Bauhaus trifft Hans Scharoun
Von Wolfgang Flügel — Praktikant in den Fachreferaten Kunst und Geschichte
Anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Bauhaus“ präsentiert die Staatsbibliothek in einer Ausstellung Bauhaus-Fotografien. Dabei wird deutlich, dass die Vertreter der Bauhaus-Bewegung und Hans Scharoun (1893-1972), der Architekt der Staatsbibliothek am Kulturforum, ungleiche Brüder waren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie als Anhänger des Neuen Bauens Meisterwerke der Moderne schufen, die bis heute stilprägend wirken. Die strenge Geometrie des Bauhauses, die landläufig als Synonym für die Architektur der klassischen Moderne gilt, wurde von Scharoun jedoch in Frage gestellt: „Warum muß alles gerade sein, da das Gerade doch erst durch Materialwert und Umwelt wird?“[1] Nicht zuletzt dank zahlreicher Jubiläumsveranstaltungen ist das Bauhaus (wieder einmal) allgegenwärtig – doch wer war Hans Scharoun?
Sowohl Scharoun als auch das Bauhaus standen in der Tradition jener Künstler und Architekten, die sich 1906 zum Deutschen Werkbund zusammengeschlossen hatten. Diese Gruppe lehnte sowohl den Historismus als auch den Jugendstil ab. Stattdessen suchten sie nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Der Kriegsausbruch unterbrach die Entwicklungslinien, bevor sie angesichts des politischen und sozialen Aufbruchs in den Jahren um 1919 wieder aufgegriffen und mit neuer Stärke fortgeführt wurden.
Scharoun hatte bereits 1909 als Sechzehnjähriger erste Entwürfe vorgelegt, die neben Anklängen an den Jugendstil schon Ansätze einer expressionistischen Formensprache aufwiesen. Zwei Jahre später nahm er an einem Wettbewerb für die Modernisierung einer Kirche in seiner Heimatstadt Bremerhaven teil. Ein anschließendes Architekturstudium an der Technischen Hochschule (Berlin-)Charlottenburg konnte er aufgrund seiner Einberufung 1915 nicht mehr abschließen. Dessen ungeachtet eröffnete ihm sein Berliner Gönner, Regierungsbaumeister Paul Kruchen, die Möglichkeit, im Rahmen des Wiederaufbau-Programms für Ostpreußen und ab 1919 auch in Breslau als Architekt zu wirken.
Dort knüpfte Scharoun die ersten Kontakte zu Architekten, die den Gedanken des Deutschen Werkbundes aufgriffen und in der Ära der Weimarer Republik das Neue Bauen, eine Stilrichtung in Architektur und Städtebau, prägen sollten. So gehörte er zu den Mitunterzeichnern des „Aufrufs zum farbigen Bauen“ (1919), mit dem Bruno Taut jene Vision vom Wohnen in farbenprächtiger Umgebung artikulierte, die schließlich Teile des Stadtbildes von Berlin und Magdeburg prägen sollte. Zugleich war Scharoun Mitglied der „Gläsernen Kette“ (1919/1920), eines Korrespondenzzirkels um Taut, Walter Gropius und Carl Krayl. Später gehörte er dem „Ring“ an, einer Vereinigung wichtiger Architekten des Neuen Bauens, die 1926 von Hugo Häring und dem künftigen Bauhausdirektor Ludwig Mies van der Rohe in Berlin gegründet wurde.
Damit hatte sich Scharoun den Vertretern des Neuen Bauens angeschlossen, die durch Rationalisierung, Typisierung und den Einsatz moderner Werkstoffe wie Glas, Stahl, Beton und Backstein sowie durch sachliche Inneneinrichtungen eine neue Form des Bauens etablieren wollten. Dabei spielten Kostenökonomie und Sozialverantwortung – das Engagement gegen Mietskasernen und beengte Räume – eine zentrale Rolle. Allerdings war es zu einer Differenzierung gekommen: Eine Gruppe bildeten die Vertreter der neuen Sachlichkeit wie Gropius und Mies van der Rohe. Interessiert am industriellen Bauen bevorzugten sie in ihrem für das Bauhaus charakteristischen Stil streng geometrische Formen, die noch die Neue Nationalgalerie auf dem Kulturforum prägen. Auf der Gegenseite standen die Verfechter des organischen Funktionalismus, allen voran Hugo Häring als deren intellektuelles Haupt und dessen ‚Jünger‘ Scharoun, aber auch Bruno Taut oder Erich Mendelsohn sind hier zu nennen.
