Ein Gebetbuch für alle Fälle: Das Stundenbuch des Niklas Firmian – Teil 1

Ein Beitrag von Gabriele Bartz

Der Auftraggeber

Ein Stundenbuch ist ein christliches Gebetbuch für Laien und war im Spätmittelalter ein echter Bestseller. Jede:r, die/der es sich leisten konnte, hatte eins. Den Namen erhielt es, weil die Texte zu bestimmten Tagzeiten gebetet werden sollten: Von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Nacht. Die meisten der Texte und Gebete, die größtenteils der Marienfrömmigkeit gewidmet sind, sind auf Latein verfasst. Ob die Besitzer:innen das auch verstanden haben, sei dahingestellt.

Den Ausgleich für möglicherweise mangelndes Textverständnis schaffen die zahlreichen Miniaturen, die das Manuskript gliedern. Und je reicher ein Auftraggeber, desto mehr Bilder sind im Buch zu finden. Zu den Reichen gehörte Niklas Firmian, der das hier vorgestellte Stundenbuch in Flandern, wohl in Gent, um 1500 in Auftrag gegeben hat – heute wird es unter der Signatur Hdschr. 241 in der Stabi aufbewahrt.

Abb. 1: Niklas Firmian und Paula de Cavalli mit ihren Wappen knien betend vor einer Bischofsstatue, Hdschr. 241, fol. 144v; Abb. 2: Niklas Firmian und Dorothea von Cromnetz mit ihren Kindern vor dem Hl. Georg, Hdschr. 241, fol. 232v

Niklas Firmian, 1451 in Trient geboren, war Landeshauptmann von Tirol und seit 1494 bis zu seinem Tod am 10. Mai 1509 der Hofmeister der zweiten Frau des Kaisers Maximilian I., Bianca Maria Sforza. In dritter Ehe heiratete er wohl um 1490 Paula de Cavalli, die Hofmeisterin der Kaiserin. In ewigem Gebet haben sie sich stolz mit ihren Wappen vor einem Bischof darstellen lassen, bei dem es sich wohl um den Hl. Nikolaus, den Namenspatron des Niklas Firmian, handelt (Abb. 1). Die Wappen über ihnen weisen den Mann als Angehörigen der Familien Firmian und Cronmetz aus, die Frau als eine Cavalli (sprechend mit Pferd – Italienisch: cavallo). In den abgebildeten Kirchenraum hat Niklas seinen Hund und Paula die Tasche für ihr Gebetbuch mitgebracht; in der Bordüre betrachtet sich ein weibliches Mischwesen kritisch im Spiegel. Wie wenig Text und Bild in Stundenbüchern miteinander zu tun haben: Diese prächtige ganzseitige Miniatur leitet Gebete ein, die der Hl. Birgitta von Schweden zugeschrieben werden und die die Leidensgeschichte Christi behandeln (fol. 145r).

Abb. 3: Eintrag der Geburt des Sohnes Nikolaus Firmian am 26. Januar, Hdschr. 241, fol. 1 (Detail); Abb. 4: Eintrag der Geburt des Sohnes Georg Firmian am 4. November, Hdschr. 241, fol. 6 (Detail)

Weiter hinten im Buch, zu Beginn einer Folge von Heiligengebeten (Suffragien), sieht man den blonden Beter noch einmal in Rüstung mit seinem Hund, doch diesmal mit einem Knaben hinter sich und einer anderen Frau, hinter der zwei Mädchen knien (Abb. 2). Die Skulptur stellt den Hl. Georg im Kampf mit dem Drachen dar. Die Wappen sind anders als beim ersten Stifterbild, denn bei Niklas erscheint nur das Stammwappen der Firmian mit den umgekehrten Monden, über der Frau das der Cronmetz, denn es handelt sich um die zweite Frau Dorothea, mit der er die Kinder Georg, Katharina und Helena hatte. Wahrscheinlich nachträglich sind die beiden Wappen in der Bordüre; sie künden davon, dass man solche Manuskripte lange Zeit in Ehren gehalten hat. Hier also ist der Namenspatron des einzigen überlebenden Sohnes gewählt worden, der als Erbe der Familie besonderen Schutz nötig hatte. Persönliche Einträge im Kalender künden von einem weiteren Sohn Niklas, wohl der Erstgeborene, weil nach dem Vater benannt (Abb. 3). Georgs Geburtstag ist im November vermerkt (Abb. 4).

Abb. 5: Ein vornehmer Beter vor einer Erscheinung Christi in der Gloriole, die Seitenwunde präsentierend, Hdschr. 241, fol. 136

Offensichtlich hat der flämische Buchmaler für diese Miniaturen genaue schriftliche Vorgaben gehabt, denn Firmian und seine Familie werden ihm nicht Modell gesessen haben. Solche Kompositionen lagen der Buchmalereiwerkstatt vor und konnten mit individualisierenden Zutaten, wie zum Beispiel den Wappen, versehen werden. Auf fol. 136 sieht man einen Beter in pelzgefüttertem Gewand mit langen dunklen Haaren, wie er vor einer Erscheinung Christi mit der Seitenwunde betet (Abb. 5). Da er so gar keine Ähnlichkeit mit den beiden anderen Darstellungen des Niklas hat, wird es sich um ein „stockphoto“ handeln, das heißt eine Vorlage, die die Werkstatt besaß und ohne weitere Personalisierungen verwendet hat.

Der außerordentliche Wert, dem das Buch in der Familie Firmian beigemessen wurde, zeigt sich auch am Einband, der wohl von der bekannten Genter Buchbinderwerkstatt des Jakobus de Gavere gefertigt wurde. In Bezug auf die Familientradition sind die Platten mit den Wappen interessant: Vorne Firmian und Völs (Abb. 6) sowie hinten Cronmetz und Botsch (Abb. 7). Die Wappen von Völs und Botsch waren auch in der Bordüre von fol. 232v mit einer Kette ganz lässig an den Akanthusästen angebracht worden (Abb. 1). Denn Katharina von Firmian heiratete vor 1497 Leonhard von Völs. Helena aber heiratete Gaudenz Botsch. Was es jedoch mit den Initialen mit Liebesknoten und Cavalli-Wappen auf der oberen Schließe auf sich hat, lässt sich nicht gut auflösen. Insgesamt jedoch ist das Firmian-Stundenbuch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts mehr oder weniger in Familienbesitz geblieben und dabei erschütternd wenig in Gebrauch gewesen, denn viele Seiten leuchten noch wie am ersten Tag.

Abb. 6: Vorderdeckel mit den Wappen der Familien Firmian und Völs, Hdschr. 241, Vorderdeckel; Abb. 7: Hinterdeckel mit den Wappen der Familien Cronmetz und Botsch, Hdschr. 241, Hinterdeckel.

Die Handschrift ist von Januar bis März 2025 im Stabi Kulturwerk zu sehen oder auch online zu blättern .

Literatur:

Beate Braun-Niehr, in: Kurt Heydeck, Die Handschriften der Signaturenreihe Hdschr. der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Teil 2, Hdschr. 151–300, Wiesbaden 2020, S. 174–191.

 

 

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