Ein Zitat, keine Kopie – Zur Bau- und Bibliotheksgeschichte der „Kommode“

Ein Beitrag von Christian Mathieu und Christina Schmitz.

Im Wettbewerb um symbolisches Kapital und internationale Sichtbarkeit vertrauen immer mehr Hochschulen auf die Strahlkraft und Leuchtturmwirkung so genannter Signaturarchitekturen. Erfreulicherweise sind es dabei keineswegs nur die zentralen Verwaltungsgebäude, wie jüngst etwa das von Daniel Libeskind für die Leuphana-Universität Lüneburg entworfene, mit deren Realisierung Stararchitekturbüros beauftragt werden. Auch und gerade die Zahl der von Trägerinnen und Trägern des renommierten Pritzker Architecture Prize errichteten Universitätsbibliotheken nimmt rasant zu – von Zaha Hadids Projekt für die Wirtschaftsuniversität Wien über das von Norman Foster erdachte Brain der Freien Universität Berlin, Herzog & de Meurons Bibliothek der Technischen Universität in Cottbus bis hin zum Rolex Learning Center der École Polytechnique Fédérale de Lausanne, für das wiederum das japanische Büro SANAA verantwortlich zeichnet.

Zwar ist weder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Universität noch gehören Hans Scharoun und H.G. Merz dem exklusiven Kreis der mit dem Pritzker-Preis Ausgezeichneten an – zumindest bislang. Dennoch aber verdient auch die Berliner Staatsbibliothek in diesem Zusammenhang Erwähnung, ziehen doch ihre von den beiden zuletzt genannten Architekten gestalteten Häuser nach wie vor Scharen von Architekturinteressierten aus der ganzen Welt an. Und selbst ihre historischen Vorgängerbauten müssen den Vergleich mit den erwähnten Architekturikonen der Moderne gewiss nicht scheuen – eine Einschätzung, die sowohl für den Apotheken-Flügel des Berliner Schlosses gilt, errichtet im ausgehenden 16. Jahrhundert von Hofbaumeister Rochus Graf zu Lynar, als auch für die zwischen 1774 und 1784 nach Plänen Georg Christian Ungers fertiggestellte Kommode.

Über den Bau der Kommode, die Entwicklungen in der Raumnutzung und vor allem ihre innovativen Elemente berichtete Dr.-Ing. Elke Richter von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg am Dienstag, 24. Oktober 2017, in einem Abendvortrag im Dietrich-Bonhoeffer-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin.

In ihrem Vortrag verdeutlichte Elke Richter, dass die Kommode den eingangs angesprochenen Zusammenhang zwischen dem Streben nach symbolischem Kapital und Architekturpatronage wie kein zweites augenfällig macht, denn Friedrich II. bediente sich zur Befriedigung seines königlichen Repräsentationsbedürfnisses eines veritablen Stararchitekten des vormodernen Europas – Joseph Emanuel Fischer von Erlach, des Sohns des noch bekannteren kaiserlichen Hofbaumeisters Johann Bernhard Fischer von Erlach, aus dessen Feder so prominente Bauten wie Schloss Schönbrunn, Hofbibliothek und Karlskirche in Wien stammen.

Eigentlich aber wäre zu formulieren: „Friedrich II. bediente sich zur Befriedigung seines königlichen Repräsentationsbedürfnisses bei einem veritablen Stararchitekten des vormodernen Europas“, ist doch die Kommode – um nur das Mindeste zu sagen – von der als Michaelerfront bekannten Nordfassade der Wiener Hofburg inspiriert. Auch wenn dieser Flügel des Habsburger-Schlosses erst im ausgehenden 19. Jahrhundert realisiert werden sollte, war der auf das Jahr 1728 datierte Entwurf des jüngeren Fischer aufgrund seiner Publikation in Salomon Kleiners Das florirende vermehrte Wien (zuerst Augsburg 1733) in Europa gut bekannt. Unter ästhetischem Aspekt muss der friderizianische Import der Formensprache des Wiener Hochbarocks allerdings als hochproblematisch gelten, fügt sich doch die konvex kurvierte Monumentalfassade der Kommode nur schwer in das Berliner Platzensemble ein.

Vielleicht ist es mit Blick auf die dieser Bauentscheidung des großen Preußenkönigs zugrundeliegende Intention, das Ranggefälle gegenüber Kaiserin Maria Theresia mit Hilfe einer Kopie ihrer Residenz zumindest symbolisch zu egalisieren, denn auch kein Zufall, dass just der hier einschlägige dritte Band von Salomon Kleiners Stichwerk in der Staatsbibliothek zu Berlin als verschollen gilt. In jedem Fall aber bleibt es ein bemerkenswertes, weil höchst seltenes Phänomen, dass die 1784 in Wien nur auf dem Papier existierende Michaelerfront als Königliche Bibliothek in Berlin mit einem Bauvorsprung von nicht weniger als einem Jahrhundert fertiggestellt werden konnte.

Elke Richter betonte allerdings, dass es sich bei der Kommode mitnichten um eine schnöde Kopie, sondern um ein bewusst gesetztes Zitat handelt, das im Berliner Bauensemble irritieren muss – ja, irritieren soll, und dadurch einmal mehr das Repräsentationsbedürfnis des Preußenkönigs unterstreicht.

Zudem zeichnete Richter sehr anschaulich die Entwicklung der verschiedenen Nutzungsphasen nach. Während die innere Gestaltung der Bibliothek zu Beginn nur wenig mit der klar strukturierten Prunkfassade korrespondierte, passte sich die Raumnutzung im Laufe der Zeit immer mehr an das äußere Konzept an. So wanderte der eigentliche Nutzungsbetrieb von einem kleinen unscheinbaren Lesezimmer im Anbau über verschiedene andere räumliche Strukturen schließlich in einen repräsentativen Lesesaal im zentralen Mittelrisalit. Baulich schließt die Kommode damit die Lücke zwischen den prächtigen Saalbauten der Barockzeit und den kompakten Magazingebäuden des 19. Jahrhunderts.

Besonders innovativ war die Königliche Bibliothek auch bei der Beleuchtung. Denn bereits wenige Jahre nach der Patentierung von Edisons Glühlampe und praktisch unmittelbar nach der Zulassung des neuen Leuchtmittels in Europa wurde die gesamte Bibliothek mit hellen Leuchten ausgestattet. So konnte die Bibliothek ihre tägliche Schließzeit von 16.00 Uhr um volle drei Stunden auf 19.00 Uhr erweitern.

 

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