Die Relevanz der neuen EU-Copyright-Richtlinie für Wissenschaft und Bibliothek

Es war eine Lobby-Schlacht, in der vor allem die deutsche Verlagsindustrie großes Engagement zeigte, während ihr von der Straße und der Zivilgesellschaft starker Gegenwind ins Gesicht blies. Auch der Deutsche Bibliotheksverband hat mehrmals ausführlich Stellung genommen.

Beim Kampf ums Urheberrecht ging es in der Öffentlichkeit vor allem um das „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ und die „Upload-Filter“. Mit diesen beiden neuen Regeln befasst sich dieser Beitrag. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass einige Normen in der Richtlinie „über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“ (kurz „CDSM-Richtlinie“), enthalten sind, die die Wissenschaft und Bibliotheken direkt betreffen: Dies sind u.a. Art.3 (Text- und Datamining), Art.5 (grenzüberschreitende Unterrichts- und Lehrtätigkeiten) und Art. 8ff. (Nutzung Vergriffener Werke).

Dieser in seinem Umfang limitierte Aufsatz bietet einige Ausblicke, ohne sich jedoch umfassend kritisch mit den beiden Regeln auseinandersetzen zu können. Die wesentlichen Argumente dazu sind ja auch bereits ausführlich in der Öffentlichkeit ausgetauscht worden.

Die Richtlinie hat einen langen Weg hinter sich. Nachdem der Entwurf im Herbst 2016 von der Europäischen Kommission verabschiedet wurde, musste er nach dem üblichen Procedere im „ordentlichen Verfahren“, in welchem Rat und EU-Parlament gemeinsam entscheiden, zwischendurch noch eine Extra-Runde drehen, weil die vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) vorgeschlagenen Änderungen nicht ohne Weiteres vom Plenum angenommen wurden. Zudem hat der Personalwechsel um Therese Comodini Cachia als Berichterstatterin und verantwortliche Abgeordnete aus der EVP-Fraktion, die im Sommer 2017 durch ihren Kollegen Axel Voss abgelöst wurde, den Prozess nicht erleichtert.

Artikel 15: Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Das Aufkommen von Internet-Dienstleistungen, die Zugang zu fremden Inhalten vermitteln, also insbesondere Suchmaschinen, die ihre Umsätze nicht durch die Nutzung, sondern durch gezielte Werbeanzeigen generieren, hat die Verlagsindustrie offenbar kalt erwischt.

Mit ihrem Einsatz für ein eigenes „Leistungsschutzrecht“ wollten nun Zeitungsverlage erreichen, dass sie an den (Werbe-) Milliardengewinnen der Plattformen beteiligt werden. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Verlagsgewinne im Print- und werbefinanzierten Onlinebereich geschrumpft sind und Verlage die Ursache dafür u.a. in den Suchmaschinenangeboten wie z. B. „Google News“ sehen. Diese bieten gezielte Suchen und Zugriffe auf relevante Zeitungsartikel, so dass die übrigen Seiten des Online-Zeitungsauftritts wenig bis nicht mehr besucht werden und damit Zugriffszahlen sinken und somit dem Werbemarkt auf den zeitungseigenen Plattformen die Luft ausgeht.

Mit einer massiven EU-weiten Kampagne der Zeitungsverlage, an vorderster Front der Springer Konzern, haben es die Zeitungsverlage erreicht, dass nun auf den ohnehin bestehenden Urheberrechtsschutz für Presseerzeugnisse eine zusätzliche Schutz-Schicht gelegt wurde, die es ihnen erlauben soll, auch für die Anzeige kleinster Auszüge aus Zeitungsartikeln („Snippets“) auf Webseiten und in Suchmaschinen eine Vergütung von den Anbietern von Suchmaschinen sowie anderer Webseiten zu verlangen.

 …warum diese Regelung ?

