Die erste Koch-Show in den Niederlanden? Die Glaubensküche oder der Reformationsschmaus
Das zur Toleranz mahnende Flugblatt „Cucina opiniorum“ in der Ausstellung „Bibel – Thesen – Propaganda“.
Ein Beitrag von Christiane Caemmerer.
Dieser fast wie ein Comicstrip gestaltete Kupferstich mit graviertem Text entstand anonym (ca. 1570 bis 1600) und geht auf eine niederländische Vorlage zurück. Zu dieser Zeit war die Vormachtstellung der katholischen Kirche dort bereits gebrochen, die protestantischen Konfessionen der Calvinisten und Lutheraner hatten sich ausdifferenziert, ja, es entwickelten sich ständig neue Glaubensrichtungen und Vorstellungen. Jeder glaubte, was er glaubte, glauben zu wollen.
So suggeriert es zumindest dieses Blatt, das auf eine Vorlage des Niederländers Dirk Volkertszoon Coornhert (1522-1590) zurückgeht. Coornhert war Schriftsteller, Sprachpurist, Jurist, Politiker, Theologe, Musiker und Kupferstecher, lebte mal in den Niederlanden, mal in Deutschland und setzte sich als Katholik mit dem Katholizismus ebenso auseinander wie mit dem Calvinismus. Er lehnte die Vorstellung der Erbsünde ebenso ab wie die der Prädestination, trat für eine Kirche ein, die nicht auf die Konfessionen festgelegt sein sollte, und war einer der führenden Vertreter der Toleranzidee in den Niederlanden.
Zur Toleranz mahnt auch das Geschehen in der auf dem Kupferstich abgebildeten Küche. Die Vertreter der unterschiedlichen konfessionellen Gruppen essen jeder sein eigenes Süppchen:
- Calvin schneidet einen Kalbsbraten und schmeckt ihn mit Orangen ab: „Dit Calf fyn istt zu essen mit safft von Orangen“. Genau so hatte sich der Calvinismus in den Niederlanden mit dem Haus Oranje verbunden.
- Luther spielt die Laute – „Ick slac den Luyt teer“ – und beschließt mal vom Gebratenen zu kosten und mal von dem Brei, den der Papst neben ihm mit langen Zähnen isst. „Ay die Pap ist vergifft und so bitter als Gall.“ Der Brei ist bitter, denn in ihm wurden nur die äußeren Schalen, nicht die Kerne, verkocht und die Süße der „Romaney“-Sauce fehlt ganz. Das bemäkeln auch die Katzen, die dem Papst auf der Schulter sitzen. Im Niederländischen heißt diese Stelle: „Waerom dees Catten lieken niet als sy plagen“ und weist damit auf die Widerständigkeit der Katholiken (Catten lieken) hin.
- Der Wiedertäufer leckt auch lieber die Pfanne mit Bratensaft aus als vom Brei des Papstes zu kosten und weiß, dass er dies nur so ruhig machen kann, so lange die Köchin Vernunft/Ratio die Mahlzeiten zubereitet. Er will genießen, ohne sich die Finger nass zu machen, d.h. sich auf die Auseinandersetzungen einzulassen.
- Auf dem Kaminsims sitzen die Vertreter der religiösen Toleranz um Charitas als Repräsentantin der Mitmenschlichkeit. Die Magd Eintracht/Concordia hat einen Hirsch gebracht, der als niederländischer „hert“ mit dem niederländischen „hart“, dem Herzen, zusammen gedacht werden kann. In ihrer Rede wird auch der Initiator des Blattes in einem Wortspiel verraten: „koer“ und „hertz“. Im Niederländischen: „koer […] hert“ wird allgemein als Anspielung auf Coornhert gelesen. Die Köchin Vernunft gibt ihren Gästen diätetische Ratschläge, was die Bekömmlichkeit der Speisen angeht. Sie hat als Personifikation der Redlichkeit und Bescheidenheit den vorigen Koch abgelöst, der wie ein Tyrann nur römisch-katholisch gekocht hat.
Der deutsche Text lässt deutlich die niederländische Vorlage erkennen, dennoch sind die meisten Wortspiele, auf denen das Blatt aufbaut, ganz gut zu verstehen. Allerdings fehlt bei unserem Blatt die Erklärung des deutschen Übersetzers, die andere Ausgaben des Blattes haben. Dieser führt die Wortspiele auf das Niederländische zurück und erklärt sie. Es gibt noch weitere Druckvarianten des Blattes. So sind zum einen das niederländische Blatt aus dem Rijksmuseum, das unter dem Titel: „De Rede maant de kerken tot verdraagzaamheid“ im selben Zeitraum erschienen ist, und zum anderen das ebenfalls niederländische Blatt mit französischer Zusammenfassung der Kunstsammlungen der Feste Coburg „seitenverkehrt“ in ihrer Darstellung. Sie beginnen von links nach rechts gelesen mit dem Brei essenden Papst und halten somit die Chronologie der reformatorischen Bewegungen ein, während das Blatt der Staatsbibliothek mit dem Calvinismus beginnt und das Geschehen in der niederländischen Glaubensküche von der Gegenwart aus betrachtet. Im Mittelpunkt aber steht immer die Idee der religiösen Toleranz, wie sie Dirk Volkertszoon Coornhert in seinen Bildern, Schauspielen Dialogen und öffentlichen Disputationen vertrat.
Vom 3.2. bis 2.4.2017 können Sie dieses und viele weitere Objekte zur reformationszeitlichen Propaganda, aber auch moderne Comicstrips selbst bei uns in der Staatsbibliothek in Augenschein nehmen.
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