Astronomie und Astrologie in Südostasien
Ein Beitrag aus unserer Reihe Unser Universum zum Wissenschaftsjahr 2023
Der beobachtende Blick zum nächtlichen Himmel ist vermutlich so alt wie die Menschheitsgeschichte. Astronomie ermöglichte die Feststellung periodischer Zeiträume in Kalendersystemen und damit letztendlich auch eine weitgehend verlässliche Vorhersage wiederkehrender Ereignisse wie etwa den Beginn der für die Landwirtschaft im alten Ägypten so wichtigen Nilflut. Die kanonische Geschichtsschreibung abendländischer Astronomie würdigt meist in zwei Sätzen die Babylonier und Ägypter für ihr astronomisches Wissen, um dann im antiken Griechenland willkürlich mit der eigentlichen astronomischen Geschichtsschreibung zu beginnen. In der Folge wird Europa für sehr viele Jahrhunderte als Zentrum der astronomischen Forschung ausgewiesen. Eine kritische Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte zeigt jedoch sehr deutlich, dass es große blinde Flecken in Bezug auf die Leistung außereuropäischer Astronomie gibt. Eine Region, die das in ihrer kulturellen Vielfalt und durch ihre Geschichte hindurch sehr eindrucksvoll beweist, ist Südostasien, eine der heterogensten und dynamischsten Regionen der Erde.
Mit der heutigen Größe von 4,5 Mio. km² ist Südostasien etwas größer als die Europäische Union (4,1 Mio km²) und besteht aus 11 Staaten, in denen derzeit rund 655 Mio. Menschen (ca. 8.5% der Weltbevölkerung) leben. Geographisch wird die Region in Festland- und Insel-Südostasien geteilt. Zu Festland-Südostasien gehören die drei indochinesischen Länder Vietnam, Kambodscha und Laos sowie Thailand und Myanmar (Burma), Peninsular Malaysia und Singapur. Zu den Ländern der Inselwelt zählen Indonesien, Teile Malaysias, Brunei, Osttimor und die Philippinen.
Südostasien ist eine Region mit großer Vielfalt an Ethnien, Kulturen und Glaubensvorstellungen. Hier treffen auch in der regionalen astronomischen und astrologischen Tradition Einflüsse der großen Nachbarkulturen Indiens und Chinas auf lokale, animistische Vorstellungen. Mit der Ankunft des Islam gelangte zunehmend das Wissen arabischer Gelehrter in die Region und spätestens mit der Kolonialisierung Südostasiens ab dem 18. Jhd. übte auch die europäische Astronomie ihren Einfluss auf diese vielfältige Mischung an Erkenntnissen und Traditionen aus.
Die Kalendersysteme Festlandsüdostasiens
Der Einfluss indischer Kultur auf Südostasien ist besonders herausragend. Theravada-Buddhismus und Hinduismus konnten sich über Jahrhunderte hinweg sowohl auf dem Festland als auch auf den indonesischen Inseln verbreiten. Mit dem Hinduismus kam der hinduistische Kalender nach Südostasien, der auch die Basis für sämtliche bis heute gültigen buddhistischen Kalender der Region darstellt. Es handelt sich um einen lunisolaren Kalender, in dem das am Umlauf der Erde um die Sonne orientierte siderische Sonnenjahr an ein Mondjahr aus zwölf oder dreizehn Monaten gekoppelt wird. Das zwölfmonatige Jahr hat hierbei nur 354 oder 355 Tage und muss daher gelegentlich durch ein Schaltjahr mit dreizehn Monaten und entsprechend 384 bzw. 385 Tagen ausgeglichen werden. Bereits eine der frühesten bekannten Hochkulturen Südostasiens, die Pyu, die vom 2. bis 9. Jhd. n. Chr. in einem Zusammenschluss von Stadtstaaten auf dem Gebiet des heutigen Myanmar lebten, nutzten den Saka-Kalender, eine Variante des hinduistischen Kalenders. Auch in Thailand, Laos und Kambodscha etablierten sich eigenständige Varianten des Kalenders, die sich oft in Details unterscheiden. So ist etwa je nach Kalender festgelegt, ob ein Monat mit dem Neumond oder Vollmond beginnt oder endet. Auch wenn heutzutage am gregorianischen System orientierte Kalender in buddhistischer Zeitrechnung in Benutzung sind, wie z.B. in Thailand, ist der lunisolare buddhistische Kalender oftmals nach wie vor die Grundlage zur Festlegung religöser Feiertage.
