„Angriffslustig, heiter und gleichzeitig melanchonisch“: Kuratorin Dr. Monika Boll spricht über Wolf Biermann

Wolf Biermann ist einer der bekanntesten Liedermacher Deutschlands. Seine Ausbürgerung aus der DDR 1976 war eine Zäsur in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Seine Lieder, Balladen und Gedichte haben den Anlass ihrer Entstehung überdauert und nehmen auch heute noch Stellung zu Politik und Gesellschaft. Als Verwalter des Vorlasses von Wolf Biermann und seiner Familie kümmert sich die Stabi um Bewahrung, Verwaltung, Konservierung und Restauration verschiedener geschichtsträchtiger Unterlagen und persönlicher Zeugnisse: Darunter Wolf Biermanns Tagebücher, Briefe und Notenblätter. Im Rahmen der im Deutschen Historischen Museum (DHM) laufenden Ausstellung Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland ist sie Hauptleihgeberin und präsentiert ausgewählte Exponate noch bis zum 14. Januar im Pei-Bau.

Was macht die Ausstellung besonders? Wer war Wolf Biermann und welche Ausstellungsstücke muss ein/e Besucher:in unbedingt gesehen haben? Der Künstler ist mit seinem Werk Akteur und Zeitzeuge einer bewegenden Epoche der deutschen Geschichte, die geprägt war durch gesellschaftliche und politische Umschwünge sowie den Wandel von einer Teilung zur Einheit. Die Kuratorin der Wolf Biermann-Ausstellung am DHM, Monika Boll, gibt spannende Einblicke in die Ausstellung und erzählt, welche Geschichten hinter einigen der vielen Exponate stecken.

Als Besucher:in begleitet man Wolf Biermann bei dem Gang durch die Ausstellung auf wichtigen Stationen seines Lebens. Welche drei Stationen sollte man hier auf gar keinen Fall verpassen?

Mich selber hat bei den Recherchen zur Ausstellung überrascht, welch hohen Stellenwert zunächst die Theaterarbeit in Wolf Biermanns Leben eingenommen hatte. Da es womöglich auch vielen Besucher:innen so geht, empfehle ich diese Abteilung immer gerne. Die Station erzählt von Biermanns Regieassistenz am Berliner Ensemble unter Helene Weigel ab 1957. Man sieht dazu eines seiner Regiebücher und ein wunderbares Video einer Theaterprobe mit dem ganz jungen Biermann und Helene Weigel. In diesen Komplex gehört auch das b.a.t., das Berliner Arbeiter- und Studententheater, das Biermann gemeinsam mit seiner Gefährtin  Brigitte Soubeyran kurze Zeit nach dem Mauerbau gründete. Wir zeigen u.a. das Plakat zur Premiere seines Stückes Berliner Brautgang, dessen Aufführung 1963 verboten wurde.

Absolut zentral ist natürlich die Station zu Biermanns Verfolgung durch das Ministerium für Staatssicherheit. Der Liedermacher gehörte neben seinem Freund, dem Dissidenten Robert Havemann, zu den am stärksten überwachten Personen in der DDR. Post, Telefon, Wohnung und persönliche Kontakte wurden nach seinem Auftrittsverbot 1965 ständig observiert. Neben vielem anderen sieht man einen Auszug aus seiner umfangreichen Stasiakte.

Für ein genaueres Verständnis von Biermanns kommunistischer Überzeugung bei gleichzeitig kritischer Haltung gegenüber der SED-Führung empfehle ich außerdem die ausführliche Station zur Familiengeschichte, besonders zur Bedeutung des Vaters. Seit seiner Kindheit prägte Wolf Biermann die Erfahrung des 1943 in Auschwitz ermordeten Kommunisten und Juden Dagobert Biermann.

Die Ausstellung wurde gemeinsam mit vielen Kooperationspartnern verwirklicht. Neben der Stabi, von der ein Großteil der Leihgaben aus Wolf Biermanns Vorlass kommt, hat die Familie selbst auch private Exponate beigesteuert. Welche Leihgabe und Geschichte haben Sie hier am meisten beeindruckt?

Meine Wahl schließt an die Familiengeschichte an. Aus dem Hamburger Privatarchiv von Wolf und Pamela Biermann haben wir den Doppelehering erhalten, den Wolfs Mutter Emma trug. Eine besonders anrührende Leihgabe. Die Eheschließung von Dagobert und Emma Biermann (geb. Dietrich) war am 3. Dezember 1927. Nach der Ermordung ihres Mannes ließ Emma beide Ringe zu einem anfertigen. Der verbindende rote Winkel war das Kennzeichen politischer Häftlinge im Vernichtungslager Auschwitz.

