Auf in den Süden!
Auch im Mittelalter gab es Reiseführer
Wenn man heute eine Reise plant, ist es selbstverständlich sich mit einem Reiseführer über das Ziel zu informieren. So etwas gab es auch im Mittelalter, zum Beispiel mit dem lateinischen Werk von Cristoforo Buondelmonti (1386–1430) über Kreta und die Ägäischen Inseln – auch heute noch attraktive Reiseziele. Das Werk, das von 1417 und 1420 entstanden ist, trägt den sperrigen Titel Insularium archipelagi et Cretae descriptiones (Beschreibungen der ägäischen Inseln und Kretas). Um diese Beschreibungen mit Ortskenntnis zu versehen, hielt sich der Mönch Buondelmonti unter anderem auf Rhodos, Kreta und Zypern auf. Ausgebildet wurde er in Florenz, wo er auch den Humanisten und Mäzen Niccolo Niccoli (1365–1437) für sich interessieren konnte. Ihm widmete er die Beschreibung Kretas. Dem humanistisch gesinnten Förderer der Künste Kardinal Giordano Orsini widmete der Geograph das Werk über die Ägäis, welches der erste Reiseführer über die griechischen Inseln überhaupt war (Abb. 1). Es hatte großen Einfluss auf die humanistischen Kreise und eröffnete den Weg zur Erforschung Griechenlands und seiner Altertümer. Die Inseln werden in kurzen Kapiteln beschrieben, das Besondere aber sind die beigefügten Karten.
Die Beliebtheit dieser Reisebeschreibungen zeigt sich auch an der Menge der erhaltenen Handschriften – 65 Exemplare sind bekannt. Die Berliner Stabi besitzt eines davon, das dem Venezianer Antonius Venerius oder Antonio Venier gehört hat. Sein Wappen sieht man auf fol. 1: Fünfmal von Rot und Silber geteilt mit den Initialen A V (Abb. 2). Die Handschrift auf Papier hat ein ungewöhnlich schmales Format, 29,5 x 16 cm, als sollte es gut in eine Tasche passen. Tatsächlich ist der Text in einer noch viel schmaleren Spalte geschrieben; am Rand ist so Platz für Inhaltsangaben und Bemerkungen, die hier teils in anderen Tintenfarben gehalten sind (z. B. fol. 3). Die Handschrift ist um 1460–70 in Venetien in der Umgebung des Felice Feliciano entstanden und enthält zahlreiche Karten als lavierte Federzeichnungen, eine Initiale in Gold auf mauve-farbenem Grund mit Blütenranken sowie eine Wappenmalerei (Abb. 2).
Für Antonio Venier dürfte der Band von Nutzen gewesen sein. Er stammte aus einer der ältesten Patrizierfamilien Venedigs, die eine wichtige Rolle in den venezianischen Kolonien spielte. Seit dem frühen 13. Jahrhundert teilte sich seine Familie die Herrschaft über die griechischen Inseln Kythira und Paros mit den Familien Martinengo und Lion, die dalmatische Gemeinde Vijnerac war seit 1409 Eigentum der Venier. Darüber hinaus gab es einen Familienzweig auf Kreta. Grund genug also, sich auch geographisches Informationsmaterial zuzulegen.
Ein besonders großes Kapitel ist keiner Insel, sondern Konstantinopel (heute Istanbul) vorbehalten (Abb. 3). Der große Sehnsuchtsort der Kreuzfahrer ist als umwehrte Halbinsel dargestellt, mit Hippodrom, Hagia Sophia und antiken Säulen. Antonio Veniers Exemplar enthält auch eine Weltkarte mit einer vorangehenden Beschreibung der drei bekannten Erdteile Asien, Afrika und Europa. Mit ein bisschen Phantasie erkennt man den italienischen Stiefel rechts unten (fol. 81); eine weitere Karte Italiens befindet sich auf fol. 83 mit Venedig (Venexia) in einer kreisförmigen Ausbuchtung im adriatischen Meer.
Besonders schön sind die zusätzlichen Zeichnungen bei der Zäsur auf fol. 82 mit einer Darstellung des Merkur und am Schluss auf fol. 98v mit einem Elefanten (Abb. 4), die auf den Humanisten Cyriakus von Ancona (um 1391–1437) zurückgehen. Die Inschrift bei dem Elefanten Hellephas indus chulices non curat erinnert an das Motto Elephas indus culices non timet (Der indische Elefant fürchtet die Mücken nicht) des Domenico Malatesta (1418–1465).
Eine weitere Besonderheit sind die eigenhändigen Einträge von Lesern zu Beginn des Bandes, darunter der Humanist Giovanni Calfurnio (1443–1503), der Autor Francesco Buzcarinus (um 1440–um1500) sowie Bernardo Bembo (1433–1519), venezianischer Staatsmann und Vater des Humanisten Pietro Bembo.
Man kann die Handschrift online blättern oder auch bis Juni 2025 im Stabi Kulturwerk betrachten.
Literatur: Helmut Boese, Die lateinischen Handschriften der Sammlung Hamilton zu Berlin, Wiesbaden 1966, S. 58–60.
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