„Lise Meitner — Frau des Jahres 1946 Eine biographische Ausstellung zum 125. Geburtstag“

„Lise Meitner – Frau des Jahres 1946

Eine biographische Ausstellung zum 125. Geburtstag“

Die österreichische Physikerin Lise Meitner (1878-1968) wird gelegentlich als eine von Männern unterdrückte Wissenschaftlerin dargestellt. Hat sie sich eigentlich selbst so gesehen, wünschte sie so gesehen zu werden? Kann man das aus ihrem umfangreichen Nachlass rekonstruieren? Sie hat keine Aufzeichnungen für eine Selbstbiographie hinterlassen und alle Fragen zu ihrem persönlichen Leben sehr strikt abgelehnt. Dennoch hob sie viele sehr persönliche Briefe auf.

Die Ausstellung rekonstruiert chronologisch ihren Lebensweg und ihre Empfindungen an Hand von Bildern und Briefen. An einigen Stellen sind Bilder zur Zeitgeschichte eingefügt.

Die Gliederung der Ausstellung folgt den Stationen des Lebens Lise Meitners:

Wien 1878-1907 : Frohe Jugend und Studium

Berlin 1907-1932 : Studium, Zusammenarbeit mit Otto Hahn, I. Weltkrieg, Vorträge, Reisen

Berlin 1932-1938 : Suche nach unbekannten chem. Elementen, schwierige Zeitumstände

Stockholm 1938-1945 : Flucht ins Exil,  Entdeckung der Kernspaltung, Vereinsamung

Stockholm 1946-1960 : Reise in die USA, Ehrungen, späte wissenschaftliche Arbeit

Cambridge ab 1960  : Lebensabend, Treffen mit alten Freunden

 

Gezeigt werden u.a. 25 Briefe Lise Meitners im Original und weitere Kopien besonders bedeutsamer Briefe; Kopien aus ihren Tagebüchern, u.a. über ein Gespräch mit dem ein Jahr jüngeren Albert Einstein; im Original Einsteins Gratulationsschreiben zu Lise Meitners 60. Geburtstag; zahlreiche Dokumente zur akademischen Laufbahn Lise Meitners, 21 Ehrenurkunden sowie die Silberschale zur Ehrung als ‚Frau des Jahres 1946’; ein Originalgerät zur Messung der Radioaktivität aus dem Jahr 1907 sowie der Nachbau einer Messapparatur aus der Zeit der Entdeckung der Kernspaltung; Tondokumente und Animationen.


Daten zur Ausstellung

„Lise Meitner – Frau des Jahres 1946
Eine biographische Ausstellung zum 125. Geburtstag“
Initiator und Kurator: Dr. h.c. Jost Lemmerich, Berlin
Träger der Ausstellung: Hahn-Meitner-Institut Berlin gemeinsam mit Humboldt Universität zu Berlin, Freie Universität Berlin, Max-Planck-Gesellschaft, München
7. November bis 13. Dezember 2003
Eintritt 2 Euro, ermäßigt 1 Euro; Sonnabend freier Eintritt
Montag bis Freitag 10 bis 20 Uhr, Sonnabend 10 bis 17 Uhr
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Potsdamer Straße 33, 10785 Berlin-Tiergarten
Katalog: 10 Euro


Stationen eines 90-jährigen Lebens

Wien 1878 bis 1907

Als Elise Meitner am 7. 11. 1878 geboren wurde war das Kaiserliche Wien eine europäische Metropole in der Menschen aus allen Teilen des Vielvölkerstaats Österreich lebten. Ihr Vater, ein Jurist, und ihre Mutter stammten aus emanzipierten jüdischen Familien. Lise, wie sie immer genannt wurde, wuchs mit zwei älteren und fünf jüngeren Geschwistern in einem kulturell interessierten Elternhaus auf. Bereits als junges Mädchen interessierte sie sich für physikalische Erscheinungen. Der übliche Schulabschluss ermöglichte keinen Zugang zu einem Universitätsstudium; wie ihre ältere Schwester, legte Lise extern das Abitur ab.

