Notenarchiv der Sing-Akademie zu Berlin aus Kiew zurückgekehrt
Das Notenarchiv der Sing-Akademie zu Berlin, eine besonders wertvolle historische Musiksammlung, wurde von der Regierung der Ukraine an seinen Eigentümer, die Sing-Akademie zu Berlin zurückgegeben.
Am 1. Dezember traf das Archiv in Begleitung von Michael Rautenberg, Vorstand der Sing-Akademie, und mit Unterstützung der Bundesregierung in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ein. Hier wird das Archiv als Leihgabe aufbewahrt und nach dessen Sichtung der Forschung und Praxis zugänglich gemacht.
Die Bestände der Musikabteilung der Staatsbibliothek und das Archiv der Sing-Akademie ergänzen sich in vielfältiger Weise für die Forschung zur Berliner und deutschen Musikgeschichte. Die Rückführung des Archivs der Sing-Akademie nach Deutschland gibt der Musikwissenschaft eine unersetzliche Quellenbasis zurück.
Die Entdeckung des Notenbestandes in Kiew durch den Harvard-Professor Christoph Wolff im Juni 1999 gilt als sensationell: Im Januar 2001 hatten der Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, und im September 2001 das ukrainische Parlament die Rückführung der Musiksammlung nach Deutschland beschlossen. Hierbei war es wesentlich, dass das Archiv der Sing-Akademie Eigentum einer privatrechtlich organisierten Konzertvereinigung ist.
Gegründet wurde die Sing-Akademie zu Berlin 1791 von Carl Friedrich Christian Fasch (1736-1800). Er war der Freund Carl Philipp Emanuel Bachs (1714-1788) und zugleich dessen Nachfolger als Cembalist in der Hofkapelle Friedrich des Großen. Die Sing-Akademie ist die älteste chor- und konzertausübende Gesellschaft bürgerlicher Musikpflege in Deutschland. Sie gilt als Keimzelle der Bach-Renaissance, seit sie im Jahr 1829 unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach (1685-1750) zum ersten Mal seit dessen Tod wieder aufführte.
Das Notenarchiv der Sing-Akademie, das von Fasch und dem Goethe-Freund Carl-Friedrich Zelter (1756-1832) für Chor- und Orchesteraufführungen angelegt wurde, beinhaltet mehr als 5.000 Kompositionen, etwa 80% davon Handschriften und Autographe. Darunter sind singuläre Quellen zum kompositorischen Schaffen der beiden ältesten Söhne Johann Sebastian Bachs, Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann. Zu den wichtigsten Dokumenten gehören das bislang unvollständig bekannte oratorische Vokalwerk Carl Philipp Emanuel Bachs sowie weitere Kompositionen der Bach-Familie, darunter das Alt-Bachische Archiv, eine Sammlung von Kompositionen der Vorväter von Johann Sebastian Bach. Das Archiv umfasst auch wesentliche Bestände der Musik der Preußischen Hofkapelle und der Hofoper aus der Zeit Friedrichs des Großen mit Kompositionen von Graun, Quantz, Schaffrath, Agricola und einen großen Bestand an geistlichen Werken von Telemann.
Die Notensammlung der Sing-Akademie wurde 1943 von ihrem Direktor Georg Schumann (1866-1952) nach Schloss Ullersdorf im damaligen Schlesien verlagert. Seit 1945 galt sie als verschollen. Über fünfzig Jahre wurden die Sammlung im Archiv-Museum für Literatur und Kunst der Ukraine als Fond 441 aufbewahrt, sie befindet sich aufgrund der Fürsorge des Archiv-Museums in einem exzellenten Zustand. Trotz gleicher Auffassungen von der Unteilbarkeit von Archiven übergab die Sing-Akademie zu Berlin der Ukraine 33 Kompositionen aus ihrem wertvollen Archiv als Geschenk und zum Dank für die sorgfältige Betreuung ihres Notenbestandes. Es handelt sich dabei um Handschriften und Drucke slawischer Provenienz.
Die Rückkehr des Notenarchivs der Sing-Akademie markiert einen bedeutenden Erfolg in der Frage der Restitution von kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut. Es gehört zu den wertvollsten deutschen kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, die nach dem Fall der Mauer aus einem Land der früheren Sowjetunion nach Deutschland zurück kehrten.
Nach der Entdeckung der Sammlung durch Professor Christoph Wolff wurde diese mit Unterstützung des Packard Humanities Institute Los Altos/California USA (PHI) sowie mit Mitteln der Staatsbibliothek zu Berlin auf Grundlage des international geltenden US-Copyrights durch das Archiv-Museum in Kiew mikroverfilmt. So konnten die Musikalien für die Forschung in Kiew, Harvard, Leipzig und Berlin frühzeitig zugänglich gemacht werden.
Das erste wissenschaftliche Projekt zum Archiv der Sing-Akademie ist die vom PHI geförderte Gesamtausgabe der Werke Carl Philipp Emanuel Bachs unter dem Titel „The Collected Works of C.P.E. Bach“. Hierbei kooperiert das Bach-Archiv Leipzig und die Sing-Akademie zu Berlin mit dem Herausgeberkollegium unter der Leitung von Christopher Hogwood. Hogwood stellte bereits im März dieses Jahres in Boston als erstes repräsentatives Chorwerk der neuen wissenschaftlichen Ausgabe der Werke von Carl Philipp Emanuel Bach die Dank-Hymne an die Freundschaft vor. Dieses Werk wurde über 200 Jahre nicht aufgeführt.
Weitere Projekte sind in Planung: Unter Federführung der Staatsbibliothek zu Berlin wird der Bestand katalogisiert. Die Zentrale Ukrainische Archivverwaltung wird die Geschichte des Bestandes seit 1945 dokumentieren. Für die spätere Online-Nutzung des Notenarchivs strebt die Sing-Akademie eine Zusammenarbeit mit dem Steglein-Verlag Ann Arbour / USA an.
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