Selbst die Anzeige kleinster Ausschnitte aus Textwerken kann auch ohne dieses Leistungsschutzrecht oft schon eine (Urheber)Rechtsverletzung darstellen und damit den Verlagen die Möglichkeit geben, gegen deren Internet-Sichtbarmachung vorzugehen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Verlage selbst – und nicht die Autor*Innen – ein Urheberrecht an den Artikeln haben, der diese Ahndungen einräumt.

Allerdings hatten Verlage damit bislang Probleme: Um solche Prozesse erfolgreich zu führen, muss geklärt werden, ob a) der jeweilige (!) mini-Zeitungsausschnitt urheberrechtlich geschützt ist und b) dem Verlag mittels Arbeits- oder Werkvertrag durch die Redakteur*innen oder freien Autor*innen das exklusive Urheberrecht eingeräumt wurde. Hinzu kamen der organisatorische Aufwand und das Prozessrisiko. Damit dürfte die „Lust“ der Verlage auf solche Verfahren äußerst gering gewesen sein.

Ziel war, dass durch die Überarbeitung der Gesetzgebung in Deutschland und EU-weit alles besser werden soll(te).

…was ist vom Leistungsschutzrecht umfasst ?

Mit dem neuen EU-Leistungsschutzrecht wird nun alles, was in „Zeitungen oder Magazinen von allgemeinem oder besonderem Interesse“ steht, pauschal rechtlich geschützt – und zwar ohne die urheberrechtliche Schutzvoraussetzung der „persönlichen geistigen Schöpfung“.

Als Untergrenze für das neue Recht ist in Art. 15 der Richtlinie nur genannt, dass das „Setzen von Hyperlinks“ und die „Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung“ vom Schutz ausgenommen sind.

Auch der Versuch der Einhegung des Schutzgegenstandes „Presseveröffentlichung“ bringt nichts Konkretes hervor: In Erwägungsgrund 58 der Richtlinie wird nur gesagt, dass schon „Teile“ davon unter dem Schutz fallen. Und: „Angesichts der umfassenden Kumulierung und Nutzung von Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft“[…sei]„es wichtig, dass der Ausschluss von sehr kurzen Abschnitten so interpretiert wird, dass die Wirksamkeit der in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte nicht beeinträchtigt wird.“ Die hier erwähnte  Interpretation ist dann Sache der Plattformbetreiber und der Gerichte. Die bisherige Google-Snippet-Länge soll allerdings schon mehr sein als ein „sehr kurzer Abschnitt“.

Alles, was über Hyperlinks und diese Abschnitte hinausgeht, darf ohne Lizenz oder Ausnahme (wie z.B. das unsicherheitsbehaftete Zitatrecht) in Veröffentlichungen, die im Internet zugänglich sind, nicht genutzt werden. Wer es trotzdem macht, geht ein Risiko ein.

Auswirkungen für Bibliotheken z. B. bei online-Dienstleistungen

Der im Art.15 der neuen Copyright-Richtlinie geregelte „Schutz von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf die Online-Nutzung“ ist nicht identisch mit dem bereits in § 87 f bis 87 h des Deutschen UrhG festgehaltenen „Schutz des Presseverlegers“, der bekanntermaßen zu nichts als Anwaltskosten geführt hat und bei einigen Zeitungen zum Verlust ihrer Präsenz in „Google News“.

Die EU-Richtlinie geht nämlich weiter als bisher das UrhG, weil es nicht mehr nur Suchmaschinenbetreiber adressiert, sondern alle „Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft“. Darunter fällt„…jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.“ (Art. 1 (1) b) der Richtlinie „über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft„).   Dabei schließt „in der Regel gegen Entgelt“ nichtkommerzielle Dienste nicht unbedingt aus. Damit kommen prinzipiell auch online-Dienstleistungen von Bibliotheken, Universitäten und anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen in Betracht, die z.B. in Katalogen Zeitungsartikel nachweisen oder deren Wissenschaftler*innen in Literaturverzeichnissen von Onlinepublikationen Zeitungsartikel aufführen.

Nach Art. 15 Abs.1 S.1 ist ausdrücklich ausgenommen nur „die private oder nicht-kommerzielle Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einzelne Nutzer“.