Für die Astronomie in Südostasien dürfte auch die Verbreitung des Surya Siddhanta bedeutend gewesen sein. Die in Sanskrit verfasste astronomische Abhandlung entstand zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert n.Chr. und enthält zahlreiche Berechnungen und Algorithmen zur Kalkulation von Planetenbewegungen und Konstellationen. Dabei geht der Text von einem geozentrischen Weltbild aus, in dem die Sonne und die Planeten um eine kugelförmige Erde kreisen. Die äußeren Planeten Uranus und Neptun kommen in ihm zwar noch nicht vor, da diese mit bloßem Auge am Nachthimmel nicht zu sehen sind, aber das Surya Siddhanta bietet erstaunliche Näherungswerte für die Durchmesser von Erde und Mond sowie den Abstand der beiden zueinander.
Im Gegensatz zu seinen Nachbarländern auf dem südostasiatischen Festland ist Vietnam, das in seiner wechselvollen Geschichte immer wieder auch unter chinesischer Herrschaft stand, stärker durch die chinesische Kultur geprägt. Dies zeigt sich u.a. auch im vietnamesischen Kalender, der auf dem chinesischen, lunisolaren Kalender beruht. Auch die in China bereits in eigenen Ämtern institutionalisierte Astrologie fand ihren Weg nach Vietnam.
Astrologie als Mittel zur Vorhersage von Ereignissen und auch als Ratgeber für wichtige Entscheidungen ist in ganz Südostasien verbreitet. Ein astrologisches Hilfsmittel, dem man immer wieder auch in Handschriften aus Myanmar, Thailand oder Kambodscha begegnen kann, ist das „magische Quadrat“, in Thailand auch Daksa genannt. Die Tabellen enthalten Zahlen oder Buchstaben, die meist Referenzen auf Planeten, Sterne oder Sternbilder zu sein scheinen. Mit Hilfe von verschiedenen Rechenoperationen lassen sich nun stellare Konstellationen aus dem Geburtstag einer Person umrechnen und man bewegt sich anhand dieser „Rechenergebnisse“ dabei innerhalb der Kästchen weiter. Die Zahl, auf der man dann am Ende landet, steht wiederum für eine eigene Bedeutung oder Vorhersage. Der astrologischen Imagination scheint mit dieser Methode überhaupt keine Grenze gesetzt zu sein.
Immer wieder gibt es auch Hinweise darauf, dass Astrologie eine nicht-unwesentliche Rolle bei Entscheidungsfindungen gespielt haben könnte. Der Bau des 1956 fertig gestellten Erawan Hotels in Bangkok soll derart von Verzögerungen und Unfällen geprägt gewesen sein, dass nur eine astrologische Konsultation eine Lösung finden konnte. Die Grundsteinlegung war wohl zu einem äußerst ungünstigen Tag erfolgt. Um das auszugleichen, erschien es notwendig, einen Brahma-Schrein auf dem Gelände des Hotels zu errichten. Dieser Schrein zieht bis heute viele Besucher und Reisende aus aller Welt an.
In Myanmar kursiert folgende urbane Legende: 1970 beschließt die autoritäre Regierung unter General Ne Win Hals über Kopf den Verkehr von links auf rechts zu ändern. Es heißt, Ne Win habe einen Astrologen besucht und dieser habe ihn vor einem schrecklichen Autounfall gewarnt. Um diesem zu entgehen, habe Ne Win kurzerhand die Straßenordnung geändert. Auch andere gravierende politische Entscheidungen in der jüngeren Geschichte Myanmars werden mit astrologischen Konsultationen in Verbindung gebracht. Darunter auch die Verlegung der Hauptstadt von Yangon in die neu errichtete Planstadt Naypyidaw im Jahr 2005 oder die Umbenennung von Burma in Myanmar 1989.
