Pünktchen ohne Anton? Totschka!
Mit mehr als 200.000 Bänden ist die Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek eine der wenigen großen wissenschaftlichen Spezialsammlungen zur Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Ein Kinderbuch-Schlaraffenland mit unikalen und kostbaren Beständen, das jedoch nur für Wissenschaft und Forschung zur Verfügung steht und nicht für diejenigen, für die Kinder- und Jugendbücher in erster Linie geschrieben werden: für Kinder. In Berlin gibt es aber zum Glück ein besonders weitverzweigtes Netz an Kinder- und Jugendbibliotheken mit einem reichhaltigen und vielfältigen Angebot für alle Altersgruppen. Über einige dieser Einrichtungen, in denen Kinder und ihre Eltern voll auf ihre Kosten kommen, möchten wir in loser Folge berichten.
Als Auftakt stellen wir eine ganz besondere Bibliothek vor, die selbst in der Berliner Bibliothekslandschaft einmalig sein dürfte: „Totschka“ („Punkt“ auf Russisch). „Totschka“ ist eine privat gegründete, mehrsprachige Kinder- und Jugendbibliothek, die Literatur für Kinder und Jugendliche in den Sprachen Russisch, Ukrainisch und Belarussisch anbietet. Die Idee für die Gründung der Bibliothek hatten die beiden Gründerinnen, Lada Pamukhina und Svetlana Schwald, während der Corona-Pandemie im Jahr 2021, als der Zugang zu russischsprachigen Büchern noch schwieriger wurde, als er vorher ohnehin schon war. Nach einer Phase intensiven Crowdfundings eröffneten sie die Bibliothek Mitte 2022 zunächst in Schöneberg. Dass ihr Projekt mit der allergrößten Begeisterung aufgenommen wurde, zeigt sich u.a. auch darin, dass sie sich inzwischen bereits vergrößern mussten: Seit Anfang des Jahres empfängt „Totschka“ ihre kleinen und großen Besucherinnen und Besucher in einer großen, schönen Hinterhofremise in Prenzlauer Berg.
Der Bestand ist inzwischen auf über 4.000 Bände angewachsen und bietet einen Querschnitt der internationalen Kinder- und Jugendliteratur: von Pappbilderbüchern und ABC-Büchern für die Kleinen über Märchen und Comics für Größere bis zu Klassikerübersetzungen, Bildbänden und Sachbüchern. Die Sprachen Russisch, Ukrainisch und Belarussisch dominieren zwar, es gibt aber auch Bücher in anderen Sprachen des postsowjetischen Raums, wie Tatarisch oder Kirgisisch. Ein Bereich, der derzeit ausgebaut wird, ist der Bereich der deutschsprachigen Bücher: Hier soll demnächst, damit die mehrsprachige Erziehung der Kinder besser unterstützt werden kann, das Angebot deutlich ausgeweitet werden.
Aber es sind nicht nur die Bücher, die „Totschka“ zu einem ganz besonderen Ort der Begegnung und des Miteinanders in der russischsprachigen Community machen. Die Bibliothek verfügt über ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm, das nicht viele andere Kinder- und Jugendbibliotheken bieten können. Hier eine kleine Auswahl aus den Angeboten der letzten Wochen: Autorenlesungen und Vorleseveranstaltungen, Poesie- und Spielestunden für 3- bis 4-Jährige, Comic- und Animationsworkshops für die Größeren, Spieleevents … und das sind nur die regelmäßigen Veranstaltungen! Zusätzlich zu diesen festen Angeboten gab es im Februar/März z.B. eine Schreibwerkstatt und einen Vortrag zur Geschichte der Comics. Demnächst dürfen sich die Kinder über einen literarischen Quiznachmittag und eine Bilderbuchwerkstatt mit dem Bilderbuchautor Max Kaplan freuen. Die Veranstaltungen finden überwiegend in russischer Sprache statt, aber auch deutschsprachige Veranstaltungen stehen regelmäßig auf dem Programm. Dass es sich bei „Totschka“ trotz der sprachlichen Schwerpunkte um eine echte multikulturelle und multilinguale Bibliothek handelt, zeigt sich besonders bei den Veranstaltungen: Bei der Schreibwerkstatt im Dezember 2023 waren an einem Abend ca. 13 verschiedene Sprachen von der Bühne zu hören! Einer der Höhepunkte der für dieses Jahr geplanten Veranstaltungen ist das große Bücherfest, das „Totschka“ in Kooperation mit der Bibliothek am Wasserturm im Juni feiern wird. Geplant sind bereits Bücherflohmarkt, Workshops, Spiele und Vorträge für Kinder und Erwachsene.
Und wie wird das alles geplant, vorbereitet, organisiert, finanziert und durchgeführt? Ausschließlich ehrenamtlich, durch Spenden und Projektförderungen. Der größte Förderer ist derzeit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF); seit einiger Zeit ist auch die Deutsche Stiftung für Ehrenamt und Engagement dabei. Einzelne Projekte, wie die frühkindliche Leseförderung, werden außerdem durch die Stiftung Lesen unterstützt, die bibliothekarische Arbeit selbst ist jedoch ausschließlich ehrenamtlich organisiert. Wer „Totschka“ an einem Sonntag besucht, wird feststellen, dass die Bibliothek regelrecht boomt: Wenn die Kinder Bücher aussuchen, lesen, spielen, toben oder an der Poesiestunde teilnehmen und ihre Eltern sich beraten lassen oder einfach nur mit anderen Eltern ins Gespräch kommen, haben die beiden „Totschka“-Gründerinnen viel zu tun.
Woher kommt die Energie und die Kraft, eine Kinder- und Jugendbibliothek, die gleichzeitig auch als wichtiger und viel frequentierter Begegnungsort in der Community fungiert, ehrenamtlich zu führen? Svetlana Schwald sagt hierzu: „Wir versuchen einfach jeden Tag zu tun, was wir tun können – den Begegnungs- und Bildungsort zu ermöglichen und zur Verfügung zu stellen, mit einzelnen Menschen im Gespräch zu bleiben, um ihre konkreten Bedarfe und Interessen zu verstehen. Viele sind erst vor kurzem nach Berlin gekommen und müssen sich in der Stadt neu orientieren. Der mehrsprachige Fokus der Bibliothek lässt die sprachliche Barriere für die neu angekommenen Menschen wegfallen und schafft einen niedrigschwelligen Zugang zur Bildung und Teilhabe. So können die Menschen schneller den Weg aus der Orientierungslosigkeit finden“.
Dem ist nur noch hinzuzufügen: eine großartige Idee – und eine großartige Kinder- und Jugendbibliothek!
Die Bibliothek „Totschka“ finden Sie in der Prenzlauer Allee 216, in 10405 Berlin. Weitere Hinweise, insbesondere zu den Öffnungszeiten über die Webseite von „Totschka“.
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