Artikel 17: Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten („Upload Filter“)

Wir haben uns daran gewöhnt, das auf YouTube, Facebook, Instagram, Pixabay und Tumblr Bilder, Musikdateien, Filme, Präsentationen oder Texte hochgeladen und diese damit weltweit sichtbar werden. Dass dabei auch, z.B. bei Musik, Hollywoodfilmen und Grafiken, auch ganze fremde Werke ohne Erlaubnis der Rechteinhaber auf den Plattformen landen, haben wir zumindest geahnt. Und dass bei vielen hochgeladenen Materialen, wie etwa Vorträgen und Katzenfilmchen mit Hintergrundmusik, hin und wieder ebenfalls fremde „Werke“ im Spiel waren und darin leichte und hinnehmbare (?) Urheberrechtsverletzungen lagen, wussten die meisten auch.

…was ändert sich ? 

Die Nutzung dieser fremden Werke ohne Lizenz soll durch Art. 17 von vornherein verhindert werden. Denn nun müssen Plattformen schon das Hochladen urheber- oder leistungsschutzrechtlich geschützter Gegenstände verhindern. Zwar durften sie diese Materialien schon vorher nicht anzeigen, hafteten allerdings erst, wenn sie nach einem Hinweis des Rechteinhabers die Nutzung nicht verhinderten.

Durch die pauschale Pflicht des Art. 17 zum Blocken lizenzloser Inhalte wird das Rechtsdurchsetzungsverfahren für die Content-Industrie erheblich erleichtert. Für diejenigen, die fremde Werke für Zitate, Kritik oder Satire urheberechtlich erlaubt (!) nutzen wollen, wird das Leben aber schwerer.

Angesichts der Masse der hochgeladenen Inhalte kann die Upload-Filterung nur maschinell erfolgen, so dass eine kontextbezogene Prüfung, ob es sich um eine rechtmäßige Nutzung handelt, kaum möglich sein wird.

Auswirkungen für Bibliotheken: Wir könnte das Upload-Procedere aussehen?

Das Verfahren, das die Plattformbetreiber einführen müssen, um ihre Haftung für die hochgeladenen Inhalte zu vermeiden, kann man sich in der Praxis wohl ungefähr so vorstellen:

Wenn eine Universität/Bibliothek z.B. Tagungs-Videos von Vorträgen samt Präsentationen auf eine Plattform hochladen möchte, müsste (ggf. in geänderter Reihenfolge) die Plattform überprüfen, ob a) Urheberrechtsschutz vorliegt für irgendetwas innerhalb der Präsentation oder des Vortrages oder des Videos. Prüfbasis hierfür sind das EU-Urheberrecht und der Urheberrechts-Gesetze von 28 Mitgliedstaaten sowie die Rechtsprechung – up-to-date!

Zudem müsste b) geprüft werden, ob irgendjemand an irgendetwas sein Urheberrecht geltend gemacht hat. Dafür wäre es erforderlich, dass der Plattformbetreiber (oder ein beauftragter Filtersoftwarebetreiber) sämtliche jemals gemeldeten Werke vollständig mit allen Teilen des hochgeladenen Inhalts abgleicht. Hierfür ist eine Datenbank (oder Schnittstelle) von Nöten, die wahrscheinlich nur sehr wenige Betreiber auf der Welt aufbauen und für deren (Nach-)Nutzung sie sicherlich viel Geld verlangen können.

Soweit erkannt wurde, dass etwas in der hochgeladenen Datei einem von Rechteinhabern gemeldeten Inhalt entspricht, das in der Präsentation erscheint (z.B. ein Musikfetzen oder ein Bild), müsste der Plattformbetreiber c) prüfen (lassen), ob ihm von den Rechteinhabern eine Lizenz für die online-Nutzung dieses user-generated-contents vorliegt. Wenn das nicht der Fall ist, müsste er d) den hochgeladenen Inhalt sperren oder e) kontextbezogen prüfen, ob eine im Urheberrecht erlaubte Nutzung (wie etwa ein Zitat) vorliegt – und das nach mindestens 28 Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten.

