verwendet, Arbeitsabläufe in Kooperation mit externen Dienstleistern organisiert.
Bestandspflege ist teuer, und so gibt es verschiedene Finanzierungsquellen: Zum einen bestehen Projekte, die sich ausschließlich durch Spenden finanzieren, z.B. die Bach-Restaurierung, für die von 1999 bis 2003 private Spender, Stiftungen und Firmen 1,5 Mio Euro aufbrachten.
Zum anderen wird die Bestandserhaltung als fortlaufende öffentliche Aufgabe an der Staatsbibliothek regulär pro Jahr mit ca. 1,4 Millionen Euro finanziert, wobei knapp 400.000 Euro aus den Gebühren für die Benutzung gewonnen werden. Die Benutzungsgebühren der Staatsbibliothek zu Berlin wurden Ende 1998 eingeführt und seither für die Bestandserhaltung eingesetzt.
„In guten Händen. Bestandspflege an der Staatsbibliothek zu Berlin“
31. Juli bis 13. September 2003
Haus Potsdamer Straße 33, 10785 Berlin
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