Die Briefsammlung der Berliner Sing-Akademie
Das Archiv der Berliner Sing-Akademie stellt eine einzigartige Sammlung von Dokumenten dar, die einen wichtigen Meilenstein in der Musik- und Kulturgeschichte Deutschlands des 18. und 19. Jahrhunderts widerspiegeln. Besondere Aufmerksamkeit verdient die umfangreiche Briefsammlung (etwa 600 Signaturen – N.Mus. SA 322-827), die einen wesentlichen Teil des Archivs ausmacht.
Im Mittelpunkt der Sammlung stehen bedeutende Persönlichkeiten der Musikgeschichte. So ein wesentlicher Teil der Korrespondenz ist mit dem Namen Karl Friedrich Zelter (1758-1832) – einem deutschen Musikpädagogen, Dirigenten und Komponisten, der die Sing-Akademie von 1800 bis 1832 leitete – verbunden. Dank seiner Sammelleidenschaft wurde die Grundlage für das Notenarchiv der Akademie geschaffen.Zelter war nicht nur ein Musiker, sondern auch ein hervorragender Organisator des Musiklebens in Berlin. Als Sohn eines Maurers folgte er zunächst den Fußstapfen seines Vaters, aber bald überwog sein musikalisches Interesse seine handwerkliche Berufung. Zelter erhielt seine musikalische Ausbildung bei Karl Friedrich Christian Fasch, dem Gründer der Sing-Akademie, die er später nach dem Tod seines Lehrers übernahm. Unter Zelters Leitung entwickelte sich die Akademie zu einem der führenden Musikinstitute Deutschlands. Sie erweiterte ihr Repertoire erheblich und erlangte internationale Anerkennung.
Von besonderem Interesse ist Zelters enge Freundschaft mit Johann Wolfgang von Goethe, mit dem er einen langjährigen Briefwechsel führte. Zelter ist auch als Lehrer von Felix Mendelssohn Bartholdy bekannt, dessen außergewöhnliches Talent er früh erkannte und förderte.
Eine weitere wichtige Persönlichkeit, die im Archiv vertreten ist, ist Karl Friedrich Rungenhagen (1778-1851) – deutscher Komponist, Dirigent und Musikpädagoge, Zelters Nachfolger als Direktor der Sing-Akademie von 1833 bis 1851. Rungenhagen begann seine Karriere als Beamter, widmete sich aber allmählich vollständig der Musik. Er wurde 1801 Mitglied der Sing-Akademie und stieg später zum Assistenten des Direktors auf. Nach Zelters Tod übernahm er die Leitung der Institution.
Unter Rungenhagen setzte die Sing-Akademie die von seinem Vorgänger begründeten Traditionen fort. Er war bekannt für seine Oratorien und Kirchenmusik sowie für seine pädagogische Tätigkeit. Rungenhagen förderte die Popularisierung der Werke Bachs und anderer alter Meister, was der historischen Richtung in der Musikkultur jener Zeit entsprach.
Die Analyse der Briefe zeigt eine breite geografische Verteilung der Korrespondenz, die nicht nur Berlin umfasst, sondern auch andere Städte: Stettin (heute Szczecin), Danzig (heute Gdańsk), Breslau (heute Wrocław), Marienwerder sowie Dresden, Leipzig, Paris und andere europäische Kulturzentren.
Unter den Korrespondenten finden sich bedeutende Persönlichkeiten jener Zeit:
- Johann Gottlieb Friedrich Zenker (1753-1826) – deutscher Theologe, Pädagoge und Musiker. Er diente als Kantor an der Nikolaikirche in Berlin und war als talentierter Organist bekannt. Er nahm aktiv am Musikleben Berlins teil und war eines der frühen Mitglieder der Sing-Akademie.
- August Hartung (1774-1849) – Komponist und Musikkritiker, einer der einflussreichen Mitglieder der Berliner Musikgemeinschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Seine musikkritischen Artikel wurden in führenden Berliner Zeitschriften veröffentlicht.
- Prinzessin Louise Ferdinand von Preußen (1770-1836) – Vertreterin der preußischen Königsfamilie, Nichte Friedrichs des Großen. Als bekannte Kunstmäzenin unterstützte sie viele Musiker und Künstler ihrer Zeit. Sie unterhielt eine eigene Kapelle und organisierte musikalische Salons, in denen häufig Werke zeitgenössischer Komponisten aufgeführt wurden.
- Graf Otto Karl Freiherr von Voß (1755–1823) – preußischer Hofbeamter und Staatsmann, bekannt für seine Förderung von Musik und Kunst. Er stand dem königlichen Hof nahe und hatte erheblichen Einfluss auf das kulturelle Leben Berlins.
- David Rienaecker (1772–1840) – Berliner Kaufmann und Mäzen, einer der Gründer und ständigen Förderer der Sing-Akademie. Seine finanzielle Unterstützung war besonders wichtig für die Akademie in den schwierigen Zeiten der Napoleonischen Kriege.
Die Korrespondenz wurde auch mit anderen Musikern, Komponisten, Sängern, Staatsbeamten und Kunstschaffenden geführt.
Die Briefe umfassen den Zeitraum von 1797 bis 1851, mit der größten Aktivität in den Jahren 1800-1810 und 1830-1845. Diese Perioden entsprechen der Zeit der aktivsten Tätigkeit von Zelter und Rungenhagen an der Spitze der Sing-Akademie. Zusätzlich zu diesen historischen Dokumenten umfasst das Archiv weitere 1.263 Briefe aus jüngerer Zeit.
Der Inhalt der Briefe ist sehr vielfältig – von persönlicher Korrespondenz bis hin zu offiziellen Dokumenten. Sie umfassen Einladungen, Mitteilungen, Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben sowie Mitgliederlisten der Sing-Akademie. Viele Briefe betreffen administrative Fragen, die Organisation von Konzerten und Diskussionen über musikalische Werke und Repertoire. Dies gibt Einblicke in den Alltag und die Funktionsweise einer der führenden Musikinstitutionen jener Zeit.
Die Briefsammlung der Sing-Akademie ermöglicht, nicht nur die beruflichen und persönlichen Verbindungen der Musiker zu rekonstruieren, sondern auch die Entwicklung der Musikkultur in Berlin und Deutschland in der Zeit der Entstehung der nationalen Komponistenschule zu verfolgen.
Mehrere Informationen zum Archiv der Sing-Akademie zu Berlin finden Sie im Blog-Beitrag von Alan Rautenberg.
Bereits im Rahmen des Projekts katalogisierte Briefe finden Sie in Kalliope und den Digitalisierten Sammlungen.
Autorin: Maria Bogdnanovich
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