Zitieren im Internet wird schwieriger

Dass diese sehr vereinfachten Darstellungen viele aufwendigen Prozesse für alle Beteiligten beinhalten, liegt auf der Hand. Schon aufgrund der genannten Unsicherheiten ist es wohl ausgeschlossen, dass die Punkte a) und e) überhaupt vor dem Hochladen überprüft werden. Denn diese beiden Punkte dürften für das Haftungsrisiko des Betreibers irrelevant sein.

Einfacher werden es also nur die großen Rechteinhaber (z.B. aus der Film- und Musikindustrie) haben, für die sich aufgrund der Masse ihrer Inhalte der Aufbau eines effizienten Meldeverfahrens lohnt. Für alle anderen, die nur hin und wieder eigene Texte oder Bilder hochladen wollen, wird es schwerer, vor allem dann, wenn darin fremde Bilder, Filme oder Grafiken zitiert werden oder sich anderweitig rechtmäßig mit diesen auseinandergesetzt wird.

Vortragende, deren PowerPoint-Präsentationen auf YouTube wegen eines rechtlich zulässigen Bildzitats gesperrt werden, müssen in Zukunft wohl ein aufwendigeres „Genehmigungsverfahren“ durchlaufen. Kleinere Anbieter, die nicht an einem Vorab-Meldeverfahren teilnehmen wollen, sind von Vornherein nicht begünstigt und können ihre Rechte nur nach herkömmlichen „notice and takedown-Verfahren geltend machen.

Dass die neue Regel auch für wissenschaftliche Einrichtungen und damit auch für ihre Bibliotheken und auch online-Öffentlichkeitsarbeit relevant ist, dürfte nach dem oben skizzierten Beispiel klar sein.

Gewinner könnten (erneut) ausgerechnet die größten Plattformbetreiber sein: Erstens, weil nur sie eigene Filtersysteme aufbauen- und diese auch für alle anderen mitbetreiben können (natürlich gegen Gegenleistung und mit Zugriff auf sämtliche detaillierte Upload- und Urheberrechtsdaten der Welt).

Gewinner könnten mittelfristig aber auch Regierungen sein, die auf vorhandene Filtertechniken zurückgreifen wollen, um ganz andere Zwecke zu erreichen: Nämlich missliebige Internetinhalte (z.B. Kritik) von vornherein zu verbannen. Auch das ist ein wichtiges Thema für Bibliotheken, die ja für freien Informationszugang stehen und gegen Zensur eintreten.

In ihrer Protokollerklärung zur Richtlinie spricht sich die Bundesregierung für den Einsatz von quelloffener Software für die „Upload Filter“ aus, die verhindern soll, „dass marktmächtige Plattformen mittels ihrer etablierten Filtertechnologie ihre Marktmacht weiter festigen.“ Nach der Protokollerklärung soll zugleich „die Europäische Union Konzepte entwickeln, die einem de-facto-Copyright-Register in der Hand marktmächtiger Plattformen durch öffentliche, transparente Meldeverfahren entgegenwirkt. Es sind insbesondere verfahrensrechtliche Garantien denkbar, etwa wenn Nutzer beim Upload mitteilen, dass sie Inhalte Dritter erlaubterweise hochladen.“

Fazit: Einfordern und Mitgestalten!

Eine EU-Richtlinie wirkt nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten, sondern muss durch die dortigen Gesetzgebungsorgane innerhalb von 2 Jahren „umgesetzt“ werden, d.h. es muss ein nationales Gesetz verabschiedet werden, das, grob gesagt, den Zielen der Richtlinie entspricht. Es gibt also einen Spielraum für die neuen Regeln. Wissenschafts- und Bibliotheksverbände sollten Vorschläge machen und die Bundesregierung beim Wort nehmen.

 

Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht in: b.i.t. online 3/2019

 

 

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