War das Studium der Physik schon etwas Außergewöhnliches für junge Männer, so war es das erst recht für Frauen. Lise studierte an der Wiener Universität Physik, zusammen mit noch einer anderen Studentin. Die Vorlesungen des Theoretischen Physikers Professor Ludwig Boltzmann beeindruckten sie besonders. Das Thema ihrer Doktorarbeit war die experimentelle Prüfung einer Formel des Schotten Clark Maxwell. Die sehr gute Arbeit wurde in den Berichten der Wiener Akademie veröffentlicht, eine erste Auszeichnung.

Lise Meitner blieb zunächst an der Universität und nach einer weiteren experimentellen Arbeit auf dem Gebiet der Physik wandte sie sich der in Wien aufblühenden Erforschung der Radioaktivität zu. Welche Vorstellung sie von ihrer Zukunft hatte ist unklar. Die meisten Physiker wurden damals Lehrer, ganz wenige fanden Arbeit in der Industrie, einigen glückte die akademische Laufbahn. Fräulein Meitner legte zwar die Prüfung für das Lehrfach ab, erteilte aber nur für kurze Zeit Unterricht. Als Boltzmann seinem Leben ein Ende setzte, wurde Max Planck für den Lehrstuhl vorgeschlagen. Er kam zu einem Vortrag nach Wien und Lise Meitner war unter den Zuhörern. Planck nahm den Ruf aber nicht an. Sie bat ihre Eltern um die Finanzierung eines Aufenthalts in Berlin, um bei Planck Vorlesungen zu hören.

Berlin

Die Vorlesungen Plancks füllten ihre Zeit nicht aus; so beschloss sie, noch experimentell zu arbeiten. Dafür boten sich ihr zwei Arbeitsmöglichkeiten, denn zur gleichen Zeit suchten ein Physiker und ein Chemiker, Otto Hahn, einen Mitarbeiter. Sie wählte Herrn Hahn und 52 Jahre später bekannte sie uneingeschränkt in einem Glückwunsch an ihn, dass es die richtige Wahl gewesen sei. Sehr schnell wurden die Arbeiten von Hahn und Meitner durch die interessanten Fragestellungen und die exakten Ergebnisse bekannt und geachtet. Ungeachtet der Erfolge lebte sie anfangs recht einsam. Doch bald erfolgten Einladungen zu Plancks und durch Hahn lernte sie die anderen jungen Physiker in Berlin kennen, wie James Franck und Gustav Hertz. Sie schloss Freundschaft mit der Biologin Elisabeth Schiemann. Gleichwohl kam es immer wieder zu Perioden mit Depressionen und Selbstanklagen. Abgesehen von einigen Referaten für Fachzeitschriften, hatte Lise Meitner kein festes Einkommen.

Zur 100-Jahrfeier der Friedrich-Wilhelm-Universität sollte Kaiser Wilhelm II. der Wissenschaft etwas besonderes schenken. Man sammelte Geld für einen eingetragenen Verein zur Förderung der Wissenschaften, der dann den Namen „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ erhielt. Es wurden in Dahlem 1912 zwei Institute eingerichtet. Im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie erhielt Otto Hahn eine Abteilung für Radiochemie; Lise Meitner war anfangs Gast, doch bald besoldete Mitarbeiterin. Gleichberechtigt konnten sie ihre erfolgreichen Arbeiten fortsetzen und die Suche nach einem unbekannten Element aufnehmen.

Im Ersten Weltkrieg war Hahn an der Front und Lise Meitner als Röntgenschwester in der österreichischen Armee tätig. Sie erlebte die Grausamkeit des Krieges aus nächster Nähe und vergaß darüber fast ihre geliebte Physik. Bei den gelegentlichen Urlauben in Berlin wurde von beiden weiter geforscht. Noch vor Kriegsende gaben sie die Entdeckung des Elements Nr. 91 bekannt und nannten es „Protactinium“.

Meitner begrüßte den nach 1918 einsetzenden Prozess der Demokratisierung in Deutschland, war jedoch unglücklich, dass Österreich und Deutschland sich voneinander entfremdeten.

Lise Meitner wurde der Titel „Professor“ verliehen und sie baute ihr eigenes physikalisches Forschungsgebiet mit begabten Mitarbeitern aus; Mitarbeiterinnen hatte sie selten. Otto Hahn wandte sich der Angewandten Radiochemie zu, doch blieb es bei einem intensiven Gedankenaustausch und persönlicher Freundschaft in die Hahns Frau einbezogen war.

