Digitale Lektüretipps 42: Online-Angebote für die Altertumswissenschaften
Ein Beitrag aus unserer Reihe Sie fehlen uns – wir emp-fehlen Ihnen: Digitale Lektüretipps aus den Fachreferaten der SBB
Für Altertumswissenschaftler mag derzeit überraschend sein, wie häufig einem in den Medien Thukydides und seine Schilderung der ‚attischen Seuche‘ bzw. ‚Pest‘ begegnet. (Eine einfache Möglichkeit für alle angemeldeten SBB-Nutzer*innen, in mehreren, auch internationalen Presseerzeugnissen gleichzeitig nach Belegen zu suchen, bietet etwa WISO-NET.) Vielleicht ist es mit einem Merkmal seiner Schilderung zu erklären, das wir oft mit der Moderne in Zusammenhang bringen: Kontingenz. Denn Thukydides schildert zwar die Symptomatik und (politisch-gesellschaftlichen) Auswirkungen der ‚Epidemie‘ in Athen sehr plastisch, enthält sich aber, irgendeine Erklärung für deren Entstehung zu geben. Bemerkenswert sei also, was Thukydides nicht schreibt, so der Heidelberger Gräzist Jonas Grethlein kürzlich in der FAZ: Während nämlich zeitgenössische Autoren die ‚Pest‘ religiös und spätere (in der römischen Kaiserzeit) sie meteorologisch herleiteten, belasse es Thukydides dabei, das Einbrechen der ‚Seuche‘ als kontingentes Ereignis zu beschreiben. [1]
Wer jetzt möglicherweise Lust bekommen hat, im Home Office den Originaltext von Thukydides’ Peloponnesischen Krieg gegen den Strich zu lesen und vielleicht noch Anderes herauszuarbeiten, was dieser nicht schreibt, dem seien einige Tipps für geeignete offene Online-Angebote an die Hand gegeben. Natürlich betreffen die folgend vorgestellten gemeinfreien und per Open Access zugänglich gemachten Ressourcen auch andere Werke der griechisch-römischen Antike als nur die thukydideischen.
Da wären als erstes vertrauenswürdige Ausgaben der Primärtexte selbst zu nennen. Hierfür empfiehlt sich ein Blick auf folgende Seiten:
- Perseus (für griechische und lateinische Texte vom 8. Jh. v. Chr.–6. Jh. n. Chr., teilweise mit meist englischsprachigen Übersetzungen und Kommentaren)
- PHI Latin Texts (für lateinische Texte vom 3. Jh. v. Chr.–2. Jh. n. Chr.)
- DigilibLT (Digital Library of Late-Antique Latin Texts) (für spätantike lateinische Texte vom 2.–7. Jh. n. Chr.).
Wer eine Suchoberfläche out of the box (oder angesichts des Namens richtiger: out of the barrel) bevorzugt, mit der Perseus und DigilibLT parallel bequem durchsucht werden können, ist mit DiogenesWeb bestens beraten. Zudem berücksichtigt DiogenesWeb auch die XML-Dateien des Projektes First 1000 Years of Greek, das darauf zielt, auf Perseus nicht vorhandene griechische Texte bereitzustellen. Eine weitere offen zugängliche Quelle für das Auffinden lateinischer Texte aller Epochen ist die Digital Latin Library.
Auf Perseus findet man daneben auch eine Reihe gemeinfreie Nachschlagewerke, die für eine erste Orientierung immer noch aufschlussreich sein können:
- für Realien
- für Orte
Und natürlich die selbst zum Klassiker avancierten Wörterbücher,
- das Latin Dictionary von Lewis & Short, (welches im Gegensatz zum nicht im Open Access verfügbaren Oxford Latin Dictionary auch spätantike und christliche Autoren berücksichtigt) und
- das Greek-English Lexicon von Liddell-Scott-Jones (LSJ) (in der Aufl. von 1940).
Letzteres leistet in jedem Fall gute Dienste, wenn es darum geht, die zum Teil kryptischen Abkürzungen griechischer Autorennamen und Werktitel zu entschlüsseln. Neben dieser klassischen Lexikon-Ansicht gibt es für beide auch dezidierte Look-up-Tools für Stichworte (Lewis & Short, LSJ), aber auch für gebeugte (deklinierte und konjugierte) Wortformen (Latin Word Study Tool, Greek Word Study Tool).
Wer noch tiefer in die Wortbedeutungen einsteigen will, für den ist die Seite Logeion das Instrument der Wahl: In nur einer Suchmaske kann man sowohl griechische als auch lateinische Worte, Pardon, λόγοι und verba, eingeben und erhält einen synoptischen Überblick der verschiedenen Lexikoneinträge, der weit über den LSJ und Lewis & Short hinausgeht.
Wer schließlich Forschungsliteratur sucht, kann selbstverständlich auch auf die in unseren digitalen Lektüretipps bereits vorgestellten Directory of Open Access Journals (DOAJ) und Directory of Open Access Books (DOA) zurückgreifen, zumal etwa Artikel zur Thukydideischen Pest auch in medizinischen Fachzeitschriften zu finden sind. Das DOAJ listet allerdings nur 102 archäologische, 20 klassisch-philologische und 18 alt-historische Journals. Einen vollständigeren Überblick über Open-Access-Zeitschriften in den Altertumswissenschaften findet man auf den Seiten des Blogs Ancient World Online (AWOL): wahlweise inkl. der digitalisierten gemeinfreien Journals, wahlweise auch nur ‚echte‘ Open-Access-Journals. Bei diesen letztgenannten Fachzeitschriften könnten Sie etwaige im Zuge Ihrer Home-Office-Lektüre gewonnene neue Erkenntnisse auch als Beitrag einreichen. Der Blog bietet auch eine sehr ausführliche Liste monographischer Open-Access-Schriftenreihen in den Altertumswissenschaften. Viele dieser Zeitschriften und Schriften sind bequem über PropylaeumSearch recherchierbar, der vom Fachinformationsdienst bereitgestellten Datenbank für Literaturrecherche in den Altertumswissenschaften (übrigens integriert die Suche auch die allseits geschätzte Gnomon Bibliographische Datenbank). Auf Propylaeum finden Sie zudem auch eine eigene Open-Access-Buchreihe, Propylaeum eBooks, einen Volltextserver für fachspezifische, frei zugängliche Online-Veröffentlichungen, Propylaeum eDok, sowie offene altertumswissenschaftliche Forschungsdatenpublikationen.
Und falls Sie neugierig geworden sind auf Thukydides’ Darstellung der ‚Pest‘: Den Originaltext finden Sie auf Perseus, eine deutsche gemeinfreie Übersetzung gibt es hier. Die neueste deutsche Übersetzung gibt es nicht in Open Access: Wenn Sie aber einen Stabi-Ausweis haben (Informationen zum derzeitigen Anmeldeverfahren finden Sie auf unserer Homepage), können Sie sie online lesen – genau wie die anderen Bände der Sammlung Tusculum.
[1]: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.04.2020, Nr. 84, S. N3.
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