Indonesien und der islamische Kalender
Mit der Ausbreitung des Islam auf den Inseln des indonesischen Archipels ab dem 12. Jhd. n. Chr. setzte sich auch der islamische Kalender durch. Dieser ist ein reiner Mondkalender mit 12 Monaten und 354 bzw. 355 Tagen. 33 Jahre des islamischen Kalenders entsprechen dabei 32 Jahren eines solaren Kalenders. Neben dem islamischen Kalender existieren in Indonesien aber auch weitere bis heute genutzte, lokale Kalendersysteme, wie etwa der javanische Kalender. Dieser 1633 n. Chr. von Sultan Agung von Mataram eingeführte Kalender löste auf Java den hinduistischen Saka-Kalender ab, den bereits die zuvor erwähnten Pyu im ersten Jahrtausend n. Chr. verwendet hatten. Eine der auffälligsten Besonderheiten dieses Kalendersystems ist die Einteilung einer Woche in fünf Tage. Die Kombination in der Tage des javanischen mit Tagen des islamischen Kalenders am Tag einer Geburt zusammenfallen, dient in der javanischen Astrologie als Grundlage für die Zuschreibung von Charaktereigenschaften eines Menschen, ganz ähnlich den Sternzeichen in der westlichen Astrologie.
In islamisch geprägten Gesellschaften spielte die Astronomie von Anfang an auch eine bedeutende Rolle in Fragen der Glaubensausführung. Astronomen berechnen nicht nur die Festtage anhand des Mondkalenders, sondern ermitteln auch die Tageszeiten, zu denen die Gebete erfolgen sollten. Diese Berechnungen basieren auf Regeln, die in Hadithen, den Aussprüchen und Handlungen des islamischen Propheten Mohammed, überliefert sind. Zu diesen Berechnungen gibt es sogar verschiedene Modelle, die teilweise derart akkurat sind, dass sie nur ortsgebunden funktionieren.
Eine weitere wichtige Aufgabe islamischer Astronomie besteht in der Festlegung der Gebetsrichtung. Zur Bestimmung der Ausrichtung nach Mekka existieren gegenwärtig verschiedene Verfahren, die vom Schattenwurf bestimmter Messstäbe zu festgelegten Tageszeiten über trigonometrische Berechnungen bis hin zu moderner GPS-Technologie reichen.
Auch wenn es um die Berechnung der Monatsanfänge geht, herrschen bis heute noch konkurrierende astronomische Methoden vor, die oft aus Traditionsgründen fortgesetzt werden, auch wenn es mittlerweile präzisere Möglichkeiten zur Bestimmung gibt. Da traditionell der Beginn des Fastenmonats Ramadan mit der Sichtung der ersten Mondsichel nach Neumond durch eine religiöse Autorität definiert wird, behält sich die indonesische Regierung vor, dieses Datum sowie andere religiöse Feste für das gesamte Land verbindlich festzulegen. Hierzu veranstaltet das Ministerium für religiöse Angelegenheiten regelmäßig eine Konferenz, genannt Sidang Isbat, in der Vertreter religiöser Organisationen und Astronomen aus ganz Indonesien zusammenkommen, um die wichtigen religiösen Daten gemeinsam festzulegen.
Die verschiedenen religiösen und kulturellen Einflüsse, die Astronomie und Astrologie in Südostasien so interessant und vielfältig machen, können an dieser Stelle nur stark verkürzt und skizzenartig widergegeben werden. Für eine tiefergehende Beschäftigung mit der Thematik hält die Sammlung der Staatsbibliothek jedoch jede Menge weitere interessante Literatur und Quellen bereit.
Bibliographische Hinweise:
Vorschau: Im nächsten Beitrag betrachten wir das Thema Universum aus philosophischer Sicht!
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