Beide Forscher wurden für ihre Arbeiten durch die Aufnahme als „Korrespondierendes Mitglied“ der Göttinger Akademie und der Leopoldina Halle geehrt. Die Berliner Akademie verlieh ihnen die Silberne Leibniz-Medaille. Lise Meitner habilitierte sich und begann Vorlesungen an der Universität zu halten.

Viele Einladungen zu Vorträgen im In- und Ausland bewiesen ihre Kompetenz als Kernphysikerin. Sie war die erste Dame in der Physik. Doch alle äußeren Erfolge schlossen nicht aus, dass sie gelegentlich verzweifelt ihren Weg durch das Leben suchte. Erholung fand sie meistens in den Urlauben, mit langen einsamen Wanderungen in den heimatlichen Bergen.

Nachdem Enrico Fermi veröffentlichte, dass bei dem Beschuss von Uran mit Neutronen Transurane entstanden waren, gelang es Lise Meitner 1934, Hahn zu überreden, mit ihr das Phänomen näher zu untersuchen. Aus den geplanten Monaten gemeinsamer Forschung wurden Jahre. Auch Jahre die ihre Stellung in Frage stellten, denn als Hitler an die Macht kam, wurde ihr verboten, Vorlesungen zu halten und das Kolloquium zu besuchen.

Mit aller Intensität setzten sie dennoch ihre Forschung fort. Das Leben schien sonst ungestört, Konzert-, Opern- und Kinobesuche sorgten für Abwechselung, ebenso die Reisen zu Kongressen, wie zu dem Freund Niels Bohr. Der Verlust der Freunde, die in der Emigration versuchten, neue Arbeitsgebiete aufzubauen, wurde ihr manchmal bewusst, aber nicht mit dem eigenen Schicksal verbunden.

Inmitten aufregender Ergebnisse bei der Suche nach den Transuranen griff die Annektionspolitik Hitlers in ihr Leben ein. Durch den „Anschluss“ Österreichs 1938 an das Dritte Reich wurde sie zwangsweise Deutsche und fiel unter die Rassengesetze. Hahn drängte zur Abreise – es wurde eine Flucht. Freunde in aller Welt boten ihr Hilfe an, doch sie fühlte sich verpflichtet, dem ersten Angebot nach Stockholm zu folgen. Sie verlor den täglichen Dialog mit Otto Hahn und dem jungen Mitarbeiter Fritz Straßmann, die ausgezeichneten Arbeitsbedingungen in Berlin, ihr Ansehen unter den Kollegen, ihre finanzielle Sicherheit und für Monate ihr Hab und Gut. In dieser Stimmung wurde sie als Physikerin gefordert.

Stockholm

Hahn und Strassmann kamen zu unerklärlichen Ergebnissen – anstelle von Elementen, die schwerer als das Uran sein sollten, den Transuranen, fanden sie das leichtere Radium. So erging es auch Irene Curie in Paris. Das war gegen alle Postulate der Theorie.

Jetzt mussten Briefe den täglichen Dialog ersetzen. Sie konnten es nur unvollständig, denn Hahn war mitten in der wissenschaftlichen Arbeit und Frau Meitner war voll Ungeduld – ohne die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen oder lenkend einzugreifen. Plötzlich, im Dezember, war das Radium nicht mehr Radium; die chemische Analyse ergab: es war Barium. Das war ein ganz anderes Ergebnis, als erwartet. Hahn setzte sich über die bestehende Theorie hinweg, er schrieb ihr über seine Phantasien, dass der Kern in zwei Stücke zerplatzt sei, in Barium und Masurium. Er fragte, ob sie das irgendwie physikalisch erklären könne. Zu oft hatte er von ihr gehört: „Hähnchen, das ist Physik, davon verstehst Du nichts“.

Sie musste die bisher gültige Theorie in Zweifel ziehen, sich vom Vorurteil frei machen, es müssen Transurane entstehen. Über Weihnachten war sie in Südschweden bei einer Freundin; ihr Neffe, der Physiker Otto Robert Frisch kam zu Besuch aus Kopenhagen. Sie diskutierten die neuesten Ergebnisse aus Berlin und entdeckten, dass die Theorie, richtig angewandt, eine Spaltung des Urankerns beim Beschuss mit Neutronen verlangte, und dass dabei eine sehr große Energie frei wurde.