Das Schaffen dieser Architekten war geprägt vom Streben nach einer Harmonie von Gebäude und Landschaft, einer den Baumaterialien gemäßen, „organisch“ aus der Funktion heraus entwickelten Form sowie einer umfassenden Zweckmäßigkeit der Architektur. Im Vordergrund des Bauens stand die Gestaltung des sozialen Lebensraums. Von zentraler Bedeutung war die Vorstellung vom Bauwerk als einem „Organ“ seiner Bewohner, woraus folgt, dass dessen Funktion die Form der Architektur bestimmt. Hiervon ausgehend entwickelte Scharoun seinen funktionalen Ansatz, wonach ein Bauwerk von „innen“ nach „außen“ zu gestalten sei. Dieses Herangehen zeigte auch stilistische Konsequenzen: Möglich waren sowohl strenge Formen, die der klassischen Moderne entsprachen, als auch – wesentlich häufiger – plastische und biomorphe.
Ein Beispiel hierfür liefert das Haus der Nudelfabrikantenfamilie Schminke in Löbau. Als eines der letzten Werke des Neuen Bauens von Scharoun in den Jahren 1930-1933 realisiert, zählt es weltweit zu den vier wichtigsten Wohnhäusern der klassischen Moderne. Im Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit mit Charlotte und Fritz Schminke konnte der Architekt das Bauwerk perfekt an den Lebensgewohnheiten und Bedürfnissen der Auftraggeber ausrichten. Ganz im Sinne von Scharouns Architekturverständnis wurde das Haus so zum ‚Diener‘ seiner Bewohner. Im Kontrast dazu steht Mies van der Rohe, von dem kolportiert wird, er habe in einem Einfamilienhaus den Esstisch am Fußboden festschrauben lassen, damit nichts mehr verändert werden könne.
Das „Haus Schminke“ führt aber auch vor Augen, dass Scharoun – hier vielleicht geprägt durch die „Gläserne Kette“ – an verschiedenen expressionistischen und avantgardistischen Elementen festhielt. Dies gilt insbesondere für seine lebenslange Begeisterung für Formen, die im Schiffbau zu Hause sind. Nachdem ein Grundstein hierfür sicherlich in seiner Kindheit und Jugend gelegt worden war, schrieb er 1927 nach dem Besuch der Tecklenborg-Werft in Bremerhaven: „Besonders aufschlußreich war für mich, daß eine Reihe von Konstruktionen des Schiffsbaues auf den Hausbau ohne weiteres zu übernehmen sind.“[2] Im „Haus Schminke“ erinnern die räumlich reduzierten Kinderschlafzimmer an Schiffskojen. Mit seinen Rundungen, Außentreppen und Bullaugen gleicht das Bauwerk einem Schiff.
Dieselben Motive finden sich auch am Haus der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße. Runde Fenster im Innenbereich imitieren Bullaugen und die Galerien wirken wie Promenadendecks. Aufgrund dieser Formensprache wird der Bibliotheksbau zuweilen als „Bücherschiff“ bezeichnet.
Nicht nur das Kulturforum mit seinen Bauten von Scharoun und Miehs van der Rohe zeigt, dass ungleiche Brüder zusammenkommen können, sondern ab dem 30. August 2019 auch die Ausstellung „bau1haus trifft Hans Scharoun – Fotografien von Jean Molitor in der Staatsbibliothek zu Berlin“.
Quellen
Brinitzer, Sabine: Organische Architekturkonzepte zwischen 1900 und 1960 in Deutschland. Untersuchungen zur Definition des Begriffs organischer Architektur, Frankfurt am Main, Berlin, Bern 2006.
Geist, Johann Friedrich, Küvers, Klaus und Rausch, Dieter: Hans Scharoun. Chronik zu Leben und Werk, Berlin 21994.
Syring, Eberhard und Kirschmann, Jörg C.: Hans Scharoun 1893 – 1972. Außenseiter der Moderne, Hong Kong, Köln, London 2007.
Wendschuh, Achim (Hg.): Hans Scharoun. Zeichnungen, Aquarelle, Texte, (Schriftenreihe der Akademie der Künste, 22), Berlin 1993.
[1] Zit. nach Wendschuh (Hg.): Scharoun. Zeichnungen, S. 73.
[2] Zit. nach Geist, Küvers, Rausch: Scharoun, S. 52.
Bibliotekarisch korrekt! Wir werden auf Ihre Ausführung verweisen. Doch anzumerken wäre, daß Scharoun erst 1925 nach Breslau kam. 1919 machte er sich in Insterburg selbständig und lebte und wirkte dort bis zur Berufung nach Schlesien.
Scharoun hat sich mit seiner Arbeit sicherlich verweigt in der Architektur. Schön das dieses Thema mal aufgefriffen wird.