Ein Koloss voller Bilder und Geschichten: Die Bible historiale von 1368 – Teil 3
Ein Beitrag von Gabriele Bartz
Die Miniaturen
Das Frontispiz der Berliner Bible historiale des Colin Nouvel von 1368 (Ms. Phill. 1906, Bl. 8) ist die aufwendigste Miniatur des gesamten Bandes: Nahezu halbseitig, mit einer großen Dornblatt-Initiale, rahmenden Zierleisten, Dornblatt auf allen vier Seiten und musizierende Engelchen zwischen den Spalten und unten auf dem Bas-de-page. Solche großen Miniaturen tauchen nur noch zweimal auf, zu Beginn der Psalmen, Bl. 221, und zu Beginn der Proverbien, Bl. 255. Sie dienen der optischen Aufteilung der Handschrift, wie auch die spaltenbreiten Miniaturen jeweils wichtige Abschnitte markieren, meistens die Buchanfänge. Einige Bibelbücher werden aber auch mit weiteren Miniaturen als Binnengliederung geschmückt, so etwa die Bücher Genesis, Exodus, Psalmen und die Apokalypse. Insgesamt schmücken 131 solcher kleinen Bilder die Handschrift.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Eingangsminiatur einem Maler anvertraut wurde, der besonders geschätzt wurde, so auch hier. Man erkennt es schon an den Randdekorationen, die einen deutlich anderen Stil zeigen als die übrigen. Der Maler der Trinität wird in das Umfeld des Meisters des Jean de Sy eingeordnet, der Maler der anderen Dekorationen erhielt seinen Namen nach dieser Handschrift. Akiko Komada sah ihn auch in der Pariser Bible historiale fr. 5, Bl. 479v als Maler der dort einzigen Miniatur zur Apokalypse sowie in der Den Haager Bible historiale 78 D 43, mit der auch das Frontispiz weitgehend übereinstimmt, wobei dort nur ein thronender Christus (Maiestas Domini), kein Trinitätsbild erscheint.
Schaut man sich das fertige Ergebnis an, erscheinen die in den Bildern gezeigten Motive schlüssig; doch woher wussten die Buchmaler überhaupt, was sie darstellen sollten? Oft genug nahmen sie sich die Rubriken zu Hilfe, weil sie den Inhalt der folgenden Bücher/Kapitel zusammenfassen. Zusätzlich orientierte man sich an Vorbildhandschriften oder, wie hier noch an manchen Stellen zu sehen, der Schreiber – hier also Colin Nouvel – machte am Rand Angaben, so z. B. ganz unten auf Bl. 119. Die optische Umsetzung von Sprache erzielt dabei nicht immer das richtige Ergebnis, wenn z. B. bei der Apokalypse ein Drache gefordert ist und er dabei mehr wie eine Drolerie aus einer Bordüre aussieht. Gleichzeitig machen kleine Buchstaben am Rand neben den Miniaturen, wie z. B. auf Bl. 497, deutlich, wie wenig dem Zufall überlassen wurde: Sie geben sogar die Farbe des Hintergrunds an, hier ist es ein „b“ für brun.
Um eine solche Menge von Miniaturen zu realisieren, ist pragmatisches Vorgehen nötig. Wenn bei Genesis viele schaffende Götter erforderlich sind, greift der Buchmaler zu Variationen einer Vorlage (beide Bl. 10v). Ähnliches kann man bei den vier Evangelisten beobachten (Bl. 394v, 408v, 419 und 437). Auch Adam hat sich seit seiner Erschaffung nicht bewegt.
Nicht nur die Miniaturen machen die Bibel von 1368 zu einem kostbaren Stück, auch die ungeheure Menge der mit Gold gearbeiteten Initialen tragen wesentlich zu einem wirklich teuren Buch bei. Die kleineren Initialen – bis drei Zeilen hoch – werden in Gold ausgeführt und mit Rosa und Blau gefüllt (Flächen-Initiale oder Lettre champie), während die größeren in Farbe gestaltet sind, die Füllung aber aus Gold und Ranken besteht (Dornblatt-Initiale), von denen wiederum Ranken ausgehen. Hinzu kommen noch in Gold und Farbe gestaltete Zeilenfüller. Es ist äußerst selten, dass ein Manuskript mit so viel Gold ausgestattet wurde. Dieses Vorgehen führt zu Seiten wie den Beginn der Litanei auf Bl. 254, wo die einzeiligen S-Initialen einen durchgehenden goldenen Streifen bilden.
Die Handschrift ist von September bis Dezember 2024 im Stabi Kulturwerk zu sehen oder auch online zu blättern.
Literatur:
Eléonore Fournié, « Les manuscrits de la Bible historiale. Présentation et catalogue raisonné d’une œuvre médiévale », L’Atelier du Centre de recherches historiques 03.2 | 2009, mis en ligne le 01 janvier 2010. URL : http://journals.openedition.org/acrh/1408
Fournié, Eléonore : Catalogue des manuscrits de la Bible historiale (1/3) , in : L’Atelier du Centre de recherches historiques [En ligne], 03.2 | 2009, mis en ligne le 30 septembre 2009, URL : http://journals.openedition.org/acrh/1467.
Komada , Akiko: Les illustrations de la „Bible historiale“: les manuscrits réalisés dans le Nord : thèse pour le doctorat nouveau régime, septembre – octobre 2000.
Dominique Stutzmann und Piotr Tylus, Les manuscrits medievaux francais et occitans de la Preussische Staatsbibliothek et de la Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz. – Wiesbaden: Harrassowitz, 2007 (Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung: Reihe 1. Handschriften; Bd. 5), S. 244-248.
Weitere Beiträge zur Handschrift finden Sie hier und hier.
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