So bestand die Entdeckung der Kernspaltung aus zwei aufeinander folgenden Entdeckungen, einer chemisch experimentellen und einer theoretisch-physikalisch experimentellen, denn Frisch wies die Spaltung noch mit einem verblüffend einfachen physikalischen Experiment nach. Tragisch war das Missverständnis der Theorie, denn in Berlin – und in Paris – hatten die Forscher seit 1934 immer Uranatome bei ihren Versuchen gespalten, dies aber nicht entdeckt, da sie nicht in dieser Richtung gesucht hatten.

Lise Meitner hatte große Schwierigkeiten, sich in Schweden einzuleben, obwohl ihr einige Freunde liebevoll halfen. Der Verlust der wissenschaftlichen Arbeit war für sie essentiell, dass zeigen die Briefe aus jener Zeit deutlich.

Bald nach der Entdeckung der Kernspaltung gab es Spekulationen, ob man eine Atombombe bauen könnte. Wie einige Briefe zeigen, hat sich Lise Meitner in Stockholm auch mit dieser Frage beschäftigt. Als dann der Abwurf der beiden Bomben über Japan erfolgte, litt sie unter den völlig unsinnigen Berichten über ihre Rolle an dem Bau der Bombe.

Bereits während des Zweiten Weltkrieges wurde sie durch die Aufnahme als Korrespondierendes Mitglied der Osloer Akademie geehrt, dann folgten die Stockholmer Akademie und die anderen Akademien der Nordischen Länder.

Nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur ermahnte sie ihre Freunde in Deutschland immer wieder, sich offen zur Mitschuld an den begangenen Gräueltaten zu bekennen, denn nur so könne Deutschland wieder in einem Europa bestehen.

Durch ihre Freunde in Amerika erhielt sie 1946 eine Einladung zu Vorlesungen an der Katholischen Universität in Washington. Die Reise wurde zu einem Triumphzug; sie wurde vom Presse-Club der Amerikanischen Journalistinnen zur „Frau des Jahres“ gewählt und erhielt mehrere Ehrendoktorate. Für sie war das Wichtigste das Wiedersehen mit ihren beiden Schwestern und Otto Robert Frisch sowie mit alten Freunden, wie James Franck und dessen Kindern. Auf der Rückreise besuchte sie ihren Bruder und die ältere Schwester in England und nahm am wissenschaftlichen Leben begeistert teil.

Als 1946 Otto Hahn in Stockholm den Nobelpreis für Chemie erhielt, war die Freundschaft durch Hahns Verhalten nahe am Zerbrechen und es dauerte einige Jahre, bis sich das alte Vertrauen wieder einstellte. Briefe an Freunde und Dokumente zu Vorschlägen und Diskussionen des Nobelkomitees geben einen Einblick in das Geschehen.

Nach einigen Verzögerungen erhielt sie endlich an der Technischen Hochschule in Stockholm ein eigenes Laboratorium und einige Mitarbeiter. Ihr Interesse an der Physik hatte nicht nachgelassen; dies galt gleichermaßen Kongressen über Kernphysik. Sie besuchte Wien und erfreute sich den Erinnerungen an ihre Jugend. Die Anzahl der Ehrungen durch Akademien nahm zu. In Deutschland erhielt sie die Max-Planck-Medaille und wurde Mitglied des Ordens Pour le Mérite der Friedensklasse.

Nachdem sich in Westdeutschland Universitäten und Akademien wieder konstituierten, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufgelöst und als Max-Planck-Gesellschaft ( MPG ) neu gegründet wurde, bat Fritz Strassmann Lise Meiner, die Direktorenstelle am Chemischen Institut der MPG zu übernehmen. Doch sie konnte sich nicht entschließen, nach Deutschland zurück zu kehren; die politische Haltung der älteren Generation, der latente Antisemitismus, vielleicht auch der jüngeren Mitarbeiter, hielten sie davon ab.

Mit Achtzig entschloss sie sich zu ihrem Neffen und seiner Familie nach Cambridge überzusiedeln. Nochmals reiste sie zu Vorträgen nach Amerika und sprach dabei auch über die Situation von Frauen im Beruf. Zwei Jahre vor ihrem Tod erhielt sie zusammen mit Otto Hahn und Fritz Strassmann die hohe amerikanische Auszeichnung, den Enrico Fermi-Award.


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