MLA – kein Geheimnis für Philologen?
Fachfremde mögen ihrer Phantasie freien Lauf lassen:
Marxistisch-leninistische Alternative? – Ist hier bestimmt nicht gemeint.
Multimediale Langzeit-Archivierung? – Wohl auch nicht. Wenngleich ein wichtiges Thema.
Moderierter Leseabend? – Wäre mal eine nette Idee.
Diejenigen, die bei „Philologen“ in erster Linie an hartgesottene Sprachwissenschaftler denken, vermuten eher etwas sehr Spezielles, etwa wie „morphologisch-lexikalische Axionomie“ – was auch immer das sein mag.
Alle, die sich wissenschaftlich mit Sprachen oder Literaturen beschäftigen, wissen natürlich, worum es geht. Doch wissen sie auch, wofür die drei Buchstaben stehen? Die Abkürzung heißt aufgelöst „Modern Language Association of America“. Dabei ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen findet „of America“ keinerlei Niederschlag in dem Akronym. Zum anderen ist die MLA, entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch, nichts, worin wir normalerweise recherchieren. (Da ist die MLA International Bibliography gemeint, doch dazu später.)
Die Modern Language Association of America engagiert sich für Studium und Vermittlung von Sprache und Literatur. Sie wurde 1883 als Plattform für Hochschullehrer in den USA auf deren Initiative gegründet, um sich über die universitäre Lehre moderner (Fremd-)Sprachen auszutauschen. Geschehen sollte dies auf jährlichen Mitgliederversammlungen und mit einer eigenen Zeitschrift. Die Jahrestreffen finden noch heute statt, bei der Zeitschrift handelt es sich um die fortwährend erscheinenden Publications of the Modern Language Association of America (PMLA), die auch elektronisch zur Verfügung stehen. Inzwischen zählt die MLA, mit Sitz in New York, über 26.000 Mitglieder in 100 Ländern – akademische Sprach- und Literaturlehrer und Wissenschaftler aller modernen Philologien. Dem Austausch über wissenschaftliche Studienergebnisse, Lehrerfahrungen und aktuelle Forschungsrichtungen dienen ihnen zusätzlich mehrere kleinere Arbeitstreffen, seit 2013 eine interne Online-Plattform und, mit der größten Außenwirkung, das inzwischen gut ausgebaute Publikationsprogramm: Bücher und Zeitschriften in gedruckter wie elektronischer Form und – natürlich! – die internationale Bibliographie.
Die MLA International Bibliography on the Modern Languages and Literatures, die gemeinhin als die wichtigste, umfang- und themenreichste Bibliographie für die Neuphilologien gilt, ist die einzige, die alle heutigen Sprachen und Literaturen umfassend berücksichtigt. Inhaltlich geht sie sogar über das hinaus, was der Name vermuten lässt: Zum einen werden auch Arbeiten zu Sprach- und Literaturtheorie ohne Bezug zu einer speziellen Philologie verzeichnet, zum anderen sind neben lebenden Sprachen ebenso historische Sprachstufen, alte und ausgestorbene Sprachen (wie Altenglisch und Mittelhochdeutsch, Sanskrit und Altkirchenslawisch, Ugaritisch und Altpreußisch) vertreten. Lediglich die klassische griechische und lateinische Literatur wird mit Hinblick auf die Bibliographie L’Année philologique bewusst ausgeklammert.
120 Spezialisten weltweit erfassen laufend möglichst alle Bücher, Aufsätze (in Sammelbänden wie in Zeitschriften) und neuerdings auch Internet-Publikationen zu Sprache, Literatur, Folklore und angrenzenden Disziplinen, soweit sie von wissenschaftlichem Interesse sind, also keine rein pädagogischen Arbeiten, Belletristik, kurzen Rezensionen. Veröffentlichungen aus allen Ländern und in allen Sprachen werden verzeichnet, wobei – niemals erreichte – Vollständigkeit angestrebt wird. Als hauptsächliche Quelle dienen Zeitschriften und Serien, die ausschließlich oder häufig relevante Arbeiten enthalten; diese werden regelmäßig vollständig ausgewertet. Auskunft über sie gibt das nach Möglichkeit aktuell gehaltene Directory of Periodicals.
Erstmals wurde die Bibliographie für das Jahr 1921 zusammengestellt, anfänglich beschränkt auf Arbeiten amerikanischer Wissenschaftler. Mit sich ständig erweiterndem Inhalt und Umfang erschien sie bis 2008 jährlich in gedruckter Form. Eine schon einige Jahre lang parallel angebotene Datenbank mit monatlicher Aktualisierung ist heute die einzige Form, in der die MLA International Bibliography über verschiedene Datenbankanbieter zur Verfügung steht, so auch bei uns in der Staatsbibliothek. Man möchte sie angesichts der sehr komfortablen Such- und Exportmöglichkeiten nicht mehr missen, ja würde es geradezu als Schikane empfinden, auf die viele Regalmeter füllenden zuletzt jährlich 5 dicken Bände und 2 ebenso dicken Indexbände verwiesen zu werden! Die Jahrgänge ab 1926 sind in die Datenbank eingearbeitet. Zudem wurden ältere Aufsätze aus einigen regelmäßig ausgewerteten Zeitschriften rückwirkend aufgenommen, so dass die verzeichneten Titel sogar bis vor 1850 zurückreichen. Nicht enthalten sind jedoch die Bibliographien für die Jahre 1921 – 1925; ein kurzer Blick hinein verrät, warum:
Sie sind in einem Reprint zusammengestellt, der bald wieder in unserer bibliographischen Handbibliothek zu finden sein wird. Das Directory of Periodicals, das zu jeder verzeichneten Zeitschrift eine Reihe praktisch nützlicher Angaben macht, ist in die Datenbank integriert, allerdings nur in der jeweils aktuellen Version. So kann man der Datenbank nicht entnehmen, welche Zeitschriften in welchen Jahren vollständig ausgewertet wurden.
Die Internationalität der Bibliographie zeigt sich nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in der Art und Weise der Verzeichnung: Alle Titel werden original in der vorliegenden Sprache angeführt; eine Praxis, die vollkommen den Gepflogenheiten in der deutschen Wissenschaft entspricht, für US-amerikanische Publikationen aber leider alles andere als selbstverständlich ist. In gleicher Weise gilt bei literarischen Werken der Originaltitel als maßgeblich. Nicht-lateinische Schrift wird transliteriert; dies erfolgt zwar nicht nach dem in Bibliotheken hierzulande angewandten ISO-Schema, sondern nach dem System der Library of Congress, Unterschiede in der Schreibweise müssen bei der Recherche also beachtet werden. Die Transliteration ist aber nicht weniger systematisch und eindeutig und daher leicht zu lernen.
Einen direkten Blick in die Datenbank mit näheren Erläuterungen zu Inhalten und Recherchemöglichkeiten bietet eine Veranstaltung der Wissenswerkstatt in der nächsten Woche:
Kein Geheimtipp für Philologen – MLA
Sie sind eingeladen, sich dort ausführlicher zu informieren und dabei Recherchen zu Ihren Lieblingsthemen anzustellen, sei es nun zu morphologisch-lexikalischer Analyse, Migrantenliteratur in Asien oder mehr literaturhistorischen Anliegen.
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