„Wirklich in Verfall“ – Wilhelm von Humboldt und die Königliche Bibliothek
Im Rahmen einer abendlichen Podiumsdiskussion diskutierten am Abend des 20. Juni in der Staatsbibliothek über Wilhelm von Humboldts historische und gegenwärtige Bedeutung Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Heinz-Elmar Tenorth, Professor für Historische Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und Jürgen Trabant, Professor für Sprachwissenschaft am Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin. Die Einführung und Moderation übernahm Heike Schmoll, bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zuständig für Bildungspolitik und verantwortlich für die Seite ,Bildungswelten‘.
Auf dem Podium: Dr. h.c. Heike Schmoll als Diskussionsleiterin, Prof. Dr. Trabant, Prof. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger, Prof. Dr. Tenorth
Als Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz erläuterte ich eingangs die besonderen Beziehungen Humboldts zur Königlichen Bibliothek:
„Meine Damen und Herren, wenn wir uns heute Abend fragen, ob Wilhelm von Humboldt denn allein als der allerorts anerkannte Bildungsreformer zu gelten hat oder ob wir ihm anlässlich seines 250. Geburtstags noch einige andere Verdienste bescheinigen dürfen, so möchte ich als Generaldirektorin der Staatsbibliothek, die zu Humboldts Zeiten ja noch als Königliche Bibliothek fungierte, gerne behaupten: ja, in gewisser Weise hat sich Humboldt sogar als Bibliotheksreformer erwiesen; wenn auch nicht flächendeckend für den gesamten Staat Preußen, so aber doch maßgeblich für die Königliche Bibliothek.
Nach Jahren der sanierungsbedingten Veranstaltungsabstinenz: unser Debut Unter den Linden!
Es geht, wie so gerne, ums Geld – präziser: um den Etat, um Bücher und wissenschaftliche Zeitschriften kaufen zu können. Das war vor zweihundert Jahren ebenso ein Thema wie heute und vermutlich wird der sogenannte „Erwerbungshaushalt“ ein Thema auch bleiben, solange es Bibliotheken noch gibt. Denn Bücher kosten Geld, damals wie heute; und für Bibliotheken darf es immer auch noch „ein wenig mehr“ Geld sein. Doch der Anstoß dazu muß in aller Regel von oben kommen, aus den Ministerien; die Forderungen der Bibliothekare an der Basis verhallen zumeist ungehört. In der Tat war die Erwerbungslage der Königlichen Bibliothek im 18. Jahrhundert über Jahrzehnte hinweg desolat gewesen. Unter Friedrich Wilhelm, der den Soldaten bekanntlich mehr Interesse entgegenbrachte als den Büchern, wurde sechs Jahre lang nicht ein einziges Buch für die Bibliothek erworben; und auch anschließend bestand der Erwerbungsetat ganz überwiegend aus den Einnahmen, die die Bibliothek durch den Verkauf von Dubletten erzielte. Noch im Jahr 1776 musste sie – für einen völlig sachfremden Zweck! – vierhundert Thaler bereitstellen, um vierzig Dorfschulmeister schleunigst in das neugewonnene Westpreußen zu befördern. Kein Wunder mithin, dass Wilhelm von Humboldt im August 1809 diagnostizierte, dass „einige weniger begünstigte Institute, wie z.B. die Bibliothek, wirklich in Verfall gerieten“. Deutliche Worte sind dies eines Mannes, der erst seit Mitte April, also seit vier Monaten, sein neues Amt als Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Innern ausübte. Nunmehr, in Königsberg, Hof und Regierung residierten in jenen Tag dort, gelangt er zu der Auffassung, es sei bislang „eine wirklich erbärmliche Summe auf die Vermehrung der Bibliothek“ veranschlagt worden. Humboldt erkannte, dass eine Universität – nämlich ‚seine‘ soeben in Berlin gegründete Universität – ohne leistungsfähige Bibliothek kaum jemals erfolgreich würde wirken können und veranschlagte bei der Etatisierung der Universität von Anbeginn auch deren Literaturversorgung großzügig mit ein.