Eine weitere wichtige Leihgabe aus Hamburg ist der Essenskübel, in dem die Tagebücher von Wolf Biermann vor der Stasi versteckt wurden. Hierzu empfehle ich den aufschlussreichen Blog von Dirk Schreiber auf der Website des DHM.

Wolf Biermann ist, wie der Untertitel der Ausstellung bereits verrät, besonders als Liedermacher in Deutschland bekannt. Die Besucher:innen haben während ihres Aufenthalts in der Ausstellung auch die Möglichkeit, in einige seiner Kompositionen reinzuhören. Können Sie uns die zwei bekanntesten Lieder von Wolf Biermann nennen und wieso diese so bedeutsam für seine Karriere waren?

Viele seiner Lieder, Balladen und Gedichte haben den aktuellen Anlass ihrer Entstehung überdauert und sind heute Klassiker geworden wie Warte nicht auf bessre Zeiten oder die Ballade vom preußischen Ikarus. Sein wohl berühmtestes Lied aber ist die Ermutigung.  Geschrieben hat er es 1966 für den Lyriker Peter Huchel, nachdem dieser wegen politischer Zensur seinen Posten als Chefredakteur der Literaturzeitschrift Sinn und Form aufgegeben hatte. Das Lied wurde trotz des Auftritts- und Publikationsverbots seines Verfassers schnell bekannt. Heimlich kopiert und verteilt machte es die Runde unter Oppositionellen und galt als geheime Nationalhymne der DDR. In den 1980er Jahren trat Biermann mit der Ermutigung im Westen bei Veranstaltungen der Friedensbewegung und evangelischen Kirchentagen auf.  Witzigerweise und dazu passend fand das Lied 2006 in einer Übersetzung von Per Olov Enquist als Psalm Nr. 824 Eingang in das Gesangbuch der Schwedischen Kirche, das wir auch in der Ausstellung zeigen.

Mit seiner Ausweisung aus der DDR, die mit großem gesellschaftspolitischen Aufsehen einherging, hat Biermann seiner Zeit für Furore gesorgt und sich als politischer Liedermacher ganz und gar einen Namen gemacht. Neben seinen Kompositionen hat Biermann rege Tagebuch geschrieben. Diese werden heute von der Stabi verwahrt und als Teil seines Vorlasses verwaltet. Dürften die Besucher:innen in einem Tagebuch schmökern, welches würden Sie Ihnen empfehlen? Welches Zitat aus einem seiner Tagebücher ist Ihnen besonders im Kopf geblieben?

Wolf Biermann führt seit 1954 Tagebuch und tut es bis heute. Mehr als 200 seiner Tagebücher befinden sich nun im Vorlass der Stabi. Etwa 20 Exemplare zeigen wir in der Ausstellung.  Biermann nutzte sie nicht nur für Privates, sondern auch als politische Logbücher, indem er Tagesereignisse mit eingeklebten Zeitungsausschnitten und eigenen Kommentaren versah. Ein Eintrag, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist ein kleines Gedicht zu Weihnachten 1963 in Ost-Berlin, das seine Bindung ans Judentum thematisiert. Da vermerkte er im Dezember: „Deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, Bratendunst aus jeder Bude / deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, ich bin Jude.“

Einen sehr guten Einblick in das gesamte Konvolut der Tagebücher gibt Roland Berbig in der begleitenden Publikation zur Ausstellung. (als Fußnote: Roland Berbig: Wie ein Buchhalter, wie ein Geschichtsschreiber, wie ein Elektrokardiogramm der Seele Wolf Biermanns Tagebuch-Werk, in: Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland, Hg.: Dorlis Blume, Monika Boll, Raphael Gross, Berlin 2023, S. 184 – 195.)

Jetzt haben wir viel über Wolf Biermann und sein umfangreiches Lebenswerk gelernt! Mit welchen drei Worten würden Sie Wolf Biermann und sein Werk beschreiben?

Angriffslustig, heiter und gleichzeitig melancholisch.

 

Dr. Monika Boll ist Philosophin und Kuratorin. Sie kuratierte Ausstellungen an verschiedenen Museen u. a. zur Frankfurter Schule, zu Marcel Reich-Ranicki und Fritz Bauer. Für das Deutsche Historische Museum Berlin kuratierte Monika Boll bereits 2020 die Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“.

 

 

 

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