Literatur aus Osteuropa in deutscher Übersetzung – Neuerwerbungen
Die Staatsbibliothek blickt auf eine lange Tradition osteuropäischer Literaturerwerbung zurück. Neben der Forschungsliteratur hat auch die Belletristik einen festen Platz in der Osteuropa-Sammlung. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Literaturproduktion in den osteuropäischen Originalsprachen. Die deutschsprachigen Übersetzungen, deren Anschaffung zu den Sammelschwerpunkten der Deutschen Nationalbibliothek gehört, finden jedoch in einer gewissen Auswahl den Weg auch in unseren Bibliotheksbestand. Die sogenannte schöne Literatur spiegelt vielfach aktuelle gesellschaftliche, kulturelle und politische Verhältnisse sowie künstlerisch-ästhetische Richtungen und Ambitionen der jeweiligen Entstehungszeit wider und ermöglicht bei der Lektüre den Blick auf das Andere, wie auch auf Verbindendes. Die Übersetzungen sollen nicht nur den Zugang zur osteuropäischen Literatur, zum Beispiel für interdisziplinäre Forschungen, erleichtern, sondern repräsentieren auch ein Stück Rezeptionsgeschichte der osteuropäischen Literatur in Deutschland.
Neben zeitgenössischen Übersetzungen erleben wir auch das Phänomen von Erst- und Neuübersetzungen belletristischer Werke, die bereits vor längerer Zeit im Original erschienen sind, und nun als Neu- oder Wiederentdeckungen von dem deutschen Lesepublikum erkundet werden können. Dabei ist uns die Wahrnehmung der Leistung von Übersetzer:innen, die literarische Schätze heben, neues Kulturgut schöpfen und Kultur aktiv an die deutschen Leser:innen vermitteln, besonders wichtig.
In der Vitrine vor dem Osteuropa-Lesesaal zeigen wir folgende neu erworbenen Übersetzungen:
Bator, Joanna: Bitternis. Roman
Aus dem Polnischen von Lisa Palmes. Deutsche Erstausgabe. Berlin, 2023. 826 Seiten.
ISBN 978-3-518-43131-3
Signatur: 10 A 180103
Joanna Bator (geb. 1968) ist eine vielfach ausgezeichnete polnische Schriftstellerin. Ihr Roman Bitternis, 2020 unter dem Titel Gorzko, gorzko in Polen erschienen, erzählt die Geschichte der Familie Chmura in der fiktiven Stadt Wałbrzych über mehrere Generationen. Im Zentrum stehen die Frauen der Familie, ihre persönlichen Schicksale und Erfahrungen von Krieg, politischen Umbrüchen und wirtschaftlichen Veränderungen. Die Übersetzerin Lisa Palmes (geb. 1975) hat bereits frühere Werke der Autorin sowie weiterer polnischer Schriftsteller:innen ins Deutsche übertragen.
Weitere Werke der Autorin und über Joanna Bator im StabiKat: hier
Die Übersetzerin Lisa Palmes im StabiKat
Wyleżyńska, Aura: Die Zauberstadt
Illustrationen von A. Sikorska. Aus dem Polnischen von Halina Simon. Deutsche Erstübersetzung. Hamburg, 2023. 115 Seiten.
ISBN 978-3-9824578-2-6
Signatur: 10 A 182931
Der Roman Die Zauberstadt (poln. Czarodziejskie miasto) beschreibt die Großstadterfahrung einer jungen Frau nach einer gescheiterten Beziehung. Schmerz und Trauer treffen im Paris der 1920er Jahre auf die Magie einer pulsierenden Stadt … Die inzwischen nahezu vergessene Autorin Aurelia/Aura Wyleżyńska (1881-1944) hat diese Stadt nach geschiedener Ehe selbst erlebt. Fast einhundert Jahre nach dem Erscheinen des Romans 1928 liegt er nun erstmals auch in deutscher Übersetzung vor, von Halina Simon (geb. 1956) angefertigt und in ihrem Hamburger TERAZ Verlag verlegt.
