Badefreuden in der Straße von Gibraltar oder: Der Kaiser im Krebsgang
Das „Nonplusultra“ und der krönende Abschluss unseres Ausstellungs-Blogs: Das in unserer Ausstellung „Bibel – Thesen – Propaganda“ gezeigte Flugblatt gegen Karl V. wird enträtselt!
Ein Beitrag von Christiane Caemmerer. Vorarbeiten: Eddie Zuber. Typ(en)beratung: Oliver Duntze.
Kaiser-Bashing in Wort und Bild
Der kolorierte Holzschnitt des Flugblattes (unser Beitragsbild) gestaltet das persönliche Wappen Kaiser Karls V. (1500-1558) zur Herrscherkritik um: Die beiden Säulen des Herakles als Symbol für die beiden Felsenberge, die die Straße von Gibraltar einfassen und eigentlich die Grenzen der bewohnten Welt anzeigen, sind bis heute Teil des spanischen Wappens und werden von einem Schriftband mit der persönlichen Devise Karls V. umschlungen, der aus dem „Non Plus Ultra“ (wörtlich: nicht mehr weiter), das der Sage nach Herakles an den beiden Felsen angebracht hatte, ein „Plus Ultra“ bzw. hier „Plvs ovltre“ (immer weiter) gemacht hatte. Säulen und Schriftband beziehen sich auf das spanische Weltreich, in dem die Sonne nicht unterging. So drückte der Kaiser seinen Anspruch auf eine universelle Weltherrschaft aus.
Zwischen die Säulen aber, die sonst von dem spanischen Johannisadler gehalten werden, hat der unbekannte Künstler im Holzschnitt ein Kind gesetzt, das mit der kaiserlichen Krone und den Reichsinsignien ausgestattet ist und auf einem Krebs im wilden Meer reitet. Kann das gut gehen? Ein kindischer Herrscher auf einem Krebs, der bekanntermaßen rückwärts oder seitwärts, aber niemals vorwärts geht! Und so formuliert es ja schon die Überschrift des Flugblattes: „All mein fürnemen hand anfang.Recht wie der kreps verbringt sein gang“.
Mehr wäre fast nicht zu sagen, um die Meinung der Blattgestalter zu transportieren. Das Bild wird aber von einem dreispaltigen, meist paargereimten Text umschlossen, der noch einmal die Herrscherkritik deutlich macht. Der Ich-Erzähler schildert die Lage im Deutschen Reich als verheerend. In einer anschließenden Traumvision begegnet ihm das Kind des Holzschnitts, das sich als der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches herausstellt. Die darauf folgende Zeitklage wird angeführt von einem Zitat aus Prediger 10, 16-17:
Weh dir, Land, dessen König ein Kind ist, und dessen Fürsten in der Frühe speisen!
Wohl dir, Land, dessen König edel ist, und dessen Fürsten zu rechter Zeit speisen, zur Stärke und nicht zur Lust!
Dies, so der Sprecher, ist in Deutschland, wie im ganzen Heiligen Römischen Reich nicht mehr der Fall. Von der Kritik am Kaiser geht der Sprecher über zu einer Kritik an Papst Paul III. (1468-1549) und der katholischen Kirche, um mit einem Zitat aus Jesaja 38 in französischer Sprache zu enden, das Holbein der Jüngere benutzte, um in seinem Totentanzzyklus einen Kaiser als guten Herrscher zu charakterisieren, was hier als Warnung und Aufforderung zu verstehen ist:
De ta maison disposeras
Comme de ton bien transitoire,
Car la ou mort reposeras,
Serunt les chariotz de ta gloire.
Wann und wo entstand dieses Flugblatt?
Das Flugblatt mit dieser heftigen Zeitkritik ist anonym, ohne Ort und Jahr erschienen. Es gibt aber Möglichkeiten, es genauer zu datieren und räumlich zu verorten. Der Text legt nahe, dass es in einer Zeit gedruckt wurde, als Karl V. in Deutschland gegen die Protestanten Krieg zu führen begann. Die Schlacht bei Mühlberg, die in einer bitteren Niederlage des protestantischen Schmalkaldischen Bundes endete, fand 1547 statt, das Augsburger Interim wurde 1548 verabschiedet und Papst Paul III. war noch im Amt. Damit muss das Flugblatt vor seinem Tod am 10. November 1549 entstanden sein.
Untersucht man die verwendeten Drucktypen, so ergibt sich die Möglichkeit, das Blatt zu lokalisieren und die Datierung zu stützen. Als Drucker lässt sich vielleicht Hans Varnier aus Ulm ausmachen. Er druckte neben lokalen Druckerzeugnissen wie Verordnungen und Schulbüchern zwischen 1531 und 1561 auch Schriften religiöser Dissidenten und Schwärmer wie Sebastian Franck und Caspar Schwenckfeld. Darüber hinaus wurde ihm 1549 untersagt, Texte gegen das Interim zu drucken. In den späten 1550er Jahren wurde er sogar wegen des Vertriebs und Drucks eines antikatholischen Pasquills (Flug- bzw. Schmähschrift) in den Turm geworfen.
Hans Varnier wurde als Drucker eines 1546 ebenfalls unfirmiert, d.h. ohne Druckerangabe erschienenen Textes von Johann Schradin identifiziert, der „Expostulation, das ist Klage und Verweis Germaniae, des deutschen Landes, gegen Carolo Quinto“. Darin belauscht ein Sprecher-Ich die Germania bei ihrer großen Anklage gegen Kaiser Karl V. – und diese Attacke gegen Kaiser Karl V. ähnelt sehr der Kritik unseres Blattes.
Vermutlich also ist das Flugblatt bei Hans Varnier in Ulm zwischen 1546 und 1549 erschienen, vielleicht sogar erst nach dem 1548 als Reichsgesetz von Karl V. erlassenen Augsburger Interim, wenn man den Satz: „Wir wendt ehe liden Todtes pein / Ehe wir halten die satzung dein“ als Hinweis auf das Interims lesen will.
Dass die Urheber des Druckes sich für eine anonyme Herstellung entschieden, zeigt, dass es nicht ungefährlich war, Staat und Kirche, Kaiser und Papst auf diese Weise zu attackieren. Kind und Krebs beim Wasserspiel im kolorierten Holzschnitt bereiteten den zeitgenössischen Lesern vielleicht ebenso viel Vergnügen wie uns, hatten aber für sie noch eine ganz andere politisch-religiöse Dimension.
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