Vermutlich waren seine Vorstellungen in diesen wirtschaftlich schwierigen und militärisch kostspieligen Zeiten allzu hochfliegend, denn die 10.000 Taler, die Humboldt der Bibliothek gerne jährlich zugewiesen hätte, ließen sich beim Finanzminister Altenstein nicht durchsetzen. Am Ende wurden aus den vormals 2.000 Talern jährlich immerhin 3.500 – ein ganzes Drittel mehr, und zwar dauerhaft! Nun war Planungssicherheit gegeben und vor allem war durch die materielle Besserstellung zugleich auch der immaterielle Wert der Bibliothek deutlich herausgestellt. Was nichts kostet, ist auch nichts wert oder anders gewendet: Teuer = wertvoll, nützlich und unterstützenswert. Als Minister Altenstein 1817 vom Finanzressort zum Kultus wechselte, erhöhte er den Bibliotheksetat dann auf 4.000 Taler; Ende der zwanziger Jahre lag er bereits bei 8.000 Talern, von Sondermitteln und außerordentlichen Zuschüssen ganz zu schweigen.
Eine anspruchsvolle Veranstaltung in prachtvollem Ambiente
Man mag nun einwenden, dass Humboldt, als er die Mittel für die Königliche Bibliothek erhöhte, ja gar nicht an die Bibliothek als solche dachte, sondern eigentlich allein die Universität und deren Literaturversorgung im Kopf hatte. So berechtigt dieser Einwand auch ist, er ändert nichts an neuen finanziellen Wertschätzung, die der Bibliothek nun zuteilwurde. Und ganz nebenbei wurde die Königliche Bibliothek durch diese neue akademische Aufgabenbestimmung auch erstmals an eine Zielgruppe, nämlich an die universitäre Forschung und Lehre, herangeführt. Wir haben somit Wilhelm von Humboldt in doppelter Hinsicht zu danken: für die monetäre Besserstellung wie auch für die damit verbundene Verpflichtung der Bibliothek gegenüber ihrer neuen Klientel. Seit ihrer Gründung war die Bibliothek ein wenig orientierungslos gewesen und diente Theologen und Juristen, Kammerherren und Militärs, Hofbeamten und Schöngeistern als Gebrauchsbibliothek. Nun aber, kaum dass sich die Wissenschaften in Berlin überhaupt erst etablierten, hier gleich nebenan im Palais des Prinzen Heinrich, sorgte Wilhelm von Humboldt für die Verzahnung von Hochschule und Königlicher Bibliothek.
Ich begrüße Professor Markschies, den ehemaligen Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin
Bis heute ist es dabei im Wesentlichen geblieben. Noch immer ist die Bibliothek eben auch eine Universitätsbibliotheksbibliothek: an die drei Viertel unserer Leserinnen und Leser sind Studierende, Doktoranden oder entstammen dem Lehrkörper. Die Saat, die Wilhelm von Humboldt 1809 säte, ist fulminant aufgegangen: wer in Berlin wissenschaftlich arbeitet, ob akademisch eingebunden oder auch außeruniversitär, kommt an der Staatsbibliothek nicht vorbei. Und auch der Erwerbungsetat ist noch immer ein Thema. Erfreulicherweise ist es in diesem Jahr, 2017, gelungen, den Etat der Bibliothek sehr maßgeblich, aufzustocken – wir wollen hoffen, dass die Humboldt’sche Erkenntnis des Jahres 1809, den Erfolg der Wissenschaften in Berlin auch durch eine verbesserte Etatisierung der maßgebenden Bibliothek zu erreichen, auch die heutigen Entscheidungsträger auch weiterhin lenken möge. Als Generaldirektorin der Staatsbibliothek gratuliere ich Wilhelm von Humboldt sehr herzlich zu seinem 250. Geburtstag und danke von Herzen für sein so fruchtbringendes Engagement zum Besten der Königlichen Bibliothek!
Und um Wilhelm von Humboldt dauerhaft die Ehre zu erweisen, nutzte ich die Gunst der Jubiläumsstunde und benannte den Großen Festsaal des Hauses Unter den Linden für die Zukunft nach Wilhelm von Humboldt!
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