im Jüdischen Museum: „Im fremden Land – Publikationen aus den Lagern der Displaced Persons“
Im Jahr 2009 begann die Staatsbibliothek zu Berlin, systematisch eine Sammlung mit solcher Literatur aufzubauen, die in den Jahren 1945 bis 1950 in den Lagern für jüdische „Displaced Persons“ in der amerikanischen und in der britischen Besatzungszone Deutschlands entstand. Eine Auswahl dieser seltenen, äußerst wertvollen historischen Zeugnisse wird vom 3. September an im Jüdischen Museum Berlin in einer kleinen Sonderausstellung zu sehen sein.
„IM FREMDEN LAND
Publikationen aus den Lagern der Displaced Persons. Einblicke in die Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin“
Ausstellung und Katalog
im Jüdisches Museum Berlin, Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin
3. September – 15. Dezember 2015
Eröffnungsveranstaltung
Donnerstag, 3. September 2015
11 Uhr
im Learning Center des Jüdischen Museums
u. a. mit den Kuratoren der Ausstellung und den Autoren des Katalogs
In den Jahren 1945 bis 1950 stellten Juden, die der deutschen Mordmaschinerie entgangen waren und in den von Briten und Amerikanern eingerichteten Lagern der Displaced Persons (DP) erste Unterkunft und Sicherheit gefunden hatten, dort einige hundert literarische Werke her. Diese halfen den entwurzelten Menschen, die die Qualen der Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager überlebt oder im Untergrund und in Verstecken ausgeharrt hatten, nun jedoch nicht in ihre Heimatorte zurückkehren konnten oder wollten, sich mit Erlebtem auseinanderzusetzen, neue Orientierung zu finden, Bildung zu vermitteln, sich gegenseitig zu informieren oder zu agitieren.
Nur wenige Exemplare dieser Werke sind erhalten, denn sie wurden in sehr kleinen Auflagen und meist auf schlechtem Papier gedruckt, wurden viel genutzt und dabei oft ‚zerlesen’. Lange Zeit fanden die Zeitungen, Broschüren und Bücher der jüdischen DP bei Wissenschaftlern und Sammlern wenig Beachtung. Das zu ändern ist das Anliegen auch der Staatsbibliothek zu Berlin: Vor vier Jahren wurden, finanziert von der Martin Breslauer Foundation (New York), die ersten zweihundert Zeitungen, Zeitschriften, Lehrbücher, Pamphlete, Bücher mit Prosa und Gedichten erworben. Seither wuchs die Sammlung auf über 400 Werke an.
Zum einen handelt es sich um religiöse Werke, um Bibeln, Gebetbücher, den berühmten „Survivors’ Talmud“ sowie einzelne Talmudtraktate, dazu ältere und moderne Schriften mehr oder weniger bekannter Halachisten. Zum anderen sind die Bücher säkularen Inhalts: Wochenzeitungen und Propagandaschriften der verschiedenen, sich nicht immer wohlgesonnenen zionistischen Gruppierungen, Romane und Gedichte der modernen jiddischen und hebräischen „Klassik“ (z. B. Sholem Aleychem, Mendele Moykher Sforim, Chaim N. Bialik, Uri Zvi Grinberg), Lese- und Lehrbücher für die in den Lagern eingerichteten Schulen, nicht zuletzt die ersten Dokumentationen in Wort und Bild des Genozids, Berichte von Partisanen und Überlebenden des Warschauer Ghettos, Anthologien ihrer Lieder, Aufrufe und Parolen.
Die Sammlung der DP-Drucke kann in den elektronischen Katalogen der Staatsbibliothek zu Berlin (StaBikat und StaBiKat+ – Stichwort „DP-Lager“ + zeitliche Einschränkung 1945-1950) sehr gut recherchiert werden. Im StaBiKat+ ist die Suche und Anzeige der Titel auch in Originalschrift möglich, es kann also direkt in hebräischen Buchstaben nach jiddischen und hebräischen Titeln gesucht werden.
Der breiten Öffentlichkeit wird jetzt im Jüdischen Museum Berlin für drei Monate ein Ausschnitt aus dieser Sammlung vorgestellt. Der Katalog zur Ausstellung „Im fremden Land“ informiert in Deutsch und in Englisch über die Geschichte der Lager für Displaced Persons, er erzählt vom Leben dort und stellt einige der Werke, die in jiddischer oder hebräischer Sprache verfasst sind, vor. Die Herstellung des Katalogs wurde von der Stiftung Erinnerung – Verantwortung – Zukunft finanziert.
Nahezu jedes Werk der DP-Sammlung musste oder muss noch restauriert werden. Mit Mitteln der Bibliothek wie auch mit Spenden, die die Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V. gern entgegen nehmen, werden Falten geglättet, Risse geschlossen, Fehlstellen ergänzt, erfolgen Neubindungen und andere konservatorische Schritte. Nach und nach können die einzelnen Stücke der Sammlung wieder im Lesesaal der Orientabteilung der Staatsbibliothek benutzt oder – wie jetzt geschehen – für Ausstellungen ausgeliehen werden.
Zum Weiterlesen:
Eva Maria Thimme / Sophia C. Fock: Zurück ins Land der Scheiterhaufen. Sonderausgabe der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Vittorio Klostermann, 2014.
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