Weitere Werke der Autorin im StabiKat: hier
Die Übersetzerin und Autorin Halina Simon im StabiKat
Mickiewicz, Adam: Pariser Vorlesungen über die slavische Literatur und ihre Kontexte
Neue Redaktion der deutschen Übersetzung von Gustav Siegfried. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Walter Kroll. Paderborn, 2023. (Polen in Europa)
ISBN 978-3-506-79099-6
Band 1 (1840-1841): 10 A 175810
Band 2 (1841-1842): 10 A 175812
Band 3 (1842-1843, 1843-1844, Nachwort): 10 A 175813
Die dreibändige Ausgabe basiert auf Adam Mickiewiczs Vorlesungen De la littérature slave/Les Slaves (1840-1844) am Pariser Collège de France. Mickiewicz (1798-1855) präsentierte die slawische Literatur als einen einheitlichen Raum des friedlichen Wettbewerbs und beleuchtete die geistig-politische Geschichte der Slawen. Die Vorlesungen fanden großen Anklang und beeinflussten die Entwicklung der französischen Slawistik erheblich. Die zeitgenössische deutsche Übersetzung von Gustav Siegfried trug zur Verbreitung im deutschsprachigen Raum bei. Die von Walter Kroll (geb. 1941) herausgegebene Edition Pariser Vorlesungen über die slavische Literatur und ihre Kontexte wahrt den Originalstil und enthält zahlreiche Korrekturen sowie umfangreiche Anmerkungen. In seinem ausführlichen Nachwort analysiert er die narrativen Strukturen der Vorlesungen, die historische, mythologische, sprachhistorische, philosophische, literarische und politische Elemente umfassen. Sein Werk spricht die aktuelle slawistische und vergleichende Literaturwissenschaft an und regt zur weiteren Erforschung und Zusammenarbeit im Bereich der slawischen Fragestellungen an.
Weitere Werke des Autors und über Adam Mickiewicz im StabiKat: hier
Der Übersetzer Gustav Siegfried im StabiKat
Der Herausgeber und Autor Walter Kroll im StabiKat
Oksanen, Sofi: Fegefeuer. Roman
Aus dem Finnischen von Angela Plöger. Köln, 2010. 395 Seiten.
ISBN 978-3-462-04234-4
Signatur: 10 A 186023
Der Roman Fegefeuer (finn. Puhdistus) erschien 2008 im Original und ist der dritte vielfach ausgezeichnete und mittlerweile in 38 Sprachen übersetzte Roman von Sofi Oksanen (geb. 1977). Erzählt wird von zwei Frauen, einer alten Estin und einer jungen Russin, die sich wie zufällig in einem estnischen Dorf begegnen. In Rückblenden, die bis in die Vorkriegszeit reichen, offenbart sich die Geschichte, die beide verbindet.
Die Übersetzerin Angela Plöger (geb. 1942) studierte Finno-Ugristik und Slawistik und übersetzt aus dem Finnischen, Ungarischen und Russischen ins Deutsche. Sie hat bereits fünf Romane und das Essay Putins Krieg gegen die Frauen (2023, Deutsch 2024) von Sofi Oksanen übersetzt.
Weitere Werke der Autorin und über Sofi Oksanen im StabiKat: hier
Die Übersetzerin und Autorin Angela Plöger im StabiKat
Delʹfinov, Aleksandr: Der verborgene Fluss
Aus dem Russischen von Heinrich Siemens. 1. Auflage. Bonn, 2023. 233 Seiten.
ISBN 978-3-944985-22-0
Signatur: 10 A 182402
Alexander Delphinov (geb. 1971), russischer Poet und Gewinner von Poetry-Slam-Festivals, Mitbegründer des Kulturzentrums PANDA platforma, lebt seit 2001 in Deutschland. Der verborgene Fluss (russ. Sokrovennaja Čura) ist sein Prosa-Debüt, das sich der Gesellschaft der späten Sowjetunion widmet und nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt. Der Übersetzer und Germanist Heinrich Siemens (geb. 1964) hat bereits Viktor Pelevin übersetzt und erforscht das Plautdietsche, die Sprache der Russlandmennoniten.
Weitere Werke des Autors im StabiKat: hier
Der Übersetzer und Autor Heinrich Siemens im StabiKat
Demidov, Georgij Georgievič: Fone Kwas oder Der Idiot
Aus dem Russischen von Irina Rastorgueva und Thomas Martin. Köln, 2023. 196 Seiten.
ISBN 978-3-86971-288-8
Signatur: 10 A 180108
Georgi Demidow (1908-1987) war ein sowjetischer Physiker, der 1938 verhaftet wurde und 14 Jahre im Strafgefangenenlager Kolyma überlebte. Seine Gulag-Erfahrungen hat er in dem Roman Fone Kwas oder Der Idiot verarbeitet. Den Fone Kwas, ein jiddischer Ausdruck für einen Narren oder Trottel, gibt ein inhaftierter Wissenschaftler, der hofft, mit unglaublichen „Geständnissen“ Verhör bzw. Folter verkürzen zu können und schnell verurteilt zu werden … Demidows Manuskripte wurden 1980 beschlagnahmt und erst nach seinem Tod wieder an die Familie zurückgegeben. Die Übersetzer:innen Irina Rastorgueva (geb. 1983) und Thomas Martin (geb. 1963) haben dieses Werk für den deutschen Sprachraum entdeckt und übersetzt.
Weitere Werke des Autors und über Georgij Demidov im StabiKat: hier
Die Übersetzerin und Autorin Irina Rastorgueva im StabiKat
Der Übersetzer und Autor Thomas Martin im StabiKat
Kveder, Zofka: Ihr Leben: Roman
Aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut. Mit einem Nachwort von Peter Scherber. Klagenfurt/Celovec; Trst/Trieste, 2023. 221 Seiten. (Slowenische Bibliothek)
ISBN 978-3-99029-628-8
Signatur: 10 A 185487
Zofka Kveder (1878-1926) war eine bedeutende slowenische Schriftstellerin und Journalistin, die in Bern und München studierte und in Triest, Prag und Zagreb lebte. Sie setzte sich intensiv für die Rechte der Frauen ein und redigierte mehrere Frauenzeitschriften in Zagreb. Kveder übersetzte viele Werke ins Slowenische und war die erste Übersetzerin von Ivan Cankar ins Deutsche. Ihre literarischen Arbeiten thematisieren die oft desolate Lage der Frauen. Ihr Roman Ihr Leben (1914) behandelt die Leidensgeschichte der Protagonistin Tilda, die in einer unglücklichen Ehe gefangen ist und ihre Identität als Ehefrau und Mutter entdeckt. Der Roman zeigt naturalistische Elemente und kann als Dialog mit den Weiblichkeits- und Mutterschaftsbildern von Ivan Cankar gelesen werden. Das Werk ist in der Reihe „Slowenische Bibliothek“ erschienen, die slowenische Prosa in deutscher Erstübersetzung zugänglich macht.
Weitere Werke der Autorin und über Zofka Kveder im StaBiKat: hier
Die Übersetzerin Daniela Kocmut im StabiKat
Kurkov, Andrej: Samson und das gestohlene Herz: Roman
Aus dem Russischen von Johanna Marx und Claudia Zecher. Zürich, 2023. 432 Seiten.
ISBN 978-3-257-07257-0
Signatur: 10 A 182087
Der ukrainische Autor Andrej Kurkow, geb. 1961 in Leningrad, lebt als freier Schriftsteller in der Ukraine und schreibt in russischer Sprache. Das Buch Samson und das gestohlene Herz (russ. Serdce ne mjaso) spielt im Kiew der Revolutionsereignisse vor einhundert Jahren. Dieser Kriminalroman knüpft nahtlos an die Geschehnisse seines vorherigen Buches Samson und Nadjeschda (Signatur 10 A 153084) an. Die Übersetzerinnen Johanna Marx und Claudia Zechner legen hier die deutsche Erstübersetzung vor.
Weitere Titel des Autors und über Andrej Kurkov im StabiKat: hier
Die Übersetzerin Johanna Marx im StabiKat
Denemarková, Radka: Stunden aus Blei
Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Hamburg, 2022. 878 Seiten.
ISBN 978-3-455-01044-2
Signatur: 10 A 137389
Radka Denemarková, geb. 1968 in Kuttenberg, ist eine tschechische Schriftstellerin und Übersetzerin. Der große politische Roman Stunden aus Blei war in Tschechien Buch des Jahres 2019. Es befasst sich mit der totalitär regierten Gesellschaft im heutigen China. Die Autorin wirft der Volksrepublik schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und gewissenlose Bereicherung vor. Denemarková darf das Land nicht mehr betreten. Das Werk wurde von Eva Profousová, 1963 in Prag geboren und seit 1983 in Hamburg lebend, ins Deutsche übertragen. Sie ist freiberufliche Literaturübersetzerin und hat auch Jáchym Topol, Jaroslav Rudiš und Tereza Boucková ins Deutsche übersetzt.
Weitere Werke der Autorin und über Radka Denemarková im StabiKat: hier
Die Übersetzerin und Autorin Eva Profousová im StabiKat
Holan, Vladimír: Nacht mit Hamlet
Aus dem Tschechischen von Reiner Kunze. Hamburg, 1969. 63 Seiten.
ISBN 978-3-455-01044-2
Signatur: 10 A 183774
Das Gedicht Nacht mit Hamlet von Vladimír Holan (1905-1980) wurde zwischen 1949 und 1962 geschrieben und gehört zweifellos zu den Spitzenwerken der tschechischen Poesie des 20. Jahrhunderts. Es ist ein düsteres, tragisches Werk, das sich mit Fragen der menschlichen Existenz, der Sterblichkeit, der Liebe und der Kunst beschäftigt. Der Dichter selbst bezeichnete diese Zeit als die grausamsten Jahre seines Lebens. Übersetzt wurde das Werk von dem bekannten Dichter und Schriftsteller Reiner Kunze (geb. 1933), der neben vielen anderen Ehrungen auch den Übersetzerpreis des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes erhalten hat.
Weitere Werke des Autors und über Vladimír Holan im StabiKat: hier
Werke des Dichters und Übersetzers sowie über Reiner Kunze im StabiKat
Bulgakov, Michail: Das Hundeherz: eine monströse Geschichte
Aus dem Russischen neu übersetzt von Alexandra Berlina. München, 2023. 157 Seiten.
ISBN 978-3-7306-1321-4
Signatur: 10 A 180109
Michail Bulgakov (1891-1940), Autor des Kultromans Der Meister und Margarita bedient sich in seiner 1925 entstandenen Erzählung Das Hundeherz (russ. Sobačʹe serdce) der „tierischen“ Satire, um insbesondere das Thema des Neuen Sowjetmenschen in der Sowjetunion der 1920er Jahre kritisch zu reflektieren. Das rief die Zensur auf den Plan, so dass das Werk erst 1987 offiziell in der Sowjetunion erscheinen konnte. Alexandra Berlina (geb. 1984) besorgte die Neuübersetzung. (Dieser Band befindet sich nicht in der Vitrine.)
Weitere Werke des Autors und über Michail Bulgakov im StabiKat: hier
Die Übersetzerin und Autorin Alexandra Berlina im StabiKat
Różycki, Tomasz: Kolonien: Gedichte
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann. Berlin, 2023. 85 Seiten.
ISBN 978-3-949262-13-5
Signatur: 10 A 183125
Tomasz Różyckis Gedichtband Kolonie, 2006 in Polen erschienen und nun von Bernhard Hartmann für das deutschsprachige Publikum übersetzt sowie mit einem Nachwort versehen, besteht aus 77 Gedichten, die sich Themen wie Erinnerung, Identität und dem Erbe des Kolonialismus widmen und dem Verhältnis von historischem Ereignis und persönlicher Erinnerung, individuellem und kollektivem Gedächtnis. Różycki (geb. 1970) nutzt eine Vielzahl von literarischen Techniken, die seine poetische Sprache musikalisch und komplex machen. Der Übersetzer Bernhard Hartmann (geb. 1952), Polonist und Germanist, hat bereits zahlreiche Werke aus dem Polnischen übersetzt und wurde für seine Übersetzungsleistungen mehrfach ausgezeichnet. (Dieser Band befindet sich nicht in der Vitrine.)
Weitere Werke des Autors und über Tomasz Różycki im StabiKat: hier
Der Übersetzer und Autor Bernhard Hartmann im StabiKat
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Kontakt und Wissenswertes zum Thema
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